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# taz.de -- Programmdirektion der ARD: Die neue Frau, die sagt, was läuft
> Christine Strobl übernimmt ab Mai die Programmdirektion der ARD.
> Hoffentlich wird sie weniger auf die Quote schielen als Vorgänger Volker
> Herres.
Bild: Christine Strobl muss eine neue Zielgruppe erschließen
Manche Mächtige prahlen mit ihrer Macht, andere setzen PR-taktisch auf
Understatement. Die neue Programmdirektorin des Ersten Deutschen
Fernsehens, Christine Strobl, scheint in die zweite Gruppe zu gehören. Als
die Zeit sie im „Politischen Fragebogen“ kürzlich auf die Macht ansprach,
die ihr neuer Job mit sich bringt, sagte Strobl: „Das ist Verantwortung.
Aber Macht ist das nicht.“
So eine Äußerung mag imagestrategisch motiviert sein. Strobl, die nun den
63-jährigen Volker Herres ablöst, hat aber zumindest in einer Hinsicht
recht: Ihr neuer Titel suggeriert mehr Einfluss, als die Funktion mit sich
bringt. Der Programmdirektor- oder die Programmdirektorin der ARD ist
zuständig fürs große Ganze, fürs Sendeschema. Sprich: zu entscheiden, wann
was wo läuft und [1][ob die tagesaktuelle Lage einen „Brennpunkt“oder ein
„ARD extra“hergibt] oder lieber die geplante Abfolge eingehalten wird. Fürs
Programm an sich, also was produziert wird, sind hingegen die neun
Landesrundfunkanstalten verantwortlich.
Dennoch kann man getrost von einer Zeitenwende sprechen, wenn die eine
Programmdirektorin den anderen Programmdirektor ablöst. Volker Herres war
13 Jahre lang im Amt, er ist ein Vertreter des linearen Fernsehens, einer
dieser Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Männer, der – auch aufgrund
seiner Gockelhaftigkeit – ein bisschen aus der Zeit gefallen ist. Strobl,
die bisher Geschäftsführerin der ARD-Produktionstochter Degeto war, wird
ein wesentlich modernerer Führungsstil zugetraut. Sie ist 14 Jahre jünger
und somit zwar keineswegs ein Digital Native, für ARD-Verhältnisse kann man
hier aber schon beinahe von einer radikalen Verjüngung an der Spitze
sprechen. Strobls Name steht vor allem für das von ihr mit angeschobene
ARD/Sky-Großprojekt [2][„Babylon Berlin“].
Volker Herres hat in seinen 13 Jahren recht selten den Eindruck erweckt,
dass ihn andere Kriterien als die Quote interessieren. Was nicht heißt,
dass der Mann keine inhaltlichen Stärken hat. Er hat das richtige Näschen,
sich um Themen immer dann zu kümmern, wenn sie für ihn persönlich virulent
werden. Auf einen fahrenden Zug ist Herres jedenfalls stets rechtzeitig
aufgesprungen. Auch die Kunst, die [3][teilweise innig verfeindeten neun
Intendant*innen] der Landesrundfunkanstalten gegeneinander
auszuspielen, soll er nicht schlecht beherrscht haben.
## Mitglied der CDU
Nachfolgerin Strobl hat einen berühmten Vater, den CDU-Politiker Wolfgang
Schäuble, und einen zumindest in Baden-Württemberg ebenfalls berühmten
Ehemann; Thomas Strobl, ebenfalls CDU, ist dort Innenminister und
stellvertretender Ministerpräsident. Man muss das im Blick haben, aber bei
Christine Strobl werden diese familiären Verbindungen eher überbetont. Wäre
ein hochrangiger männlicher ARD-Manager mit einer mächtigen Politikerin
verheiratet, würde das wohl weniger im Fokus stehen.
Auch Christine Strobl selbst ist übrigens Mitglied der CDU, aber angesichts
dessen, dass die ARD ohnehin nie der Rotfunk war, als den ihre Gegner sie
seit Jahrzehnten – mit unterschiedlichen Nuancierungen – darstellen, ist es
ohnehin eher unerheblich, dass die Programmdirektion nun von einer
Christdemokratin geführt wird.
Volker Herres war dagegen einer Partei zuzurechnen, deren Mitgliedschaft
nur aus einer Person besteht, nämlich Volker Herres.
Als Herres im vergangenen Herbst seinen Abschied bekannt gab, verkündete
er, es sei seine letzte große Aufgabe, die Programmdirektion zu einer auch
„für das nonlineare Angebot der ARD-Mediathek inhaltlich zuständigen
Gemeinschaftseinrichtung“ umzubauen. Heißt: Mediatheken sollen künftig mehr
als bloß Abwurframpe sein. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung war
Anfang 2020 die Berufung des vom ARD/ZDF-Content-Netzwerk funk gekommenen
Florian Hager zum stellvertretenden ARD-Programmdirektor und
Mediathekenchef (offizielle Bezeichnung „Channel Manager“).
## Die Mediathek im Fokus
Und weil sich die Nutzungsgewohnheiten tendenziell zugunsten des
nichtlinearen Fernsehens verändern, hängt eben auch der Erfolg der neuen
Chefin Christine Strobl zu einem nicht geringen Teil von Florian Hager ab.
Er sagt: „Wir wollen das Angebot in Zukunft komplementär zum Linearen
weiter ausbauen, um so auch neue Publika zu gewinnen, und ein
eigenständiges Programmangebot aufbauen.“
Der Weg dahin ist aber noch weit. Als die ARD kürzlich bei der
„TopDocs“-Präsentation die dokumentarischen Höhepunkte des laufenden Jahr…
vorstellte, sagte Hager, dass die ARD-Mediathek derzeit „zu 97 Prozent
dieselbe Zielgruppe“ erreiche wie das lineare Programm ohnehin. Das hat
natürlich damit zu tun, dass das Angebot der Mediathek bisher fast nur das
lineare Programm widerspiegelt. Was wiederum mit der Zielgruppe zu tun hat
– es beißt sich in den Schwanz. Aber Hager sagte auch: „Wenn es so bliebe,
würden wir einen schlechten Job machen.“
Damit neue Zielgruppen gebunden werden können, gibt es bei einigen
Landesrundfunkanstalten der ARD seit einiger Zeit Redaktionen, die
ausschließlich für den Online-Ausspielweg produzieren. Der SWR etwa hat
dafür ein „Innovationslabor“ gegründet, es hat unter dem Reihentitel „N…
Generation“ mehrere dokumentarische Mehrteiler für die Zielgruppe der 29-
bis 49-Jährigen produziert, die demnächst zu sehen sind. Beim NDR gibt es
eine Redaktion namens SPIN (Schwerpunkte, Planung, Innovation nonlinear),
die sich darum kümmert, im dokumentarischen Bereich neue Formate zu
entwickeln.
Das erste SPIN-Projekt, „Kurzzeitschwester“, ist seit wenigen Tagen in der
ARD-Mediathek abrufbar. Der heute 24-jährige Filmemacher Philipp Lippert
arbeitet hier einen Teil seiner Familiengeschichte auf, er erzählt, wie er
in seiner frühen Kindheit zweieinhalb Jahre lang mit einer Pflegeschwester
zusammenlebte, die seine Eltern danach in ein Heim gaben. Die Folgen dauern
zwischen 24 und 25 Minuten – Längen, die in den Sendeschemata des linearen
Fernsehens nicht vorgesehen sind.
## Die richtige Balance
Christine Strobl muss in ihrer neuen Funktion dazu beitragen, dass die ARD
die richtige Balance findet. Man braucht erstens exklusive Angebote für die
Mediathek, zweitens Inhalte, die mit Blick auf die Mediathekennutzung
produziert werden, aber auch linear funktionieren müssen – und drittens
natürlich klassisch lineares Fernsehen, das nach alter Väter Sitte in der
Mediathek zweitverwertet wird.
Die neuen Online-Only-Produktionen können allerdings nur entstehen, weil in
den ARD-Anstalten jeweils die Etats für dokumentarische Formate
umgeschichtet werden. Das wird aber nicht reichen, um der Mediathek der ARD
jenen Rang zu verschaffen, den sie gemäß ihren Verlautbarungen bald gern
hätte.
Für eine richtige Mediathekenoffensive bräuchte es zusätzliche Mittel, aber
die scheinen nicht in Sicht zu sein.
Das wird die neue Chefin Strobl aber kaum schockieren. Als sie 2012 als
Geschäftsführerin zur Degeto kam, fand sie einen von den Vorgängern
finanziell runtergerockten Laden vor. Ihr gelang es schließlich, ihn
relativ geräuschlos zu sanieren.
1 May 2021
## LINKS
[1] /Kolumne-Flimmern-und-Rauschen/!5585255
[2] /Neue-Staffel-Babylon-Berlin/!5654275
[3] /Spannungen-in-der-ARD/!5685724
## AUTOREN
René Martens
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