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# taz.de -- Ethnografie des Golden Pudel Clubs: Wummernder Tempel der Aufrichti…
> Die Leute wollen anders sein: Der französische Sozialanthropologe Maxime
> Le Calvé hat eine Ethnografie des Golden Pudel Clubs in Hamburg verfasst.
Bild: Die Pudel-Resilienz ist Legende. Der Club brannte 2016 und wurde danach m…
Maxime Le Calvé empfängt mich mit strahlendem Lächeln, ein Baby in einer
Trage vor dem Bauch schaukelnd. Der promovierte Sozialanthropologe befindet
sich zu Hause in Berlin, ich sitze im nebelgrauen Hamburg, gar nicht weit
entfernt vom Golden Pudel Club, den Gegenstand, über den wir gleich
sprechen werden. Während des Zoomgesprächs hüpft Le Calvé unermüdlich auf
und ab, um jeweils einen seiner beiden Zwillinge in der Trage bei Laune zu
halten. Stressen lässt er sich von diesem Multitasking nicht. Eher wirkt es
so, als könne er sein Glück über all das gar nicht fassen. Man möchte
sofort eine Club Mate trinken mit ihm am Pudeltresen – es war Le Calvés
Getränk der Wahl, als er hier seine erste Feldforschung betrieb.
Die Verzauberung wirkt immer noch. Das wird sofort klar, wenn der Franzose
berichtet über diesen Ort und diese Zeit im Pudel, die er in seiner 2012
eingereichten Masterarbeit dokumentiert hat. Zwölf Jahre später ist seine
Studie über den Pudelcub in Hamburg-Sankt Pauli auch in Buchform
erschienen. Die Gelegenheit habe sich einfach ergeben, erklärt der Autor,
der an der HU in Berlin am Exzellenzcluster „Matter of Activities“ forscht.
Und doch hat man das Gefühl, dass es vielleicht noch mehr zu sagen gäbe,
wenn es sich denn greifen ließe.
Bemerkenswert auch, dass die „Golden Pudel-Ethnographie“ eine sehr gute
Lektüre-Ergänzung bildet [1][zum nahezu zeitgleich erschienenen „Pudels
Kern“, Teil zwei der Autobiografie des großen (auch) literarischen
Hansestadt-Punks Rocko Schamoni.] Zufall? Synchronizität? – Egal.
## So cool wie die Leute vom Pudel
Wir springen zurück in jene Zeit, in der Le Calvé sich dem
identitätsstiftenden Moment des Pudels nicht entziehen konnte. „Ich war
2010 unterwegs auf St. Pauli als junger Mann, der cool sein wollte, so cool
wie die Leute vom Pudel“, erinnert er sich. „Langsam verstand ich aber,
dass die nicht so sein wollten wie andere und dass ich also lieber ich
selbst werden sollte.“ Einen wichtigen Anteil seiner Selbstwerdung hatte
die Atmosphäre des Pudels, die Le Calvé zum Dreh- und Angelpunkt seiner
ethnographischen Untersuchung machte. „Die ästhetischen Arbeiter*innen
des Pudels werden selbst von der Atmosphäre getragen und sind eins mit
ihr“, schreibt er. Auch Le Calvé tauchte ein in diese Atmosphäre und
schöpfte das Seine ab.
Leicht gemacht haben die coolen Leute vom Pudel ihm das anfangs nicht. Der
neugierige Student wurde skeptisch beäugt, etwa von Mitbetreiberin
Charlotte Knothe: „Warum fragst du die Leute aus?“ Pudelaner:Innen sind
keine Peoplepleaser. Le Calvé weiß das zu schätzen, denn es ist ein
wesentlicher Grund dafür, dass die Atmosphäre im Club über all die Jahre
als fruchtbares Feld von Subkultur weiter wuchern konnte. Nicht ungestört,
aber strukturell und inhaltlich doch nie beeinträchtigt durch das
Establishment und den Kommerzdruck, beides wächst rings um den Club weiter.
„Das pudel-typische Werk muss nicht perfekt sein, um erfolgreich zu sein,
es sollte sogar unvollkommen sein, um gelungen zu sein“, analysiert Le
Calvé in seinem Buch.
Ein Zusammenspiel zwischen Atmosphäre, Identität(en) und Werk wird
modellartig dargestellt, der entsprechende Jargon gehört dazu. Le Calvés
Arbeit ist aber nicht nur eine wissenschaftliche Untersuchung, sie ist auch
ein farbenfroher Abriss über die Geschichte des Ladens, der für viele die
Welt bedeutet. Lebendige Schilderungen pudel-typischer Szenen sowie vom
Autor retrospektiv angefertigte, colorierte Feldzeichnungen reichern die
Analyse mit – ja – Atmosphäre an und eröffnen verschiedene Zugänge zum
Phänomen Pudel. Grafiken von Hausillustrator Alex Solman fügen eine
zusätzliche künstlerische Dimension hinzu.
## Geblieben ist die Punk-Haltung
„Zwölf Jahre gehen so schnell vorbei“, seufzt Maxime, der inzwischen den
Zwilling im Tragegurt gewechselt hat. Manches hat sich seither verändert,
vieles aber auch nicht. Geblieben etwa ist die von den Pionieren Rocko
Schamoni („Dorfpunks“) und Schorsch Kamerun (Die Goldenen Zitronen)
injizierte Punk-Haltung, die in allen Pudelhandlungen und -kreationen
mitschwingt – als geistiges Fundament, wenn auch die musikalische
Entwicklung zu großen Teilen ins Elektronische weiterfloss.
Geblieben sind auch Charlotte Knothe, Ralf Köster und Viktor Marek, die
nach dem Verlust von Norbert Karl, dem 2004 verstorbernen dritten
Pudelbetreiber, das Ruder übernahmen. Als (be)treibende Kräfte wuppten sie
den Pudel durch sämtliche Krisen der vergangenen 20 Jahre. Ja, der Pudel
brannte 2016 ab, wurde danach mühsam wiederaufgebaut und schritt erhobenen
Hauptes mit neuem Dach weiter. Er schleppte sich durch Coronapandemie und
Inflation, ächzend wie alle anderen. Die Pudel-Resilienz ist Legende, aber
solche Überlebenskämpfe kosten auch Kraft. Ja, an manchen Tagen ist der
Pudel müde, doch er ist golden geblieben und spinnt sein ewig funkelndes
Netzwerk weiter.
Aktuell konnte Ralf Köster etwa [2][das feministische Hamburger
HipHop-Kollektiv Bangerfabrique davon überzeugen, als Resident DJs
einzusteigen,] „weil das der heiße Scheiß ist.“ Einstand wird am 13.
Februar gefeiert. [3][Geblieben ist auch Ulli Koch, als graue Eminenz und
Mann für die Sauberkeit am Morgen danach. Seinen Abschied von der
Pudel-Weltbühne hat der Neffe von Norbert Karl allerdings schon im November
2024 gefeiert, mit einer letzten Lesung aus seiner Autobiografie „Ulli,
illegal“ (2020).]
Maxime Le Calvé ist dagegen wieder fortgegangen. Darüber wunderte sich
Charlotte Knothe lustigerweise am meisten. Trotz anfänglicher Skepsis hat
auch sie erkannt, wie bestechend schlüssig der junge Wissenschaftler und
seine Arbeit sich in das Netzwerk Pudel eingewoben haben. Ein weiteres
Puzzleteilchen, das noch fehlte und also andocken musste, sich dann wieder
löste und, mit goldener Pudelkraft geladen, weiter düste, um neue, ganz
eigene Bahnen zu zeichnen.
## Werden und Vergehen
In Berlin schloss Le Calvé seine Doktorarbeit über den Künstler Jonathan
Meese ab. Den Schlüssel zu diesem Thema hat er – natürlich – vorher im
Pudel gefunden. Genau da möchte er auch bald sein Buch vorstellen, dazu
seine Zeichnungen als großformatige Drucke an die Wände hängen, vielleicht
ein paar Songs spielen, gerne zusammen mit Viktor Marek. Im Frühling könnte
er die Zeit dazu finden. Die Arbeit als Vater von dreien und
Post-Graduate-Forscher an der Humboldt-Universität halten ihn auf Trab.
Zuletzt hat er den Pudel im Sommer 2023 besucht. [4][Patricia Wedler alias
DJ Patex, eine langjährige Pudelfreundin, war damals nach langer Krankheit
verstorben. Zu Wedlers Ehren kam die alte Gang auf der Terrasse zusammen,]
Wedlers Band School of Zuversicht spielte an diesem Tag zum letzten Mal,
ohne ihr Zentralgestirn Patex. Die feierliche Melancholie jenes Tages fängt
Maxime im Nachwort seiner Arbeit ein. Eine Schwermut, die dem Anlass
geschuldet ist, aber auch fühlbar darüber hinausweist.
Der Pudelclub hat über die Jahre viele Sterne aus seiner Mitte aufsteigen
sehen, einige sind bereits verglüht. Transformation ist nicht nur Werden,
sondern auch Vergehen. Die Welt um den Pudel herum sieht heute düsterer
aus, die Zukunft: ungewiss, wie immer. Oder auch schlimmer. Und genau darum
wird der Pudel als wummernder Tempel der Aufrichtigkeit mehr gebraucht denn
je. „Ich habe Vertrauen in den Pudel, der Pudel ist stark“, sagt Le Calvé.
Er muss es wissen, er hat die Zauberkräfte des Pudelclubs schließlich
wissenschaftlich untersucht.
Mangelnde Tiefe kann man seinen ethnologischen Bohrungen kaum vorwerfen,
dennoch muss Le Calvé am Ende gestehen, dass auch er das letzte Geheimnis
des Pudels nicht entschlüsselt hat. Bei allen Erkenntnissen bleibt des
Pudels Kern auch für ihn im tiefsten Grunde „ein Mysterium, so wie das
Leben“. Schön zu sehen, wie er sich darüber freut.
7 Feb 2025
## LINKS
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[4] /Nachruf-auf-Patricia-Wedler/!5941284
## AUTOREN
Karin Jirsak
## TAGS
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