Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berichterstattung im Nahost-Konflikt: „Israel nimmt Journalisten …
> Mindestens 128 Journalisten wurden im aktuellen Krieg getötet. Israel
> gehe systematisch gegen die Presse vor, sagt CPJ-Präsidentin Jodie
> Ginsberg.
Bild: Am 31. Juli sterben der Al-Jazeera-Journalist Ismail al-Ghoul und der Kam…
taz: Frau Ginsberg, seit Beginn des Krieges in Gaza wurden [1][mehr
Journalisten getötet als in jedem anderen Konflikt], seit Ihr Komitee
solche Fälle dokumentiert. Woran liegt das?
Jodie Ginsberg: An der Art und Weise, wie dieser Krieg geführt wird. Der
Gazastreifen ist ein sehr kleines Gebiet, es gibt wahllose Bombardierungen
und kaum sichere Orte. Auch Orte wie Krankenhäuser und Flüchtlingslager,
die Journalisten während eines Krieges oft aufsuchen, um von dort zu
berichten, wurden angegriffen. Darüber hinaus gibt es mehrere Fälle, in
denen wir glauben, dass Journalisten absichtlich ins Visier genommen
wurden.
taz: Nimmt die israelische Armee Journalisten systematisch ins Visier?
Ginsberg: Uns sind [2][mindestens fünf Fälle bekannt, in denen Journalisten
gezielt ins Visier genommen wurden], und wir untersuchen mindestens zehn
weitere Fälle von gezielter Tötung. Aber die Zahl könnte weitaus höher
sein.
taz: Die vorsätzliche Tötung von Journalisten ist ein Kriegsverbrechen …
Ginsberg: Eine der Schwierigkeiten in diesem Krieg besteht darin, die
Informationen zu bekommen, die wir brauchen, um festzustellen, ob jemand
absichtlich als Journalist angegriffen wurde. Was wir sagen können, ist,
dass Israel systematisch versucht, Berichterstattung aus und über den
Gazastreifen zu unterdrücken. Dazu gehören auch die willkürlichen
Verhaftungen von Journalisten und die Angriffe auf Medienhäuser – wie das
im Mai verabschiedete Gesetz, das die Regierung ermächtigte, die [3][Büros
von Al Jazeera] in Jerusalem und Ramallah zu schließen.
taz: Sie gehen von mindestens 128 Journalisten aus, die seit dem 7. Oktober
2023 getötet wurden. Reporter ohne Grenzen haben [4][mindestens 130 Fälle]
gezählt, der Internationale Journalistenverband (IJF) [5][mindestens 140],
andere sogar [6][über 175]. Warum gibt es unterschiedliche Zahlen?
Ginsberg: Verschiedene Organisationen haben verschiedene Methoden, wie sie
zählen und wen sie als Journalisten definieren. Wir brauchen mindestens
zwei Quellen, um zu überprüfen, ob jemand ein praktizierender Journalist
war oder nicht, und um zu bestätigen, wie er oder sie getötet wurde. Wir
verbringen viel Zeit damit, sicherzustellen, dass unsere Informationen
korrekt sind. Deshalb sind unsere Zahlen nicht immer genau gleich. Und das
ist nicht nur in Gaza so, sondern auch anderswo. Im Moment brauchen wir
aufgrund der Lage dort sehr lange, alle Angaben zu überprüfen. Das ist
wichtig, weil es für spätere Untersuchungen von Kriegsverbrechen relevant
sein kann.
taz: Unter den Opfern sind auch Mitarbeiter von Al Aqsa TV, dem TV-Sender
der Hamas, oder von Palestine TV, das der palästinensischen
Autonomiebehörde nahesteht. Manche würden sie als Propagandisten
bezeichnen. Wie stehen Sie dazu?
Ginsberg: Um zu entscheiden, ob jemand Journalist ist, schauen wir uns
seine Arbeit an: Berichtet er auf der Grundlage von Fakten oder nicht? In
vielen Teilen der Welt gibt es Mitarbeiter von Medien, die von einigen als
Propagandaorgane angesehen werden, die wir in unsere Liste der getöteten
und verletzten Journalisten aufnehmen. Es gibt die Redensart: der Terrorist
des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen. Für uns ist es sehr
wichtig, kein Urteil darüber zu fällen, welche Medien gut oder schlecht
sind. Denn viele autoritäre Regime, etwa Russland, betrachten unabhängige
Medien generell als Propagandaorgane.
taz: Vor zwei Wochen wurde in Gaza [7][der 19-jährige Journalist Hassan
Hammad] getötet. Zuvor soll er über Whatsapp von einer israelischen Nummer
Morddrohungen erhalten haben. Ist das ein Einzelfall?
Ginsberg: Nein. Bereits Ende vergangenen Jahres haben wir von Fällen
berichtet, in denen Journalisten diese Art von Warnungen erhielten – etwa,
dass ihre Wohnung angegriffen würde.
taz: Werden auch ihre Familien absichtlich ins Visier genommen? Der
bekannte Al-Jazeera-Reporter Wael al-Dahdouh verlor 25 Angehörige bei einem
israelischen Luftangriff Ende Oktober 2023. Zuvor waren sie aufgefordert
worden, ihr Haus zu verlassen.
Ginsberg: Es ist durchaus möglich, dass dies beabsichtigt war. Das kann man
nicht mit absoluter Gewissheit sagen. Aber wenn man sich ansieht, wie
Journalisten gewarnt werden und ihre Häuser, in denen ihre Familien leben,
bombardiert werden, kann man zu diesem Schluss kommen.
taz: Zwei Monate später, im Januar 2024, wurde sein Sohn [8][Hamza
al-Dahdouh und dessen Kollege Mustafa Thuria durch einen gezielten
israelischen Drohnenangriff getötet]. Die israelische Armee erklärte
später, die beiden seien „Terroristen“ gewesen.
Ginsberg: Auch das ist ein Muster, das wir immer wieder sehen und das wir
schon 2022 in unserem [9][Bericht „tödliches Muster“] kritisiert haben.
Entweder Israel leugnet jede Verantwortung oder behauptet, dass in der Nähe
geschossen oder gefeuert wurde. Oder es wird behauptet, dass der getötete
Journalist ein Terrorist war.
taz: Wie können Sie ausschließen, dass einige der getöteten Journalisten
tatsächlich in Terror verwickelt waren?
Ginsberg: Wir sind nicht die CIA oder ein anderer Geheimdienst. Aber wenn
wir glaubwürdige Informationen erhalten, die belegen, dass jemand ein
Terrorist war, dann würden wir ihn von unserer Liste streichen. Wir nehmen
keine Personen auf, die in militante Aktivitäten verwickelt sind. Aber in
keinem der Fälle auf unserer Liste hat Israel einen glaubwürdigen Beweis
für diesen Vorwurf vorgelegt. In einem Fall haben sie sogar behauptet, dass
jemand im Alter von zehn Jahren ein Mitglied der Hamas gewesen sein soll.
Die Verleumdung von Journalisten als Terroristen ist eine bewusste Taktik,
um Zweifel zu säen und deren Glaubwürdigkeit zu untergraben. Das sehen wir
bei autoritären Regimen immer wieder – und auch bei Israel.
taz: Bereits am 13. Oktober 2023, vor dem aktuellen Einmarsch, nahm die
israelische Armee sieben Journalisten im Südlibanon ins Visier. Der
Reuters-Videojournalist Issam Abdallah wurde getötet, die AFP-Fotografin
Christine Assi verlor ein Bein. Trotz [10][erdrückender Beweise für ein
Kriegsverbrechen] gab es bis heute keinerlei Konsequenzen. Warum nicht?
Ginsberg: Der Fall wurde von verschiedenen Seiten untersucht. Sie alle
kamen zu dem Schluss, dass Israel gewusst haben muss, dass es sich um
Journalisten handelte, und sie absichtlich ins Visier nahm. Ihr Kollege
Dylan Collins, ein US-Bürger, meldete den Angriff der US-Botschaft in
Beirut, während er sich im Krankenhaus von seinen Verletzungen erholte, die
er bei dem Angriff erlitten hatte. Bis heute haben die USA trotz der
erdrückenden Beweislage keine Untersuchung des Angriffs angekündigt. Wir
wissen immer noch nicht, was Israel in diesem Fall getan hat, welche
Einheit beteiligt war und wer den Befehl gab.
taz: Erkennen Sie darin ein Muster?
Ginsberg: Ja, wir haben bereits im Mai 2022 einen [11][Bericht] erstellt,
der den Titel „tödliches Muster“ trug. Darin haben wir festgestellt, dass
die israelische Armee in den letzten 22 Jahren 20 Journalisten getötet hat
– und nie wurde jemand dafür zur Rechenschaft gezogen. Ja, es gibt ein
Muster: Journalisten werden von Israel ins Visier genommen und getötet. Und
niemand wird dafür zur Rechenschaft gezogen.
taz: Die prominente Al-Jazeera-Reporterin Shirin Abu Akleh wurde im Mai
2022 im Westjordanland von einem israelischen Soldaten erschossen, als sie
aus Dschenin berichtete. Sie war US-Staatsbürgerin. Was tun die USA, um
dagegen vorzugehen?
Ginsberg: Israel behauptet, dass es sich zur Pressefreiheit bekennt, aber
seine Handlungen sprechen eine andere Sprache. Leider gibt es von der
internationalen Gemeinschaft keinen Druck auf Israel, Konsequenzen zu
ziehen. Es scheint, als ob Israel einen Blankoscheck hat.
taz: Was können Sie Druck auf die US-Regierung ausüben, damit sich das
ändert?
Ginsberg: Wir drängen die US-Regierung, alle ihr zur Verfügung stehenden
Mittel einzusetzen, um Druck auf Israel auszuüben. Wir schlagen weiterhin
Alarm und dokumentieren diese Fälle, um das Bewusstsein zu schärfen und zu
zeigen, dass das, was Israel sagt, und das, was es tut, nicht
übereinstimmen.
taz: Seit dem Krieg hat Israel [12][mindestens 66 palästinensische
Journalisten verhaftet], die meisten im Westjordanland. Über 40 sind immer
noch in Haft und werden nach dem israelischen Verwaltungshaftgesetz, das
eine unbegrenzte Haft erlaubt, ohne Anklage festgehalten. Was können Sie
tun, um ihnen zu helfen?
Ginsberg: Das ist extrem schwierig. Viele dieser Personen wurden
willkürlich inhaftiert. Wir wissen nicht, wie die Anschuldigungen lauten,
und wir wissen auch nicht immer, wo sie festgehalten werden. Wir versuchen,
diesen Menschen rechtlichen Beistand zu leisten. Aber die Anwälte sind
völlig überfordert und das Rechtssystem ist völlig überlastet. Was wir
darüber hinaus tun können, ist, diese Fälle zu dokumentieren und zu
berichten.
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ hat beim Internationalen
Strafgerichtshof (IStGH) vier Strafanzeigen wegen Kriegsverbrechen gegen
Medienmitarbeiter in Gaza eingereicht, die letzte am 24. September 2024. Al
Jazeera hat ebenfalls Anzeige erstattet. Sie auch?
Ginsberg: Das ist derzeit nicht unsere Priorität. Aber wir wissen, dass ein
Großteil der von uns erstellten Dokumente von anderen in ihren
Stellungnahmen verwendet werden. Der Chefankläger des IStGH hat ein Gremium
von Völkerrechtsexperten einberufen, um einen IStGH-Haftbefehl zu
unterstützen. Viele unserer Recherchen sind in die Unterlagen eingeflossen,
die von diesem Gremium geprüft wurden, und wir sammeln weiterhin Beweise,
die in künftigen Eingaben verwendet werden können.
taz: Keiner der 4.000 Journalisten aus aller Welt, die sich in Israel
akkreditiert haben, um über den aktuellen Krieg zu berichten, darf in den
Gazastreifen. Was hat das für Folgen?
Ginsberg: Je weniger Journalisten in der Lage sind, die Situation zu
dokumentieren, desto weniger werden wir in der Lage sein, zu sehen, was
wirklich in Gaza passiert. Je mehr Journalisten getötet und inhaftiert
werden und je länger die Menschen dort ohne Nahrung, Treibstoff, Unterkunft
und medizinische Versorgung sind, desto weniger Informationen werden wir
erhalten – weil sie die einzigen sind, die diese Bilder liefern können. Das
könnte diese Tragödie verlängern.
taz: Erhalten die Kriegsverbrechen in Gaza genug Aufmerksamkeit?
Ginsberg: Nein, ich finde, es wird nicht genug darüber berichtet, und das
Problem erhält auch nicht annähernd genug Aufmerksamkeit. Es wird zum Teil
heruntergespielt, oder es wird eine verharmlosende Sprache verwendet. Ich
glaube, dass sich manche Leute zum Teil scheuen, die Gräueltaten, die
begangen werden, beim Namen zu nennen, weil sie fürchten, als antisemitisch
gebrandmarkt zu werden, wenn sie das tun. Aber leider sind die Fakten und
das Bild unbestreitbar.
Wiegt der Vorwurf des Antisemitismus wirklich so schwer?
Ginsberg: Sehen Sie, was mit der New York Times passiert ist, nachdem sie
[13][darüber berichtet] hat, das israelische Soldaten Kindern in den Kopf
oder die Brust geschossen haben sollen? Allein das Ausmaß der Kritik, das
sie dafür erhalten hat, erklärt zum Teil, warum die Leute vorsichtig sind.
24 Oct 2024
## LINKS
[1] /Palaestinensische-Reporter-in-Gaza/!5972310
[2] https://cpj.org/2024/10/one-year-and-climbing-israel-responsible-for-record…
[3] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!6037946
[4] https://rsf.org/en/one-year-gaza-how-israel-orchestrated-media-blackout-reg…
[5] https://www.ifj.org/war-in-gaza
[6] https://theintercept.com/2024/10/11/gaza-journalists-targeted-israel-killed/
[7] https://cpj.org/data/people/alhassan-hamad/
[8] /Reporter-ohne-Grenzen-ueber-Gaza-Krieg/!5982676
[9] https://cpj.org/reports/2023/05/deadly-pattern-20-journalists-died-by-israe…
[10] https://cpj.org/thematic-reports/no-justice-for-journalists-targeted-by-is…
[11] https://cpj.org/reports/2023/05/deadly-pattern-20-journalists-died-by-isra…
[12] https://cpj.org/2024/10/arrests-of-palestinian-journalists-since-start-of-…
[13] https://www.nytimes.com/interactive/2024/10/09/opinion/gaza-doctor-intervi…
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Feinde der Pressefreiheit
Gaza-Krieg
getötete Journalisten
Israel Defense Forces (IDF)
GNS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Israelische Angriffe auf Gaza: Können Journalisten Terroristen sein?
Gaza ist ein Friedhof für Journalisten. Doch Israel behauptet immer wieder,
eigentlich Terroristen zu treffen. Die Unterscheidung ist manchmal schwer.
Pressefreiheit in Palästinensergebieten: Autonomiebehörde erlässt Sendeverbo…
Dem katarischen Sender Al Jazeera wird Verbreitung von „Falschinformationen
und Hetze“ vorgeworfen. Auch Israel hat schon ein Sendeverbot erlassen.
Pressefreiheit in Israel: Bibis Medien-Blockade
Netanjahus Boykott der „Haaretz“ ist ein weiterer Schritt im Kampf gegen
freie Presse in Israel. Auch der Sender Kan ist jetzt ins Fadenkreuz
geraten.
Rechtsregierung in Israel: Gegen Justiz, UNRWA und Demokratie
Israels Regierung wartet zur neuen Sitzungsperiode mit kontroversen
Gesetzesvorschlägen auf. So soll etwa das UN-Palästinenserhilfswerk
blockiert werden.
Getötete Journalisten im Libanon: Israels Militär griff Unterkunft von TV-Tea…
Im libanesischen Hasbaya wurden drei Journalisten bei einem Angriff auf
ihre Unterkunft getötet. Nicht nur der Libanon wirft Israel Absicht vor.
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++: Drei TV-Journalisten bei israelischem A…
Bei einem Luftangriff im Libanon sind laut Staatsmedien drei Journalisten
getötet worden. EU-Ratschef erwartet Debatte über Israel-Sanktionen.
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++: Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde D…
Die internationale Konferenz in Paris verspricht dem Libanon humanitäre
Hilfe, aber auch militärische zum Ausbau der Streitkräfte. Welthungerhilfe:
„apokalyptische Zustände“ in Gaza.
Protestbewegung im Libanon: Revolution statt Krieg
Am 17. Oktober vor fünf Jahren demonstrierten Massen im Libanon erstmals
für eine Revolution. Was bedeutet der Nahostkrieg für diese Menschen?
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Israel schließt Al-Jazeera
Hisbollah schießt Raketen auf Israels Norden. Israel schließt Al-Jazeera im
Westjordanland. Zehntausende demonstrieren für Waffenstillstand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.