# taz.de -- Event-Location auf St. Pauli: Die Macht des Faktischen | |
> Auf dem Hamburger Feldstraßen-Bunker eröffnen im April ein Hotel und eine | |
> Konzerthalle. Damit werden alle Befürchtungen der Projekt-Gegner wahr. | |
Bild: Eigene Liga: Das nächst hohe Gebäude ist der Fernsehturm mit seiner ges… | |
HAMBURG taz | Noch drehen sich die Kräne hoch oben über dem | |
Feldstraßen-Bunker, und unten laufen die Leute, die seine Zukunft | |
besichtigen dürfen, im Matsch, über Bretter und Pfützen. Sie haben Helme | |
aufgesetzt bekommen, schöne schwarze Lederstiefel kriegen Dreckspritzer ab, | |
aber klar: Das gehört zum Business. Fernsehen ist auch da, die Kameraleute | |
tragen ihre Ausrüstung auf der Schulter. | |
Die schiere Größe dieses denkmalgeschützten [1][Hochbunkers aus den letzten | |
Jahren der Nazi-Zeit] macht schon klar, dass es sich nicht um eine ganz | |
normale Baustelle handeln kann. 75 Meter breit und 75 Meter lang ist der | |
Betonklotz mit seinen meterdicken Wänden, mit den vier Flaktürmen, an jeder | |
Ecke einer, kam er ursprünglich auf 38 Meter Höhe. | |
Mit dem [2][terrassenförmigen Aufbau samt Dachgarten], der in den | |
vergangenen Jahren auf dem Bunkerdach entstanden ist, sind es nun 58 Meter. | |
Das nächste Gebäude vergleichbarer Höhe ist der einen Kilometer entfernte | |
Wasserturm im Schanzenpark, die „Tanzenden Türme“ am Eingang der Reeperbahn | |
sind 75 und 85 Meter hoch, die Elbphilharmonie 110 Meter, 120 Meter die | |
derzeit nicht betriebene Aussichtsplattform des Fernsehturms. | |
Von oben aus betrachtet rücken diese Landmarken der Stadt magisch zusammen. | |
Sie sind sich die nächsten Nachbarn, was unten drunter liegt, kann in | |
dieser Liga nicht mitspielen. | |
Dass der Bunker jetzt so hoch wird, finden seine Befürworter nicht schlimm, | |
schließlich, sagen sie, ist ja direkt nebenan das Heiligengeistfeld, wo | |
dreimal im Jahr der Jahrmarkt ist, den sie in Hamburg „Dom“ nennen, mit | |
einem Riesenrad, das mit 60 Metern sogar noch etwas höher ist. Und | |
überhaupt, was sind schon 58 Meter? | |
## Im Bunkerschatten | |
Das stimmt einerseits. Andererseits beginnt auf der gegenüberliegenden | |
Straßenseite das Karolinenviertel mit seinen Altbauten, von denen manche | |
nun im Bunkerschatten liegen. Das Karolinenviertel mit seinen Kneipen, | |
Cafés und hippen Modeläden hat sich in den Jahren immer mehr | |
touristifiziert. Trotzdem leben dort auch Menschen, die dem Wachstum des | |
Bunkers skeptisch gegenüberstehen. | |
Ursprünglich ging der Widerstand sogar noch weiter, schließlich ist der | |
Bunker auch ein historisches Monument. Gebaut von Zwangsarbeitern, stand er | |
für den Durchhaltewillen Nazi- Deutschlands am Ende des Krieges. „Unsere | |
Forderung war immer: Mahnmal erhalten, nicht bebauen“, sagt Teresa Jakob, | |
die für die Linke in der Bezirksversammlung Mitte sitzt und Mitglied im | |
Quartiersbeirat Karolinenviertel ist, einer Art Anwohner*innenvertretung, | |
die vom Bezirk eingerichtet wurde. | |
Vor zehn Jahren, 2014, waren die Pläne für einen Bunker-Aufbau zum ersten | |
Mal öffentlich vorgestellt worden. Tobias Boeing von der | |
Stadtteil-Initiative „Hilldegarden“ und der Architekt Tim Schierwater | |
[3][stellten ein Modell vor], das schon fast so aussah wie das, was jetzt | |
vor aller Augen entstanden ist: ein terrassenförmiger Aufbau, fünf | |
Stückwerke hoch, allseitig begrünt, mit einem Dachgarten oben drauf, der | |
über eine 300 Meter lange, umlaufende Rampe erreichbar ist. | |
Allerdings war der Zungenschlag bei der Vorstellung doch noch ein anderer: | |
Der Bunker bekomme auf seinem Dach einen öffentlich zugänglichen Park, | |
einen „Stadtgarten“ St. Pauli, direkt neben dem Stadion des Fußballvereins, | |
und Freiflächen für Urban Gardening gebe es auch noch! Und im Inneren? Nun, | |
eine „Kulturhalle“ solle dort entstehen, Musikclubs, Ateliers und | |
Proberäume, und „Gästehäuser“ für die Künstler*innen. | |
Der Pächter des Bunkers, der Hamburger Großinvestor Thomas J. C. Matzen, | |
sei an Bord, hieß es bei der Präsentation, er übernehme die Kosten. Auch | |
der Bezirk sei informiert. Dem Projekt stehe nichts mehr im Wege. | |
Das war zu schön, um wahr zu sein. Kurz darauf wurde bekannt, dass Thomas | |
J. C. Matzen seinen Erbpachtvertrag im Gegenzug unentgeltlich verlängert | |
bekommen sollte, [4][auf 99 Jahre]. Recht bald stellte sich auch heraus, | |
dass es sich bei den „Gästehäusern“ doch eher um ein [5][ausgewachsenes | |
Hotel] handelt, mit über hundert Zimmern, denn irgendwie muss das Geld für | |
die Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe ja auch wieder reinkommen, | |
oder? | |
## Die komplette Chefetage | |
Aber Geld verdienen ist ja keine Sünde, und in Hamburg schon gar nicht. | |
Wenn nur die renitente Nachbarschaft nicht wäre! Und so hat man sich jetzt, | |
bei der Vorstellung dessen, was unter und auf das grüne Dach des Bunkers | |
kommt, wirklich Mühe gegeben. Von RIMC Hotels & Resorts, dem | |
Hotelbetreiber, ist die komplette Chefetage gekommen, viele von ihnen haben | |
denselben Nachnamen: ein echtes Hamburger Familienunternehmen, Sitz: | |
zwischen Rothenbaumchaussee und Außenalster, eine exklusive Lage. | |
Sie seien ein wenig nervös, sagt der Familien-CEO, normalerweise halte man | |
sich eher im Hintergrund, betreibe zwar Hotels überall auf der Welt, aber | |
unter anderem Label, „Marriot“ vielleicht oder sonst was. „Es ist für uns | |
das erste Mal, dass wir so in die Öffentlichkeit treten“, sagt er vorn auf | |
der Bühne, während das Publikum unter dem tollen ringförmigen Oberlicht des | |
„Resonanzraums“ sitzt, der Heimstätte des Ensembles Resonanz, das hier | |
probt und manchmal auch Konzerte gibt. | |
Von der Bar zieht Kaffeeduft herüber, natürlich gibt’s Catering für die | |
Gäste, wir sind ja zu Gast bei Hoteliers. Das Hotel auf dem Bunkerdach hat | |
allerdings auch ein Label oder noch besser „Brand“, wie es heißt: „Reverb | |
by Hardrock“, eine extrem coole Marke, die es sonst nur noch in Atlanta | |
gibt. Im Mittelpunkt, erklärt der baumlange Hotelmanager, der jetzt auf | |
die Bühne kommt, stehe die Musik und die Fankultur. Derzeit sei man in der | |
„heißen Rekrutierungsphase“, geöffnet werde im April, Zimmer seien ab | |
jetzt buchbar. | |
Vielleicht sollte man hier erwähnen, dass oben auf den Bunker außer dem | |
Hotel eine Konzerthalle kommt, in die 2.200 Menschen passen und die später | |
besichtigt werden darf, „mit Erlaubnis des Geschäftsführers“, der Wolf von | |
Waldenfels heißt und zuletzt direkt darunter, im obersten Stock des alten | |
Bunkers, erfolgreich den Club „Uebel & Gefährlich“ betrieb, in den leider | |
nur 1.000 Leute gehen. | |
Die Halle ist ein Wunderwerk der Technik, auf den Boden werden die Linien | |
projiziert, wenn sie morgens zur Sporthalle für die umliegenden Schulen aus | |
dem Stadtteil wird, die man natürlich ebenso ins Boot geholt hat wie auch | |
den FC. St. Pauli, der nicht nur Partner ist, sondern in einem der | |
Flaktürme einen Fanshop betreibt. | |
Die Konzerte, das Hotel, die Bars und Restaurants, das alles passt | |
wunderbar zusammen und wird zu einer „Bunker-Experience“, die gleich beim | |
Check-in beginnt, wenn der Gast einen der Aufzüge verlässt, die in die Welt | |
auf dem Bunkerdach führen. Direkt am Weg liegt eine seltsame Betonkammer, | |
„das Munitionsdepot“, hier wird der Nachbarschaftsverein Hilldegarden, der | |
außer fürs Urban Gardening für die Nazi-Geschichte zuständig ist, | |
vielleicht Filme zeigen. | |
Denn es ist ja nicht so, dass den Managern nicht klar wäre, was an diesem | |
Ort passiert ist. „Wir wollen aber trotzdem lieber in die Zukunft blicken“, | |
hatte der CEO unten bei der Begrüßung gesagt. Beim Check-in in einem der | |
Flaktürme lässt sich sehen, wo die Grenze verläuft, unten Nazi-Beton, oben | |
drüber neues Mauerwerk: der historische Bruch in a Nutshell. Darüber könnte | |
man in einem der Fläzsessel mit eingebautem Soundsystem, die am Rande | |
stehen, nachdenken, wenn man wollte. | |
In anderen Flaktürmen befinden sich Bars über drei Ebenen, | |
Pivate-Dining-Areas und andere Dinge, die Hotelzimmer sind stilecht in | |
möglichst roher Betonanmutung gehalten. „Das ist rough“, sagt der | |
Hotelmanager, der die Gruppe führt, zufrieden und fährt mit dem Finger über | |
die Wand. Chic ist es trotzdem, der Ausblick aus dem Fenster grandios, die | |
Pflanzen davor lassen noch Licht rein. | |
„Habt ihr das Graffito gesehen?“, die Frage geht, wieder draußen im Flur, | |
herum. „Welches Graffito?“ Und tatsächlich, drinnen an der Wand, neben dem | |
Fenster, ist eine stilisierte E-Gitarre, die so gut in den Raum passt, dass | |
sie unsichtbar bleibt. | |
Bis auf den Dachgarten erstreckt sich das Konzept des neuen Bunkers, denn: | |
„Die Flächen sind öffentlich zugänglich, aber sie gehören schon uns.“ D… | |
sind eben auch Bereiche, die nicht so öffentlich sind, und es gibt einen | |
Container, der derzeit in der Mitte von dem steht, was mal eine Wiese | |
werden soll. Irgendwann wird er an den Rand des Dachgartens geschoben | |
werden und im Winter wird man Fischbrötchen verkaufen und im Sommer | |
Bunker-Burger mit Frozen Yoghurt. „Und dazu ein Sundowner“, sagt der | |
Hotelmanager entzückt, währen der Nieselregen herniedergeht. Aber ohne | |
Fantasie geht sowieso nichts. | |
Von 7 bis 20 Uhr im Winter und von 7 bis 23 Uhr im Sommer wird der | |
Dachgarten geöffnet sein, bis zu 900 Personen dürfen sich oben, im | |
eigentlichen Garten aufhalten, 5.000 Menschen auf der „gesamten Anlage“, zu | |
der auch der „Bergpfad“ gehört, der einmal rund um den Bunker hoch führt. | |
Ein Drehkreuz unten wird die Besucher*innen zählen und blockieren, wenn | |
es zu viele werden. | |
Mit 6.000 bis 7.000 Gästen am Tag rechnen die Hotelmanager, zusätzlich zu | |
den Konzert- und Clubbesuchern. Damit werden die schlimmsten Befürchtungen | |
der Kritiker*innen aus dem Viertel wahr, die in den langen Jahren der | |
Planung immer wieder vor einer weiteren „Eventisierung“ des Stadtteils | |
gewarnt haben. Teresa Jakob vom Quartiersbeirat sieht „Party-People ohne | |
Ende“. „Wenn da auf dem Dach dann Remmidemmi ist und gecornert wird, weiß | |
die Polizei doch gar nicht, wie sie das handlen kann“, sagt sie. „Was, wenn | |
die da Flaschen runterwerfen?“ | |
Besonders bitter für die übrig gebliebenen Stadtteilaktivist*innen | |
ist die Konzerthalle. Bevor die Bunkerpläne aufkamen, hatte es schon mal | |
einen Anlauf gegeben, in der Rindermarkthalle nebenan eine zu bauen. Damals | |
scheiterte das noch am Widerstand aus dem Viertel. | |
„Da machen 2.000 Leute Halligalli, weil sie ins Konzert wollen“, sagt | |
Teresa Jakob. Sie befürchtet, dass sie ins benachbarte Karoviertel kommen, | |
dorthin, wo sie wohnt. „Und wir haben den Krach.“ | |
## Drei Monate Jahrmarkt | |
Seit im Karoviertel Anwohnerparken gilt, hat sich der Verkehr dort | |
allerdings beruhigt. Und der Bunker ist im Vergleich zu dem, was sonst noch | |
auf der andern Straßenseite los ist, gar nicht so groß: Der Jahrmarkt auf | |
dem Heiligengeistfeld campiert dort dreimal im Jahr für jeweils einen | |
Monat, zum gerade zu Ende gegangenen Winterdom kamen insgesamt eine Million | |
Menschen, macht 33.000 pro Tag. Und beim FC St. Pauli sind alle zwei Wochen | |
Spiele, die immer ausverkauft sind, das Stadion hat 30.000 Plätze. | |
Noch hat sich der Quartiersbeirat zu den neuen Bunkerplänen auch gar nicht | |
offiziell geäußert. Der damalige SPD-Bezirksamtsleiter Falko Droßmann, der | |
inzwischen für die SPD im Bundestag sitzt, hat den Aktivist*innen 2020 | |
[6][in der Zeit vorgeworfen], sie würden nur die Interessen einer „kleinen, | |
weißen, alternden Einwohner-Elite“ vertreten. | |
Das ist vielleicht ein bisschen hart, und Ängste vor einer Gentrifizierung, | |
die durch die schicken neuen Locations vorangetrieben würde, sind | |
wahrscheinlich sehr berechtigt. Aber es sieht doch so aus, als würde das | |
Viertel mit der neuen Bunkerperspektive leben können. In der Feldstraße | |
jedenfalls, die das Karoviertel auf der einen Seite von Bunker, Dom und FC | |
St. Pauli auf der anderen Seite trennt, haben bereits Geschäfte aufgemacht, | |
die ihr großes Gegenüber im Namen tragen. Seit einem Jahr gibt es dort | |
einen Friseur namens „Bunker-Cut“, und ein paar Häuser weiter hat ein | |
„Bunker-Döner“ geöffnet. | |
Macht sich als Marke eben nicht schlecht, der alte Weltkriegskoloss. | |
6 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Georg-Elser-Halle-in-Hamburg/!5819424 | |
[2] /Gruene-Traeume-auf-dem-Bunkerdach/!5895023 | |
[3] /Dachgarten-fuer-St-Pauli/!5030620 | |
[4] /Umstrittenes-Bauprojekt-in-Hamburg/!5310786 | |
[5] /Bunkeraufbau/!5309161 | |
[6] https://www.zeit.de/hamburg/2020-07/gruener-bunker-st-pauli-feldstrasse-bau… | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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