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# taz.de -- Öffentlich-rechtliches Fernsehen: Das ZDF, wie's knallt und stinkt
> Weil der Rundfunk sparen muss, heißt es oft: „ARD und ZDF fusionieren!“
> oder „ZDF abschaffen!“ Warum das keine so gute Idee wäre.
Bild: Noch ein Jahr, dann ist Schluss: Thomas Bellut, der seit 2012 ZDF-Intenda…
ZDF-Intendanten haben etwas Langlebiges. Karl Holzamer, Gründungsintendant,
amtierte von 1962 bis 1977. Dieter Stolte schaffte sogar 20 Jahre von 1982
bis 2002. Thomas Bellut macht auch immerhin 10 Jahre in Mainz voll. 2011
wurde er zum Intendanten gewählt, 2015 wiedergewählt. Eine dritte Amtszeit
möchte er nun nicht mehr und so wird er [1][nächsten März vom Lerchenberg
reiten.] Nur Leo Kirch, der als heimlicher Mitregent von Anfang an bis
mindestens zur eigenen Pleite 2002 beim ZDF etliche Strippen zog, war
länger am Ball. Aber das ist einen andere Geschichte.
Auf den ersten und zweiten Blick passt Thomas Bellut voll in diese Liste
etablierter weißer Männer. Journalist, promoviert, CDU-nah. Auf dem Weg im
damals noch extrem vom parteipolitischen und gerne auch katholischen
Proporz durchtränkten ZDF wird Bellut von genau diesen korporatistischen
Kräften unterstützt. Doch zwanzig Jahre nach Belluts Wahl – erst zum
Programmdirektor und zehn Jahre später zum Intendanten – lautet die Bilanz:
Bellut hat dem ZDF gutgetan. Sehr gut sogar. Der Mann ist nicht ohne
Macken. Aber wenn es unter Deutschlands Intendant*innen der letzten
zehn Jahre wen gibt, die auch eine BBC führen könnte, dann Bellut.
Klar, er war schon als Innenpolitik-Chef der Mainzer Anstalt gemäßigter als
der anstaltseigene Rechtsaußen Gerhard Löwenthal. Doch die
Kräftearithmetik der alten Bundesrepublik arbeitete auch für ihn. Weil der
Intendant in Mainz stets ein Schwarzer ist, ist der Chefredakteur
vermeintlich rot. Weshalb der Programmdirektor wieder ein Schwarzer zu sein
hat. Dieses Prinzip war zwar schon 2002 bei Belluts Wahl auf den
Programm-Posten völlig überholt. Doch der ZDF-Fernsehrat funktionierte
damals wie heute immer noch „retro“. Weshalb ein gewisser Hans Janke,
damals Fiktions-Chef und aufgrund seiner Leistungen intern wie extern der
Favorit, nicht durfte. Er war’s zwar nicht, galt aber als „Roter“.
Und so war plötzlich Bellut da. Ein bisschen linkisch und auf dem Feld von
Fiktion bis Unterhaltung alles andere als etabliert. Als Programmdirektor
machte Bellut anfangs Fehler. Kaufte beispielsweise das schon sieche Format
„Bravo TV“ von RTL 2, um das eigene Programm zu verjüngen. Noch bei der
Wahl zum Intendanten zehn Jahre später lästerte das Handelsblatt, mit 56
sei Bellut „jünger als seine Zuschauer – was seine größte Herausforderung
ist“. Doch Bellut lernte schnell. Und schafft bis heute den Spagat zwischen
dem, was früher als Kukident-Fernsehen verspottet wurde, und Jan
Böhmermann.
## Gegen die öffentlich-rechtliche Angstlogik
Bellut ist über die Jahre an sich gewachsen. Als 2009/10 der damalige
ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, angeführt von der CDU und mit
freundlicher Unterstützung der SPD, [2][aus dem Sender gekegelt wurde],
hielt sich Bellut fein raus. Während sogar Thomas Gottschalk Position gegen
das abgekartete Spiel bezog, blieb Bellut stumm. Heute sieht das anders
aus, aber wie bei Bellut üblich, in Maßen. Jan Böhmermann kann ein Lied
davon singen. Vor allem aus der Zeit vor gut fünf Jahren, als er zwar schon
aufregend, aber nicht so erfahren-etabliert war und sich lyrisch mit einem
gewissen Recep T. Erdoğan anlegte.
Die ARD, wo Böhmermann zu der Zeit die wöchentliche Radiosendung „Sanft und
Sorgfältig“ moderierte, ließ ihn damals fallen wie eine heiße Kartoffel.
Worauf er mit seinem Radio-Format konsequenterweise [3][zu Spotify
abwanderte]. Das ZDF, wo Böhmermann sein „Neo Magazin Royale“ zelebrierte,
war 2015 nicht sonderlich weit davon entfernt. Das liegt an der üblichen
öffentlich-rechtlichen Angstlogik: Wenn es knallt und stinkt, erst mal die
Verantwortung woanders abstellen. Besser gar nichts gewusst haben, den Ball
flach halten. Bellut bezog dann doch höchst dialektisch Position: Gegen das
Erdoğan-Gedicht, aber für Böhmermann. Ein Kurzschluss à la „auf jeden Fall
die Sendung raus aus der Mediathek“, wie [4][ihn die ARD pflegt,] passiert
ihm nicht.
Bellut hat diese Angstlogik überwunden. Und das ist mindestens ein
Geheimnis seines Erfolgs. Als er 2013 zu Maybrit Illner in die Sendung
ging, um zu den [5][Schleichwerbevorwürfen gegen die Gottschalk-Brüder] bei
„Wetten, dass..?!“ Stellung zu beziehen, war dabei allerdings auch schon
der so großartige wie einsame Höhepunkt. Seitdem agiert auch Bellut lieber
wieder weniger öffentlich. Er bleibt im Hintergrund.
Und beherzigt stets die Regel, dass es nicht nottut, über jedes Stöckchen
zu springen, das da hingehalten wird. Mit dieser souveränen Zurückhaltung
treibt das ZDF die ARD mit schönster Regelmäßigkeit in milde Verzweiflung.
Das ZDF reagiert, wenn es wirklich nötig ist. Also sehr, sehr selten.
Irgendeine [6][Mittelstandsvereinigung einer Partei verlangt mal wieder die
Zusammenlegung von ARD und ZDF]? Das Gegackere überlässt man gern den
föderalen Kolleg*innen. Nicht ohne davon zu profitieren, wenn es denn doch
mal von Erfolg gekrönt ist. „Das ZDF ist wie ein Marathon-Läufer, der sich
bei Kilometer vier in die Büsche schlägt, urplötzlich kurz vor dem Ziel
wieder da ist und gemeinsam mit uns über die Linie läuft“, hat das der
frühere ARD-Vorsitzende Fritz Raff vom Saarländischen Rundfunk vor einigen
Jahren mal auf die Zielgerade gebracht.
## Die brauchbarste Satire im deutschen Fernsehen
Bellut ist auch darüber hinaus ein Meister der deutschen Medienpolitik.
Miesepeter*innen mögen angesichts des lamentablen Zustands der
Medienpolitik einwenden, dass dazu nicht allzu viel gehört. Da ist was
dran, springt aber zu kurz: Das ZDF, von der Union wie Rheinland-Pfalz
(Mainz!) als Besitzstand wahrgenommen, ist politischen Ränkespielen
direkter ausgesetzt als die ARD als Ganzes. Schließlich sind allein im
ZDF-Verwaltungsrat vier Sitze für Ministerpräsident*innen
reserviert. Unter Bellut pariert das ZDF politische Scharaden aber deutlich
souveräner als unter seinen Vorgängern.
Und im Programm? Bleibt Belluts Bilanz gemischt. „Krimi galore“ trifft auf
die brauchbarste Satire im deutschen Fernsehen. Satire, die wie im
US-Fernsehen das Zeug hat, mehr zur politischen Willens- und
Meinungsbildung beizutragen als das klassische Nachrichtengeschäft. Die
„heute show“ sehen mehr Menschen als das „heute journal“. Und Böhmerma…
bringt Steine ins Rollen – von den Hohenzollern bis zu Julian Reichelt.
Bellut hat da vermutlich gar keine großen Aktien im Spiel. Aber er lässt es
zu. Und das ist im heutigen öffentlich-rechtlichen Geschäft schon ’ne ganze
Menge.
Auch wenn sich Bellut bei der jüngsten Fernsehratssitzung eigentlich anhört
wie ganz am Anfang. Denn was gibt die letzte
ZDF-Selbstverpflichtungserklärung des Intendanten Bellut für 2021/2022 als
Ziel aus? Erraten: Mehr Vielfalt im Programm, und mehr Inhalte für Jüngere.
„Die Interessen differenzieren sich weiter, die Gesellschaft wird zunehmend
diverser. Um alle Menschen in Deutschland anzusprechen und zu erreichen,
müssen wir uns fortlaufend erneuern, das gilt für unsere Programminhalte
ebenso wie für unsere Ausspielwege“, sprach also Bellut.
Ist aber alles wurscht. Denn sie, die 2022 folgt, wird eh alles anders
machen. Wetten, dass …
1 Apr 2021
## LINKS
[1] /Neue-ZDF-Intendanz/!5755648
[2] /ZDF-Chefredakteur-muss-gehen/!5151823
[3] /Sanft-und-Sorgfaeltig-bei-Spotify/!5295335
[4] /NDR-Doku-Lovemobil/!5757312
[5] /Schleichwerbung-bei-Wetten-dass/!5075500
[6] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/was-hat-die-union-mit-ard-und-zdf-vo…
## AUTOREN
Steffen Grimberg
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