| # taz.de -- Profit durch Vertreibung in Uganda: Mittellos mit deutscher Hilfe | |
| > Für eine deutsche Kaffeefirma hat Ugandas Armee einst viele Familien | |
| > vertrieben. Betroffene klagen seit Jahren auf Entschädigung – bis heute | |
| > erfolglos. | |
| Bild: „22 Jahre Kampf für Gerechtigkeit – umsonst!“: Peter Kayiira (li.)… | |
| Mubende taz | Enttäuschung steht Peter Kayiira ins Gesicht geschrieben. Der | |
| 62-jährige Ugander steht am Hohen Gericht in Ugandas Kleinstadt Mubende und | |
| erklärt Mitstreitern, warum der Verhandlungstermin, der für diesen Dienstag | |
| im Juni angesetzt war, wieder einmal vertagt wird: „Der Richter wurde | |
| versetzt“, sagt er. Der nächste Termin sei im Oktober. „Damit verlieren wir | |
| ein halbes Jahr“, seufzt Kayiira und fügt schnell hinzu: „Aber nach so | |
| langer Zeit werden wir nicht aufgeben.“ | |
| Die rund zwei Dutzend Bauern und Bäuerinnen, die um den kleinen Mann herum | |
| stehen, nicken. Sie alle haben sich aus ihren Dörfern auf den umliegenden | |
| Hügeln nach Mubende aufgemacht, ihre Schuhe poliert und sich ihre schwarzen | |
| T-Shirts übergestreift, die sie jüngst haben drucken lassen. „22 Jahre | |
| Kampf für Gerechtigkeit – umsonst!“, steht darauf geschrieben. Darunter | |
| sieht man einen Bauer, der eine Erdkugel als Last trägt. Darauf sind die | |
| deutsche und die ugandische Flagge abgedruckt. | |
| Über 22 Jahre prozessieren die Bauern bereits, ein Marathonverfahren. Sie | |
| haben 2002 sowohl die ugandische Regierung verklagt als auch den deutschen | |
| Kaffeekonzern [1][Neumann Kaffee Gruppe (NKG)] beziehungsweise dessen | |
| ugandischen Ableger: die Kaweri-Kaffeeplantage. Der Grund: Die 400 | |
| Familien, die einst auf Hügeln bei Mubende lebten, wurden ihnen zufolge | |
| 2001 gewaltsam vertrieben, um einer rund 2.500 Hektar großen Plantage zu | |
| weichen. Bis heute, so sagen sie, gab es dafür keine Entschädigung. | |
| „Wir werden jetzt nicht aufgeben“, spricht Kayiira den Bauern Mut zu. Er | |
| war einst Lehrer in der Grundschule, bis diese 2001 von Neumann übernommen | |
| wurde. Heute sind in den Klassenzimmern die Verwaltungsbüros der Farm | |
| untergebracht. Kayiira war zur Zeit der Vertreibung der Einzige in der | |
| Gemeinde, der genug Englisch sprach, um vor Gericht zu ziehen. Eine Klage, | |
| der sich 400 Familien mit über 2.000 Angehörigen anschlossen. Mittlerweile | |
| ist er in Rente, doch seinen Kampf vor Gericht führt er weiter. Man merkt | |
| ihm an: Daraus ist eine Lebensaufgabe geworden. | |
| Jüngst haben die Bauern neue Hoffnung geschöpft: Das Hohe Gericht in der | |
| 140 Kilometer entfernten Hauptstadt Kampala hat im vergangenen Jahr das | |
| Verfahren nach Mubende verlegt. Es soll neu aufgerollt werden. Doch die | |
| Termine werden stetig verschoben. Auch dieser nun im Juni. Immerhin: | |
| [2][Diesen Mai war eine Delegation des Deutschen Bundestags zu Besuch,] hat | |
| sich die Geschichte der ugandischen Bauern angehört. | |
| Diese haben den Abgeordneten aus Berlin eine Petition überreicht. Darin | |
| „bitten“ sie die Bundesregierung, dass diese auf Ugandas Regierung Druck | |
| ausübt, damit der „endlose Gerichtsprozess endlich schnell und zügig | |
| verhandelt wird“. Sie hoffen, dass die Bundesregierung nach Inkrafttreten | |
| des [3][Lieferkettenschutzgesetzes] in Deutschland Anfang 2024 Druck macht, | |
| die Einhaltung der Menschenrechte auch einzufordern. | |
| Zurück in Berlin wandte sich die Abgeordenete Cornelia Möhring von Die | |
| LINKE, die Teil der Delegation war, an das zuständige Ministerium für | |
| Wirtschaft und Klima. „Hat die Bundesregierung Kenntnis von dem Fall der | |
| gewaltsamen Vertreibung von über 4.000 Menschen durch die ugandische Armee | |
| von ihrem Land im Jahr 2001?“, so ihre Anfrage. „Hat die Neumann Kaffee | |
| Gruppe oder eine ihrer Tochterfirmen von 2001 bis heute staatliche | |
| Unterstützung des Bundes erhalten?“, will sie wissen. | |
| In einer Antwort vom 11. Juni heißt es: Man verfolge die „Entwicklungen in | |
| Kaweri seit über 20 Jahren aufmerksam“. Das Ministerium räumt ein: Die | |
| Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), also die | |
| staatliche Entwicklungsbank mit Sitz in Frankfurt, habe Neumann mit rund | |
| einer halben Million Euro für Projekte in Lateinamerika und Asien | |
| unterstützt, und die deutsche Entwicklungsagentur GIZ (Gesellschaft für | |
| Internationale Zusammenarbeit) setze mit Neumann Projekte im Wert von über | |
| 3 Millionen Euro um, auch in Ostafrika. | |
| Das Lieferkettenschutzgesetz könne jedoch nicht rückwirkend angewandt | |
| werden. Doch Möhring reicht das nicht: „Sowohl die Bundesregierung wie die | |
| milliardenschwere Neumann Kaffee Gruppe entziehen sich weiter systematisch | |
| ihrer Verantwortung“, erklärt sie gegenüber der taz aufgebracht. „Allein | |
| schöne Worte reichen nicht, um die traumatische Vertreibung der Menschen | |
| aus ihren Heimatorten und die Zerstörung ihrer Dörfer, Häuser und Kirche zu | |
| entschädigen, es braucht Taten.“ Sie fordert von Neumann, nicht auf ein | |
| Urteil zu warten, sondern Taten sprechen zu lassen: „Die Kaffeebarone aus | |
| Hamburg sollen die Vertriebenen aus ihrer vollen Kaffeekasse selbst | |
| entschädigen statt weiter auf das Zeitspiel der ugandischen Behörden und | |
| Justiz zu setzen“, so Möhring. | |
| Peter Kayiira will auch nach 22 Jahren nicht aufgeben. Nachdem er vor dem | |
| Gericht in Mubende den neu angesetzten Verhandlungstag in einen Kalender | |
| eingetragen hat, schultert er seinen Rucksack voller alter Landkarten und | |
| Grundbucheinträge, die als Beweise wichtig sind, und schwingt sich auf sein | |
| Motorrad, um nach Hause zu fahren. | |
| Der Weg führt über sich wellende Hügel. Rechts und links wachsen | |
| Maisstängel, so weit das Auge reicht. „Dies ist das Land, das angeblich | |
| gekauft wurde, um uns umzusiedeln“, sagt er und zeigt auf die Maisfelder. | |
| Dort steht kein einziges Haus, kein einziger Brunnen, kein einziger | |
| Strommast. „Wo hätten wir hier denn bitte leben können?“, fragt Kayiira u… | |
| fährt weiter. | |
| Die Sache mit den Landrechten in Uganda ist verzwickt. Ständig kommt es zu | |
| Konflikten, sobald Investoren größere Landstriche erwerben. Gewaltsame | |
| Vertreibungen von Kleinbauern sind an der Tagesordnung. Laut Verfassung | |
| dürfen ausländische Firmen gar kein Land kaufen, sondern nur auf bestimmte | |
| Zeit pachten. Deswegen hat im Fall der Kaffeeplantage die Investmentbehörde | |
| Ugandas im April 2001 im Auftrag der Neumann Kaffee Gruppe die 2.500 Hektar | |
| in Mubende erworben, um sie dann an den Konzern zu verpachten. Das | |
| Grundstück mit der Registernummer 99 gehörte laut Grundbuchauszug mit | |
| ebendieser Registernummer einem Großgrundbesitzer: Emmanuel Kayiwa. Dafür | |
| erhielt er rund 350.000 Dollar. | |
| Doch dieses Land war nicht unbewohnt. Zu Zeiten der Idi-Amin-Diktatur in | |
| den 1970er Jahren war Kayiwa ins Exil geflohen. Er ließ Bauern darauf | |
| siedeln, darunter Kayiiras Großvater. Diese Bauern sind zwar keine | |
| Eigentümer, genießen jedoch Gewohnheitsrecht, wenn sie mehr als zwölf Jahre | |
| dort leben. Laut dem Kaufvertrag vom April 2001, der der taz vorliegt, | |
| verpflichtet sich Kayiwa, dass er Land als Ersatz erwirbt, um die Familien | |
| umzusiedeln. | |
| Dazu wurden ihm vom Neumann-Konzern 12.000 Euro vorweg auf ein | |
| Treuhandkonto überweisen, bestätigt die Firma auf taz-Anfrage. Kayiwa solle | |
| zunächst von den Bauern Einverständniserklärungen einholen, dass sie | |
| freiwillig umsiedeln – so ist es festgelegt. Erst dann trete der Vertrag in | |
| Kraft. | |
| Den Grundbuchauszug dieses Ersatzlandes trägt Kayiira in seinem Rucksack | |
| herum. Es ist ein altes, vergilbtes Dokument – ein zentrales Beweisstück. | |
| Denn darin steht kein Kaufeintrag im Jahr 2001. Es wurde im Jahr 1957 noch | |
| zu Kolonialzeiten erworben und 2010 weiterverkauft. Kayiwa ist darin im | |
| Jahr 2001 nicht als Käufer aufgeführt. | |
| Die taz hat Neumann kontaktiert. Das Hamburger Traditionsunternehmen gilt | |
| mit 60 Tochtergesellschaften in 27 Ländern als der führende Konzern im | |
| Bereich Rohkaffee und betreibt drei Plantagen weltweit: in Mexiko, | |
| Brasilien und Uganda. Einst vertrieb Neumann seinen Robusta an den | |
| Feinkosthändler Dallmayr, bis dieser den Bezug 2019 aufgrund der Ereignisse | |
| in Uganda einstellte. | |
| Neumann selbst legt Wert auf gutes Image: „Nachhaltigkeit und | |
| verantwortungsvolles Handeln sind unser Kerngeschäft“, steht auf der | |
| Webseite. Im eigenen Code of Conduct, der 2023 im Vorfeld des | |
| Lieferkettenschutzgesetzes neu aufgelegt wurde, versichert Firmenchef David | |
| Neumann: Die Verantwortung „füreinander, sowie gegenüber den Lieferanten, | |
| lokalen Gemeinschaften und Kunden“ werde „ernst“ genommen. | |
| Zum Rechtsstreit in Uganda will Neumann kein Interview geben. Fragen werden | |
| nur per E-Mail beantwortet. Darin wird klargestellt: „Der Verkäufer hat die | |
| ihm vorab zur Verfügung gestellten Beträge genutzt, um Ersatzland zu | |
| erwerben bzw. die Entschädigungen zu zahlen.“ Man hätte sich von Beginn an | |
| mit der ugandischen Regierung darauf verständigt, dass „nur sogenanntes | |
| clean title land für eine spätere Pacht infrage kommt – also Land, das frei | |
| von Ansprüchen dritter Parteien ist“, so Neumann. | |
| Der Konzern gibt offen zu, gewusst zu haben, dass auf dem besagten Land | |
| Bauern leben. Neumann spricht allerdings von 25 Familien – und nicht von | |
| 400, die sich der Klage anschlossen. „Nachdem bekannt wurde, dass ein | |
| Verkauf des Landes im Raum steht, drängten immer mehr Personen auf das | |
| Land“, erklärt Neumann die Diskrepanz und verweist auf ein Schreiben von | |
| Ugandas Investmentminister. Dieser bestätigt: Neumann habe „niemals Leute | |
| von dem besagten Land vertrieben und alle seien voll und angemessen | |
| entschädigt“ worden. | |
| Für diese Entschädigung kämpfen Kayiira und seine Mitstreiter jedoch bis | |
| heute. Auf dem Weg passiert Kayiira einen Schlagbaum. Polizisten und | |
| private Wachmänner inspizieren jedes Fahrzeug. Neumann hat die Piste durch | |
| die Plantage herrichten lassen, eine der besten Straßen in der Umgebung. | |
| Kayiira grüßt und erntet finstere Blicke. Sie alle kennen sich aufgrund des | |
| 22 Jahre währenden Streits. | |
| Die Plantage zieht sich über zahlreiche Hügel. Kaffeesträucher in Reih und | |
| Glied – so weit das Auge reicht. Neumann hat der taz erlaubt, die | |
| Gewächshäuser zu besichtigen, wo 70.000 Setzlinge gezogen werden. Die | |
| hochmoderne Waschstation kann tonnenweise grüne Bohnen bewältigen. | |
| Anschließend werden sie in der Sonne getrocknet, bevor sie, in Säcke | |
| verpackt, in alle Welt exportiert werden. Mit einem Umsatz von über 14 | |
| Millionen Säcken jährlich beherrscht Neumann fast zehn Prozent des | |
| weltweiten Kaffeeverbrauchs. Ein sehr kleiner Teil davon kommt aus Mubende. | |
| Kayiira lebt heute in einer armseligen Lehmhütte mit Wellblechdach, am | |
| Rande der Plantage. Alles, was er einst besaß, hat er verloren. Wenn er | |
| erzählt, stehen ihm Tränen in den Augen. Er kann sich an 2001 noch gut | |
| erinnern, sagt er und setzt sich vor seiner Hütte im Schatten eines | |
| Mangobaums auf einen Schemel. Aus seinem Rucksack kramt er Unterlagen | |
| hervor. | |
| ## Druck auf den Gemeindevorsteher | |
| Darunter ein Schreiben vom Juni 2001, das die Anwälte des ehemaligen | |
| Landeigentümers Kayiwa an den Vorsteher jener Gemeinde, auf der die | |
| Plantage errichtet werden soll, richten. Darin ist von Dringlichkeit die | |
| Rede: „Wir fordern Sie auf, Ihre politische Autorität einzusetzen, die | |
| Leute anzuhalten, das Land so bald wie möglich zu räumen“, steht darin. Der | |
| Investor wolle im September mit der Arbeit beginnen. Das Projekt sei von | |
| „strategischer Wichtigkeit“. | |
| Daraufhin rief der Ortsvorsteher alle Betroffenen zu einer Versammlung ein. | |
| In einer Zeugenaussage vor Gericht, die der taz vorliegt, bestätigt er | |
| später, dass am 18. Juni 2001 neben den Bauern auch Vertreter der | |
| Investmentbehörde sowie zwei Verteter aus Deutschland anwesend waren. Den | |
| Bauern wurde gesagt, sie sollen ihre Ernte einholen – aber nicht mehr neu | |
| anpflanzen. Stattdessen wurde ihnen versichert, der ehemalige | |
| Landeigentümer würde jeder Familie neues Land geben sowie Entschädigung | |
| für das Eigentum, das zerstört werden müsse: Häuser, Ställe, Nutzpflanzen. | |
| Als Frist wurde den Bauern der 31. August gesetzt. „Das waren gerade einmal | |
| sechs Wochen“, so Kayiira. | |
| Dann wurde diese Frist auch noch vorverlegt. Am 7. August sei dem | |
| Gemeindevorsteher mitgeteilt worden, dass Ugandas Präsident Yoweri Museveni | |
| nach Mubende reisen werde, um dem damaligen deutschen Firmenchef Michael | |
| Neumann die Plantage zu übergeben: „Früher als vorgesehen“, stellte der | |
| Gemeindechef vor Gericht klar. Bis zum 15. August müsse das Land geräumt | |
| sein. Das Treffen, bei welchem den Bauern die neue Frist mitgeteilt wurde, | |
| sei „im Chaos geendet“, weil die Bauern „erzürnt“ waren, so die | |
| Zeugenaussage. Auch Kayiira erinnert sich an den Tumult: „Ich wurde an | |
| jenem Abend von Soldaten festgenommen.“ | |
| ## Zwang unter vorgehaltener Waffe | |
| Von da an musste offenbar alles schnell gehen. Soldaten seien „wenige Tage | |
| später“ mit einem Bulldozer angerückt. „Häuser wurden zerstört, Menschen | |
| geschlagen und Nutztiere getötet“, so der Dorfchef. Er bestätigt, dass bis | |
| zu diesem Moment keinerlei Entschädigungen geleistet worden seien. | |
| Stattdessen seien die Familien unter „vorgehaltener Waffe gezwungen worden, | |
| bereits ausgefüllte Formulare zu unterzeichnen, dass sie das Land | |
| freiwillig geräumt hätten und entschädigt worden seien.“ | |
| Als dann am 23. August 2001 Präsident Museveni und Firmenchef Neumann beim | |
| Spatenstich feierlich die ersten Setzlinge pflanzten, seien die Bauern „von | |
| Sicherheitskräften von der Zeremonie ferngehalten worden“. Fotos zeigen: | |
| Die Vertriebenen hausten im angrenzenden Wald im Unterholz. Aus Wellblech | |
| hatten sie sich notdürftig Unterkünfte errichtet. Verzweiflung steht in | |
| ihren Gesichtern. | |
| „Wir wussten nicht, wie es weitergehen soll“, nickt Kayiira und zeigt auf | |
| seine Hütte: „Ich hatte Glück“, sagt er. „Das Grundstück meines Onkels… | |
| außerhalb der Plantage“. Hier konnte er sich niederlassen. „Doch ich | |
| entschied, dass wir dieses Unrecht nicht dulden dürfen.“ Also sammelte er | |
| Unterschriften und reichte eine Sammelklage ein. Er erinnert sich: „Von | |
| Beginn an hatte ich Angst um mein Leben.“ | |
| Seitdem wird der Prozess nach aller Kunst verschleppt, wie so oft in | |
| Uganda. Noch bevor die erste Anhörung 2005 anberaumt ist, wird Hauptkläger | |
| Kayiira aus ungeklärten Gründen erneut verhaftet und sitzt monatelang im | |
| Gefängnis. Der erste Prozesstag findet erst Ende 2006 statt. Die | |
| Neumann-Firmentochter Kaweri weist von vorneherein die Klage zurück: Sie | |
| sei ja nicht für die Vertreibung verantwortlich. Im Jahr 2008 bestätigt der | |
| Richter: Die Deutschen müssten sich den Anschuldigungen stellen. Seitdem | |
| tauchten die Kaweri-Anwälte regelmäßig nicht mehr auf, was das Verfahren | |
| weiter verzögert. | |
| ## Kein Sinn für Menschlichkeit | |
| 2013 fällt das erste Urteil. Darin wird Kaweri zu einer | |
| Entschädigungszahlung von 11 Millionen Euro verpflichtet wegen „Verletzung | |
| der Werte und Rechte der Betroffenen“. Der Firma sei „jeder Sinn der | |
| Menschlichkeit verloren“ gegangen, so der Richter. Ugandas Regierung | |
| hingegen wird freigesprochen. Dabei hatten die Kläger nachweisen können, | |
| dass sie von Soldaten vertrieben worden waren. Kaweri legte Widerspruch | |
| ein, forderte die Suspendierung des Richters. Daraufhin verschwinden | |
| Gerichtsakten, die erst Jahre später wieder auftauchen. | |
| „Ich reiste damals das erste Mal nach Deutschland“, berichtet Kayiira. | |
| [4][Mit Hilfe der deutschen Menschenrechtsorganisation FIAN (Food First | |
| Information and Action Network)] beschweren sich die Bauern 2009 bei der | |
| OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. | |
| Diese hat Leitlinien für multinationale Unternehmen entwickelt. | |
| Im Zuge dessen wird die Option einer außergerichtlichen Einigung erwogen. | |
| 2015 wenden sie sich mit Hilfe von FIAN an das UN-Komitee für | |
| wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR). Dieses „empfiehlt“, | |
| die Bundesregierung solle Mittel einlegen, damit die Betroffenen | |
| Gerechtigkeit erhalten. Seitdem waren sowohl auf deutscher als auch auf | |
| ugandischer Seite zahlreiche hochrangige Politiker involviert. | |
| Doch erst 2017, auch auf Druck der deutschen Regierung, legen Vertreter des | |
| ugandischen Präsidenten den Klägern ein Angebot vor: Sie sollen sich | |
| außergerichtlich einigen. Über die genaue Summe wird weitere zwei Jahre | |
| verhandelt. Die Betroffenen verlangen 30 Millionen Euro. Das letzte Angebot | |
| des Staatsanwaltes lautet: knapp eine Million Euro. Doch nur 258 der rund | |
| 400 Familien sind bereit, diesen Deal einzugehen. Kurz zuvor wird | |
| Hauptkläger Kayiira erneut verhaftet. „Sie beschuldigten mich, die Leute | |
| anzustacheln, sich nicht darauf einzulassen“, erklärt er. | |
| Alle weiteren Anhörungen verzögern sich dann aufgrund der Coronapandemie | |
| und des Lockdowns, der im März 2020 in Uganda verhängt wird. Erst im April | |
| 2021 kam dann die finale Einigung zustande. 2022 wies der Richter Ugandas | |
| Regierung an, die außergerichtliche Entschädigung an die 258 Familien | |
| auszubezahlen. Doch auch dies ist bis heute nicht geschehen, sagen die | |
| Betroffenen. | |
| 143 Klägern, allen voran Kayiira, war dies nicht genug. Sie bestanden auf | |
| den ursprünglichen Forderungen, ihr Land zurückzubekommen. Ihre Klage wurde | |
| ebenfalls 2022 an das Hohe Gericht in Mubende überstellt – mit der Auflage, | |
| den Prozess ganz neu aufzurollen. | |
| Mit neun prallvollen Aktenordnern frisch abgetipper Zeugenaussagen ist | |
| Anwalt Francis Katabalva von Kampala an jenem Morgen jetzt im Juni nach | |
| Mubende gefahren. Der Anzug sitzt, aber das Gesicht wirkt zerknittert: „Das | |
| war sehr viel Arbeit“, seufzt er und guckt entsetzt, als er erfährt, dass | |
| der Richter nicht zum Termin erscheinen wird: „Wie soll es auch anders | |
| sein?“, lacht er sarkastisch. | |
| Als er zum ersten Mal mit dem Fall zu tun hatte, war er ein junger Gehilfe | |
| in der Kanzlei, erzählt er. Mittlerweile ist Katabalva Partner und hat das | |
| Verfahren immer noch an der Backe. „Ich kann mit Stolz sagen, am längsten | |
| Prozess in Ugandas Rechtsgeschichte teilgenommen zu haben“, schmunzelt er. | |
| 22 Jahre sind eine lange Zeit. Mittlerweile sind 29 der 400 Kläger*innen | |
| tot. Deren Kinder führen das Verfahren fort. „Die Vertreibung hat auch mein | |
| Leben zerstört“, berichtet der 35-jährige Richard Kafuuma. Im gebügelten | |
| Hemd steht er an jenem Morgen vor dem Gericht in Mubende. Er war bei der | |
| Vertreibung gerade einmal 13 Jahre alt. Seitdem ist er nie wieder zur | |
| Schule gegangen, weil seine Eltern kein Geld mehr hatten für Schulgebühren. | |
| Die Hoffnung auf eine Entschädigungszahlung hat er aufgegeben. Kafuuma | |
| sagt: „Wir wollen doch nur Gerechtigkeit.“ | |
| 29 Jul 2024 | |
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| [1] https://www.nkg.net/de/ | |
| [2] https://www.bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2024/pm-240517-reise-tan… | |
| [3] https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/Gesetz-Unterneh… | |
| [4] https://www.fian.de/was-wir-machen/fallarbeit/kaweri-uganda/ | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
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