# taz.de -- Neuer Radiosender für Senior*innen: Viel mehr als ein Nebenhermedi… | |
> Ulrich Burow aus Grünheide hat einen Radiosender gegründet. Für Radio | |
> Ginseng arbeiten nur ehrenamtliche Senior*innen – und erleben | |
> Gemeinschaft. | |
Bild: Von The Who bis zur mongolischen Rockband: Die 77-jährige Dorothea Kiese… | |
Um herauszufinden, wie sein Sender mal klingen soll, musste Ulrich Burow | |
erst mal genau hinschauen. „Es ist wichtig, dass du es mit eigenen Augen | |
siehst“, hatte Tony Smith ihm am Telefon gesagt. Der Brite ist Erfinder | |
[1][des Angel Radios, eines Radiosenders, für den ausschließlich | |
Senior*innen arbeiten] – vor dem Mikro, in der Technik, als | |
Musikredakteur*innen. Burow folgte Smiths Einladung, flog für eine Woche | |
nach Southampton und sah zu, wie eine Person nach der anderen ihren | |
Rollator über die Türschwelle der Redaktion schob. | |
„Da herrschte so eine tolle dynamische Atmosphäre, so familiär“, sagt | |
Burow. Nach seinem Kurzvolontariat kehrte er nach Grünheide zurück und | |
machte sich auf die Suche nach Räumlichkeiten, Equipment und | |
Mitstreiter*innen. Nun, drei Jahre später, geht Radio Ginseng an den | |
Start. Nach britischem Vorbild. | |
Eigentlich ist Ulrich Burow eher ein visueller Typ. Als junger Mann | |
arbeitete er erst als Fotojournalist, später wird er Dozent im Bereich | |
Theater- und Medienwissenschaften. Aber Radio fasziniert ihn, besonders | |
heute, in dieser Zeit, in der Medienkonsum immer individualisierter wird, | |
in der Algorithmen die optimale Spotify-Playlist ausspucken und man sich | |
das Fernsehprogramm selbst zusammenstellen kann. | |
„Radio konterkariert meiner Meinung nach den Stress, dem viele Menschen | |
ausgesetzt sind, weil sie so reizüberflutet sind“, sagt er. Seinen Sender | |
benennt er nach Ginseng, einer Heilpflanze, die die Synapsen anregt. Denn | |
Radio sei viel mehr als ein Nebenhermedium. Besonders, wenn man es selbst | |
macht: Burow lädt in Grünheide zu einem Infoabend für sein Projekt ein, | |
verteilt Flyer, baut [2][eine Webseite]. | |
## Mutterkraut und The Who | |
Menschen wie Dorothea Kiesecker oder Erick Eckenstaler melden sich bei ihm. | |
Die 77-Jährige war früher Kinderkrankenschwester, in ihrer Sendung bei | |
Radio Ginseng soll es um die Themen Garten, Umwelt und Nachhaltigkeit | |
gehen. Aktuell plant sie erste Themenblöcke zu Besonderheiten im Anbau des | |
Gravensteiner Apfels, der Kraft von Mutterkraut und wie richtiges | |
Kompostieren gelingt. | |
Erick Eckenstaler ist gerade erst Pensionär und jetzt Musikchef der | |
Redaktion. Seit Tagen digitalisiert er den Fundus eines ehemaligen Berliner | |
DJs, der ihnen die CDs umsonst zur Verfügung gestellt hat. Eckenstaler | |
will ältere Menschen mit seiner Musikauswahl an ihre Jugend erinnern, aber | |
auch Horizonte erweitern: Von The Who bis zur mongolischen Rockband The Hu. | |
## „Interview im Ohrensessel“ | |
Sitz der Redaktion ist im Keller des Robert-Havemann-Hauses, „wobei Keller | |
nicht ganz richtig ist, im Souterrain sind wir“, sagt Ulrich Burow über | |
Facetime. Die Zimmer haben bodentiefe Fenster, wirken hell und frisch. | |
Monatelang habe das Team daran gearbeitet, aus den leeren Räumen ein | |
gemütliches Hauptquartier entstehen zu lassen, sagt Burow. Ohnehin eine | |
fordernde Angelegenheit, Abstand und Maske machten es nicht leichter. Die | |
Technik hat ihnen die Medienanstalt Berlin-Brandenburg zur Verfügung | |
gestellt. Ulrich Burow reichte sein Projekt bei einer Ausschreibung ein und | |
gewann. | |
Für das Format „Interview im Ohrensessel“ hat sich die Redaktion zwei | |
Ohrensessel angeschafft. Darin sollen für längere Talks regelmäßig | |
interessante Persönlichkeiten aus der Region Platz nehmen. Auch die | |
Zuhörer*innenschaft wird sich an dem Programm beteiligen dürfen, kann | |
On Air Musikwünsche abgeben oder in Themensendungen mit Moderator oder | |
Moderatorin über Persönliches sprechen. | |
## Wie eine Wohngemeinschaft | |
Radio Ginseng plant auch „Intergeneratives“, also Inhalte, [3][die den | |
Austausch von Jung und Alt fördern]. „Es ist doch wichtig, dass | |
Generationen miteinander klarkommen und voneinander wissen“, sagt Burow. | |
„Der Fundus an Lebenserfahrung, der sich hier angesammelt hat, muss doch | |
weitergegeben werden. Niemand braucht das Rad zum zweiten Mal zu erfinden.“ | |
Radio Ginseng läuft erst mal nur im Internet, täglich von 10 bis 18 Uhr. | |
Ziel ist natürlich die eigene UKW-Frequenz, allerdings brauche es dafür ein | |
sehr viel dichteres Programm und eine wachsende Redaktion. | |
„Und wachsen wollen wir, unbedingt. Jeder, der den Zeitaufwand nicht | |
scheut, Neues lernen möchte und auf dem Boden des Grundgesetzes steht, kann | |
mit uns Kontakt aufnehmen.“ Dorothea Kiesecker hat Ulrich Burow neulich | |
gesagt, dass sich Radio Ginseng für sie schon wie eine Wohngemeinschaft | |
anfühle. „Spannend, dachte ich dann“, sagt Burow. „Genau das haben die | |
Menschen in Southampton auch gesagt.“ | |
7 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] http://angelradio.co.uk/ | |
[2] https://radioginseng.de/ | |
[3] /GENERATIONEN/!5142077 | |
## AUTOREN | |
Leonie Gubela | |
## TAGS | |
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