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# taz.de -- Proteste in Chile: Kein Ende der Polizeigewalt
> In Chile gehen die Unruhen weiter. Die Polizei schießt, die Zahl der
> Toten und Verletzten steigt. Entsetzte Erste-Hilfe-Kräften berichten.
Bild: Medizinischer Hilfsposten der Demonstranten in Santiago de Chile
Santiago de Chile taz | Ein buntes Feuerwerk leuchtet am Nachthimmel. Die
Tausende Demonstrierenden haben es am Plaza Italia entzündet, den sie
umbenannt haben in Plaza de la Dignidad (Platz der Würde). Es ist der Tag,
an dem Chiles Regierung [1][eine neue Verfassung angekündigt] hat, aber
auch der Tag, an dem es wieder einen Toten zu betrauern gibt.
María Cariola ist gekommen, weil sie mit der Ankündigung der Regierung
nicht zufrieden ist. „Was die Abgeordneten beschlossen haben, geht nicht
auf die Forderungen der Menschen auf der Straße ein. Der verfassungsgebende
Prozess wird von den gleichen Politiker*innen angeführt, die die Leute
ablehnen. Auf der Straße wird ein radikaler Systemwechsel gefordert und der
Rücktritt der Regierung“, sagt die 27-Jährige.
Gegen 21.30 Uhr vertreibt die Polizei die Menschen mit Tränengas und
Wasserwerfern. Cariola befindet sich zu diesem Zeitpunkt neben einer
Erste-Hilfe-Station des Roten Kreuzes, wo Sanitäter*innen versuchen, einen
jungen Mann per Herzdruckmassage wiederzubeleben.
„Als die Sanitäter die Massage machten, kam die Polizei mit Tränengas und
Wasserwerfern“, berichtet Cariola. „Die Sanitäter haben die Arme
hochgehoben, aber die Polizei hat trotzdem weitergemacht. Es war
furchtbar.“ mDer junge Mann, ein 29-Jähriger namens Abel Acuña, wird in die
Notaufnahme des nahegelegenen Krankenhauses gebracht und stirbt wenig
später. Die genauen Todesumstände werden noch untersucht.
## „Wir protestieren, helfen und verarzten“
„Wir wurden von der Polizei angegriffen. Dadurch wurde die Behandlung des
Patienten behindert“, erklärt der Rettungsdienst am Samstag. Ein Sanitäter
sei durch ein Gummigeschoss am Bein verletzt worden. Johanna Morales ist
Krankenschwester und arbeitet seit 14 Jahren in dieser Notaufnahme. Sie
kommt am späten Freitag um etwa 22 Uhr mit Kollegen erschöpft vom Protest
an. „Wir protestieren, helfen und verarzten“, sagt sie. Die medizinischen
Mittel, die sie bei den Protesten verwenden, bezahlen sie selbst, da es im
Krankenhaus nicht genügend gibt.
„Als wir alles aufgebraucht hatten und uns auf den Rückweg machen wollten,
haben die Polizisten uns nicht durchgelassen. Sie haben uns bedroht und mit
Tränengas angegriffen.“ An diesem Freitagabend sind über 200 Verletzte von
den Protesten in die Notaufnahme gekommen. Auch die 38-jährige
Kindergärtnerin Gema Jollares sitzt im Warteraum. Sie hat zwei abgebrochene
Zähne, eine tiefe Wunde am Arm und Prellungen an den Rippen.
„Ich habe mich vor den Wasserwerfern in einem Hauseingang versteckt. Dann
hat mich auf einmal ein Polizist gepackt, meinen ganzen Körper mit
Pfefferspray besprüht, mich ins Gesicht geschlagen, an den Haaren gepackt
und auf den Boden geworfen. Als ich aufstehen wollte, hat der Strahl des
Wasserwerfers mich getroffen und 15 Meter lang über die Straße mitgezogen.
Mein ganzer Körper ist aufgeschürft“, sagt sie mit Tränen in den Augen.
„Ich habe friedlich protestiert, ich hatte lediglich eine Trillerpfeife
dabei.“
## 24 Tote, 2.000 Verletzte, 200 Schüsse in die Augen
[2][Die Proteste in Chile] haben vor einem Monat begonnen und haben sich zu
einem Aufstand entwickelt. Die Polizei geht mit Gewalt vor. 24 Menschen
sind bisher gestorben, über 2.000 befinden sich verletzt in Krankenhäusern.
Über 200 Personen wurden von der Polizei in die Augen geschossen, viele
sind jetzt auf einem Auge blind.
Auch der 18-jährige Student Vicente Muñoz hat ein Auge verloren. Er wurde
am vergangenen Montag von einem Polizisten aus zwei Meter Distanz mit acht
Schüssen oberhalb des Bauchnabels getroffen, einer davon traf sein linkes
Auge. „Freiwillige Helfer haben ihn verarztet und die Polizei hat trotzdem
weiter Tränengasbomben auf sie geworfen“, berichtet seine Schwester Paula
Muñoz. „Das kann kein Zufall sein.“
„Innerhalb von zwei Wochen wurden in Chile mehr Fälle von Augenverletzungen
registriert als während allen anderen sozialen Unruhen auf der Welt“, sagte
der Präsident des chilenischen Ärzteverbands im Radio. mSofía Lanyon,
Vorsitzende von Amnesty International in Chile, kritisiert: „Dass so viele
Leute in die Augen geschossen werden, zeigt, dass die Polizei nicht die
Protokolle für Krisensituationen einhält. Es handelt sich nicht um
Einzelfälle, sondern um ein Muster.“ Die Polizei hingegen versichert, dass
sie alle Protokolle einhält.
17 Nov 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Sophia Boddenberg
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