# taz.de -- Pressefreiheit in Israel: Bibis Medien-Blockade | |
> Netanjahus Boykott der „Haaretz“ ist ein weiterer Schritt im Kampf gegen | |
> freie Presse in Israel. Auch der Sender Kan ist jetzt ins Fadenkreuz | |
> geraten. | |
Bild: Redaktionsgebäude von Haaretz: Die Haaretz gehört zu den schärfsten Kr… | |
Jerusalem taz | Ein „weiterer Schritt auf Netanjahus Weg zur Demontage der | |
israelischen Demokratie“. So beschreibt die linksliberale israelische | |
Haaretz die aktuellen Maßnahmen der Netanjahu-Regierung gegen die Zeitung. | |
„Wie seine Freunde Putin, Erdoğan und Orbán versucht auch Netanjahu, eine | |
kritische, unabhängige Zeitung zum Schweigen zu bringen.“ | |
Die Haaretz gehört zu den schärfsten Kritikern der Netanjahu-Regierung, sie | |
berichtet seit dem 7. Oktober 2023 unermüdlich über das Schicksal der | |
Geiseln in Gaza und die Kriegsführung der israelischen Armee. [1][Am 24. | |
November beschloss das israelische Kabinett einstimmig Maßnahmen gegen die | |
Haaretz.] Die Resolution, die nicht auf der veröffentlichten Tagesordnung | |
des Kabinettmeetings stand, war ein Vorstoß des Kommunikationsministers | |
Shlomo Karhi (Likud). Sie wurde im Vorfeld auch nicht wie üblich vom | |
Generalstaatsanwalt überprüft. | |
Haaretz selbst spricht in einem Artikel von „Sanktionen“ und einem | |
„Boykott“ gegen die Zeitung. In Zukunft sollen alle Regierungsvertreter und | |
Angestellten von staatlich-finanzierten Behörden nicht mehr mit ihr | |
kommunizieren dürfen, heißt es im Kabinettsbeschluss. Sie sollen auch keine | |
Anzeigen mehr in der Zeitung schalten dürfen, wie sie es in Vergangenheit | |
etwa mit Öffentlichkeitskampagnen zu Verkehrssicherheit oder | |
Luftschutzmaßnahmen getan hatten (2021 gab der Staat etwa 3,5 Millionen | |
Shekel für solche Anzeigen in der Haaretz aus, umgerechnet rund 800.000 | |
Euro). | |
Ob das überhaupt legal ist, wird vermutlich demnächst vor Gericht | |
verhandelt werden. Sicher ist: Sie sind in der israelischen Geschichte | |
beispiellos. Und sie stellen die nächste Eskalationsstufe eines Kriegs | |
gegen eine freie, kritische Presse in Israel dar, die Premierminister | |
Benjamin Netanjahu schwächen, wenn nicht zerstören will. | |
## Leitartikel gegen Israel | |
Begründet hat Kommunikationsminister Karhi den Kabinettsbeschluss mit | |
„vielen Leitartikeln“ der Zeitung, „die Legitimität des Staates Israel u… | |
sein Recht auf Selbstverteidigung verletzt haben, insbesondere die | |
Äußerungen des Herausgebers von Haaretz, Amos Schocken, in London, die den | |
Terrorismus unterstützen und Sanktionen gegen die Regierung fordern“. | |
Schocken sagte im Oktober auf einer Konferenz der Zeitung, dass Netanjahu | |
„sich nicht darum schert, der palästinensischen Bevölkerung ein grausames | |
Apartheidregime aufzuzwingen“. Er sprach von „palästinensischen | |
Freiheitskämpfern, die Israel Terroristen nennt“. Die Äußerungen sorgten | |
innerhalb und außerhalb Israels für Empörung, Schocken ruderte schnell | |
wieder zurück und präzisierte, dass er damit nicht die islamistische | |
Terrororganisation Hamas gemeint habe. Er betonte: „Der Einsatz von Terror | |
ist nicht legitim.“ | |
Doch Kommunikationsminister Karhi hatte damit schon den Anlass, auf den er | |
spätestens seit November 2023 gewartet hat. Damals schrieb er auf X, dass | |
er die Finanzierung der Haaretz stoppen will, indem er etwa die | |
Zeitungsabos sämtlicher Regierungsstellen sowie der Polizei und Armee | |
kündigen wolle. Nach den Äußerungen von Schocken sah er seine Chance, | |
endlich gegen die Zeitung vorzugehen. | |
Die Kampagne ist nur eine von mehreren Fronten in Netanjahus Krieg gegen | |
die israelischen Medien. „Netanjahu sieht die Medien als Feind“, sagt Oren | |
Persico von The Seventh Eye, einem unabhängigen Online-Magazin in Israel | |
mit dem Schwerpunkt Medien und Pressefreiheit, der taz. „Und wer ihm nicht | |
loyal ist, wird selbst zum Ziel.“ Persico sieht diese Kampfansage an die | |
Medien als Teil derselben Strategie, die israelische Demokratie, Justiz und | |
Akademie zu schwächen. | |
## Narrative kontrollieren | |
Ähnlich sieht es Anat Saragusti. Sie ist zuständig für Pressefreiheit bei | |
der israelischen Journalistenunion. „Netanjahu will wie jedes | |
populistisches Regime das Narrativ kontrollieren, über den Krieg und sich | |
selbst“, sagt sie der taz. Sie spricht von einer „Hetzkampagne“ gegen die | |
Medien. Die Gewerkschaft überprüfe aktuell, ob sie nach der | |
Haaretz-Resolution eine Beschwerde beim Obersten Gerichtshof einlegen | |
werde. | |
Auch der öffentlich-rechtliche Sender Kan, erst 2017 gegründet, ist nun ins | |
Fadenkreuz geraten, vor allem dessen Nachrichtenprogramme. | |
Kommunikationsminister seit der vergangenen Wahl 2022 haben Karhi sowie | |
andere Likud-Abgeordneten zahlreiche Gesetzesvorlagen in die Knesset | |
eingebracht, die die Unabhängigkeit des Senders de facto zerstören sollen – | |
durch Kürzungen, Regierungskontrolle und Privatisierung. | |
Oppositionsanführer Yair Lapid (Yesh Atid) sieht in dem Gesetzesentwurf | |
„einen Angriff auf die israelische Demokratie“. | |
Netanjahu und seine Anhänger delegitimieren immer wieder diverse Medien in | |
Israel. Sie bezeichnen etwa den privaten Sender Keshet 12 als „Al Jazeera | |
12“, in Anspielung auf den arabischen Sender, in Israel inzwischen verboten | |
und von Netanjahu als „Terrorkanal“ bezeichnet worden (der Sender wird vom | |
katarischen Staat finanziert und von unterschiedlichen Beobachtern als | |
Sprachrohr der Hamas kritisiert). | |
2019 druckte Netanjahus Wahlkampfteam die Gesichter prominenter | |
Medienvertreter auf Billboards, mit den Worten „Sie werden nicht | |
entscheiden“ – was viele als Anfeindung verstanden. Und in Israel spricht | |
man von der „Giftmaschine“ Netanjahus, von den loyalen Influencern, | |
Kommentatoren und Online-Trollen, die er zur Hetze auf Journalisten | |
aufstachelt. | |
## Angriffe auf die Pressefreiheit | |
All das führe zu einem rasanten Anstieg an körperlichen Angriffen gegen die | |
Presse in der Öffentlichkeit, sagt Anat Saragusti von der israelischen | |
Journalistenunion. Die Gewerkschaft dokumentiert solche Vorfälle auf einer | |
interaktiven Karte: Alleine seit dem 7. Oktober 2023, dem Überfall der | |
islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel, gab es 35 – für das | |
kleine Land sind das viele. Das Berichten über die diversen Proteste im | |
Land wird etwa immer gefährlicher, die Gewalt gegen die Presse geht oft von | |
der Polizei oder von Nationalreligiösen aus – mit Tritten, Schlägen, | |
Spucken und Beschimpfungen. | |
Gleichzeitig versucht Netanjahu schon seit Jahren, sein eigenes Netzwerk | |
loyaler Medien aufzubauen. In den unterschiedlichen Korruptionsfällen gegen | |
ihn spielen die Medien eine zentrale Rolle: Es geht neben Champagner, | |
Zigarren und Schmuck im Wert von mehreren Hunderttausend Euro, Geschenke, | |
die er bekommen haben soll, auch um schmeichelhafte Schlagzeilen über ihn | |
und seine Familie, die er als Gegenleistung für politische Gefälligkeiten | |
habe erwirken wollen. | |
Vielleicht das loyalste Medium war die kostenlose Zeitung Israel Hayom, die | |
in Israel Bibiton genannt wurde – zu Deutsch „Bibizeitung“, in Anspielung | |
auf seinen Spitznamen. Die Zeitung, inzwischen die meistgelesene Israels, | |
wurde 2007 vom US-amerikanischen Casino-Millionär und Trump-Großspender | |
Sheldon Adelson gestartet. | |
Damit wollte Adelson Netanjahu wieder ins Amt des Premierministers hieven, | |
mit einem Sprachrohr der Hofberichterstattung. Mehr als 50 Millionen Dollar | |
sollen laut israelischen Medien alleine in den ersten Jahren in das Projekt | |
geflossen sein. Und der Plan ging auch auf: 2009 wurde Netanjahu wieder | |
gewählt und regiert seitdem – mit Ausnahme von 2021 bis 2022 – | |
ununterbrochen. | |
## Streit mit „Israel Hayom“ | |
Doch inzwischen rückt Israel Hayom von Netanjahu ab, es soll Zoff zwischen | |
den Netanjahus und den Adelsons gegeben haben, obwohl die Blattlinie | |
weiterhin eine rechte ist. Der Premierminister setzt stattdessen auf | |
Channel 14, einen Privatsender, den einige im Land mittlerweile als | |
rechtsradikal bezeichnen. Dieser verbreitet etwa Verschwörungserzählungen | |
wie die eines linksliberalen „Deep States“ innerhalb der israelischen | |
Armee. Immer wieder werden zu Kriegsverbrechen gegen Palästinenser | |
aufgerufen. Und dort ist Bibi ein Dauergast, während er sämtlichen anderen | |
israelischen Medien in der Regel keine Interviews gibt. | |
Trotzdem bleibt Anat Saragusti von der israelischen Journalistenunion | |
vorsichtig optimistisch. „Netanjahu wird mit diesem Medienkrieg nicht | |
erfolgreich sein, weil der öffentliche Diskurs in Israel ein reger ist“, | |
sagt sie. „Die Haaretz wird zum Beispiel gerade wegen dieser Kampagne viel | |
stärker. Ich hoffe, dass auch andere Medien sich mit ihr solidarisieren.“ | |
Oren Persico ist ambivalenter. „Die Privatisierung von Kan wird sicherlich | |
vor dem Obersten Gerichtshof landen“, sagt er. „Und entweder kommt | |
Netanjahu damit durch und gewinnt. Oder es wird zurückgewiesen und er hat | |
einen weiteren Beweis dafür, dass die Justiz und die linksgerichteten | |
Medien unter einer Decke stecken, um ihn zu zerstören.“ Für Netanjahu ein | |
Win-Win. | |
6 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Pressefreiheit-unter-Netanjahu/!6051995 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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