# taz.de -- Porträt einer St.Pauli-Legende: „Musik ist wie Drogen, nur besse… | |
> Ulli Koch ist Putzkraft im Pudel Club auf St. Pauli. Er saß im Knast mit | |
> Konrad Kujau, trank Wodka mit Campino – und hat viel zu erzählen. | |
Bild: Uli Koch blickt auf ein bewegtes Leben zwischen Kriminalität, und Drogen… | |
Noch friedlich schlummernd liegt der [1][Golden Pudel Club] neben dem | |
[2][Park Fiction], im Zwielicht eines verregneten | |
St.-Pauli-Samstagvormittags. Mülleimer, Kehrblech und Handfeger empfangen | |
uns an der Außentreppe, im Pudel-Inneren riecht es nach dem kalten Rauch | |
wummernder Nächte und Wischwasser. Ulli Koch ist schwer in Aktion. Ob wir | |
irgendwie helfen können? „Das ist nett, aber nee, dann dauert das doppelt | |
so lange.“ | |
Er stellt den Wischmopp beiseite. Dass dieser Ort sein zweites Wohnzimmer | |
ist, hätte der 65-Jährige gar nicht sagen müssen. Man fühlt es sofort. Koch | |
ist ein aufmerksamer Gastgeber, serviert über die Theke vorzüglichen | |
Espresso und macht sich selbst einen Tee mit einigen Löffeln Zucker. Zuvor | |
wischt er noch die Theke ab. Er trägt einen verwaschenen roten Hoodie und | |
eine marineblaue Wollmütze mit der Aufschrift „Fish or die“. | |
Der unauffällige Eindruck täuscht und rührt vielleicht noch von gewissen | |
Zeiten her, die Ulli Koch den Spitznamen „Graue Eminenz“ bescherten. | |
Öffentlichkeitsscheu ist Uli Koch allerdings nicht. So trat er etwa 2013 in | |
einem Musikvideo von [3][Tocotronic] auf, natürlich im Pudel gedreht: „Ich | |
will nüchtern für dich bleiben“. Ein Motto, das Ulli Koch, im Jahr 2012 zu | |
seinem eigenen machte. Bis dahin war es ein langer Weg, ausführlich | |
nachzulesen in seiner Autobiografie mit dem klingenden Titel „Ulli, | |
illegal“ (2020), verfasst zusammen mit Daniela Reis (Ex-Schnipo Schranke). | |
## Abgeschoben ins Heim | |
Geboren in Marne bei Dithmarschen, verbrachte Ulrich Koch die ersten Jahre | |
bei den Großeltern. Einfamilienhaus, Hühner, Pferde, großer Garten – | |
„behütet halt“. Die Mutter fuhr als Servicekraft zur See. Zurück kam sie | |
eines Tages mit neuem Mann im Schlepptau. Sie zogen nach Westfalen und | |
schleppten Ulli mit. Ein Stiefbruder wurde geboren und Ulli, inzwischen 6 | |
Jahre alt, abgeschoben ins Heim nach Rendsburg-Schleife. | |
Schon da hat er die größten Verbrecher kennengelernt, wie er sagt, später | |
traf man sich wieder. Mit 13 Jugendarrest, 110 Autos geknackt, einmal | |
erwischt worden. Na ja, passiert. Es folgten weitere Gefängnisaufenthalte, | |
und auch, wenn er natürlich lieber frei gewesen wäre: Gelernt hat Ulli Koch | |
im Knast so einiges. | |
Das Zeichnen zum Beispiel, wenn auch zunächst aus pragmatischen Gründen. Im | |
Popart-Stil porträtierte er Mitinsassen mit ihren jeweiligen Tatwaffen und | |
verkaufte seine Werke dann für 20 Mark pro Stück, oder tauschte gegen Tabak | |
und Obst. Wenn Ulli, einmalig verschmitzt, von diesen Zeiten erzählt, fügen | |
sich die cremefarbenen Gitter, die aus jenen Zeiten stammen, als der Pudel | |
noch ein Schmugglergefängnis war, sehr passend in den Hintergrund. | |
Nach Hamburg ging es quasi direkt aus dem Knast. Sein Onkel, Norbert Karl | |
(verstorben 2004), Betreiber legendärer Szenelocations wie dem Tempelhof | |
und dem Sorgenbrecher, glaubte immer an ihn und holte ihn her. Am | |
[4][Theater Kampnagel] entdeckte Ulli seine Begeisterung für die Kunst | |
weiter, leider aber auch das Kokain. Das Heroin kam wenig später. | |
Ende der 1980er saß er wieder ein, in der berüchtigten JVA Fuhlsbüttel, im | |
Volksmund „Santa Fu“ genannt, gleichzeitig mit dem späteren | |
Reemtsma-Entführer Thomas Drach sowie [5][Konrad Kujau, dem Fälscher der | |
„Hitler-Tagebücher“]. Interessiert spähte Ulli dem prominenten Mithäftli… | |
beim Zeichnen über die Schulter. „Ich habe dann auch versucht, einen | |
Hundertmarkschein zu kopieren“, erzählt Ulli, sehr nüchtern, wie er heute | |
ist. „Aber dafür muss man wirklich ein Meister sein, und das war ich | |
nicht.“ | |
## Junge für alles | |
Nach der Entlassung gab Onkel Norbert ihm eine weitere letzte Chance und | |
nahm den zwar süchtigen, aber eben auch grundpatenten Neffen mit an Bord | |
des „Raumschiffs Pudel“, kurz nachdem Norbert Karl 1989 zusammen mit | |
[6][Rocko Schamoni] und [7][Schorsch Kamerun] das bis dato leerstehende, | |
über dem St.-Pauli-Fischmarkt hockende Hexenhäuschen gepachtet hatte. Zu | |
dieser Zeit noch mitten in der Entgiftung, heuerte Ulli im Pudel (der | |
vorher im Schanzenviertel ansässig und noch nicht golden war) als Junge für | |
alles an, schlug überflüssige Wände mit dem Vorschlaghammer ein, schippte | |
Schutt- und Sandberge weg. | |
In den frühen 1990ern war hier noch vieles anders, noch nicht so viel | |
Elektronik-Dancefloor zum Beispiel, dafür Thementage zu verschiedenen | |
Musikgenres, wie HipHop. Einer, der in dieser Zeit häufig im Pudel abhing, | |
war der Rapper Jan Delay, damals so um die süße 16. „Der hat hier sozusagen | |
in der Sandkiste gespielt. Und auch gleich seine Beginner mitangeschleppt.“ | |
Ulli Koch erinnert sich gern und zeigt auch die Ecke im Pudel, in der er | |
einst mit Nina Hagen plauderte. Eine besondere Nacht war auch die mit | |
[8][Campino] im Außengehege durchzechte, der Wodka floss in Strömen, | |
weshalb sich niemand an Details erinnert. | |
Während wir so dasitzen, fast im Dunkeln, huschen die Glitzerschatten | |
vergangener Nächte an den Wänden entlang. In Ullis Laterna magica sind so | |
viele Geschichten, dass ein einziges Buch über ihn eigentlich gar nicht | |
reicht. Heute lebt er nicht mehr ganz so wild. Lieber baut er Lego und | |
Lebkuchenhäuser mit Enno, dem 6-jährigen Sohn seiner Freundin – das | |
Bäckerhandwerk erlernte Ulli in der JVA Neumünster. | |
Dann ist da auch noch die Musik, und davon gibt’s im Pudel ja genug. | |
Elektronisches ist zwar eher nicht so sein Ding, lieber handgemachtes wie | |
Bob Dylan. Chris Imler zum Beispiel fand er aber schon cool, auch DJ Koze | |
hat ihn beeindruckt, nicht nur, weil die Leute da bis zum | |
Hein-Köllisch-Platz Schlange stehen, um in den Pudel reinzukommen. „Ich | |
habe auch versucht,„Musik ist wie Drogen, nur besser, ganz einfach“, findet | |
Ulli, der selbst ein bisschen Gitarre und Bass spielt, hat er in der | |
Therapie gelernt. | |
## Skulpturen aus urbanem Treibgut | |
Auch die bildende Kunst begleitete ihn weiter. Neben dem Zeichnen brachte | |
er sich das Tätowieren bei, baute Skulpturen aus urbanem Treibgut, stellte | |
seine Arbeiten 2017 im Pudel aus und rezitierte dazu aus seinem Manuskript. | |
„Hier Dinge zu erledigen, hat für ihn den gleichen Stellenwert, wie sein | |
Buch zu schreiben oder seine Bilder zu malen“, so Pudel-Mitbetreiberin | |
Charlotte Knothe. „Alles, was er tut, lädt Ulli Koch mit seiner | |
Authentizität auf. So wird alles zu seiner Kunst. Deshalb ist Ulli für mich | |
einer der größten Künstler.“ | |
Ob er sich selbst als Künstler versteht? „Lebenskünstler, ja.“ | |
Auch Überlebenskünstler? „Nee“, sagt er. „Das machen eher andere für m… | |
Ärzte.“ | |
Sucht ist eben kein Gegner, den man mit nur einem Faustschlag ausknockt. | |
Ulli Koch aber auch nicht. Schon dreimal sprang er dem Tod von der Schippe, | |
erstmals 1991 – das Jahr, in dem er rock bottom erreichte. Überdosis, | |
multiples Organversagen, die Lunge kollabiert. Es steht schlecht um ihn. | |
Die Pudel-Familie reist an, um ihn vom frühzeitigen Abtreten abzuhalten, | |
Rocko schaltet sich per Telefon dazu. „Ulli, was machst du denn für Sachen? | |
Du kannst uns doch jetzt nicht allein lassen.“ | |
„Okay“, beschließt Ulli daraufhin: „Eine Runde geht noch.“ | |
Gesagt, getan. Ulli kommt zurück, schwört schließlich den Drogen ab. Dem | |
Pudel steht er weiterhin in jeder Lebenslage zur Seite, wie etwa nach der | |
Brandstiftung in jener Nacht zum 14. Februar 2016. Nacht für Nacht schob | |
Ulli damals Wache, half mit aller Kraft beim Wiederaufbau. „Es ist nicht | |
alles tot, was tot aussieht“, weiß er, und auch, was den Pudel angeht, | |
sollte er zum Glück recht behalten. | |
Die Sucht ist allerdings ein Gegner, der oft, auch wenn er besiegt scheint, | |
seinen Zoll schon lange kassiert hat. Verunreinigte Substanzen haben Ullis | |
Lunge und Beinvenen schwer geschädigt. Mehr als die zweiwöchentlichen | |
Kurzschichten im Pudel sind an Arbeit nicht mehr drin. Das eine Jahr bis | |
zur Rente, das will er auf jeden Fall noch durchziehen. Unabhängig davon: | |
Ulli Koch war, ist und bleibt Teil der Pudel-Familie und ein gern gesehener | |
Partygast. Ob er sich beim just bestätigten Konzert der russischen | |
Künstlerin Diana Burkot (Pussy Riot) am 29. März blicken lassen wird? – | |
„Logo.“ | |
9 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Karin Jirsak | |
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