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# taz.de -- Polizei Berlin: Nicht genug ausgeleuchtet
> Todesschuss durch Polizei vor einer Asylunterkunft sollte folgenlos
> bleiben. Nun muss Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufnehmen.
Bild: Der Tatort in Berlin-Moabit
Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren eingestellt – wie so oft, wenn
Polizisten einen Menschen erschossen haben. Die beschuldigten Beamten
hätten aus Notwehr oder Nothilfe gehandelt, so die Begründung. Das
Verfahren um die Tötung des Iraker Hussam H. war damit eigentlich zu Ende.
Nun aber gibt es eine überraschende Wende.
Der 6. Strafsenat des Berliner Kammergerichts hat die Staatsanwaltschaft
angewiesen, die Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts fortzusetzen.
Der Beschluss, der am 27. April 2018 erging, liegt der taz vor. Das Gericht
folgte damit einem Antrag auf Klageerzwingung der Rechtsanwälte Ulrich von
Klinggräff und Christina Clemm, die die Angehörigen des Getöteten
vertreten. „In dieser Klarheit ist das ein ganz ungewöhnlicher Beschluss“,
kommentierte Klinggräff die Entscheidung am Donnerstag gegenüber der taz.
Der Iraker Hussam H. hatte mit seiner Frau und drei Kindern in einer
Notunterkunft für Flüchtlinge in der Kruppstraße gewohnt. Die Ereignisse
hatten sich am 29. September 2016 auf dem Platz vor der Traglufthalle, die
als Flüchtlingsunterkunft diente, abgespielt. Es war in den Abendstunden.
Die Polizei war angerückt, um einen pakistanischen Staatsbürger
festzunehmen, der auch in der Notunterkunft lebte. Zeugenaussagen zufolge
hatte der 27-jährige Tayyab M. kurz zuvor in einem nahegelegenen Park ein
sechsjähriges Mädchen sexuell missbraucht. Der Tatverdächtige saß bereits
mit gefesselten Händen im Polizeifahrzeug, als ein aufgebrachter Mann auf
den Vorplatz stürmte. Es war Hussam H., der Vater des sechsjährigen
Mädchens.
In der Pressemitteilung der Polizei von damals hieß es, H. sei mit einem
Messer in der Hand auf den im Polizeifahrzeug sitzenden M. zu gerannt. „Er
ignorierte mehrmalige Aufforderungen, stehenzubleiben, woraufhin mehrere
Polizisten auf den Angreifer schossen.“ Drei Polizisten feuerten insgesamt
vier Schüsse auf den Mann ab. Der einzige, der traf, war ein
Rumpfsteckschuss. Lebenswichtige Organe wurden verletzt. H. starb kurz
darauf im Krankenhaus.
Rountinemäßig, wie immer in solchen Fällen, wurde gegen die drei
Polizeischützen von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags
eingeleitet. Im Mai 2017 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit
der Begründung ein, die Beschuldigten hätten in Notwehr beziehungsweise
Nothilfe gehandelt. Die Generalstaatsanwaltschaft bestätigte das, indem sie
die gegen die Einstellung eingelegte Beschwerde der Anwälte im September
2017 zurückwies.
Diese Entscheidung hat das Kammergericht nun aufgehoben. Das Tatgeschehen –
vor allem in Hinblick auf die Rechtfertigungsgründe der Beschuldigten – sei
in wesentlichen Teilen „noch nicht ausermittelt“, heißt es in dem
Beschluss. Gleichzeitig wurde die Staatsanwaltschaft angewiesen, „weitere
sachdienliche Ermittlungen“ durchzuführen.
Auf 16 Seiten hat das Kammergericht die einzelnen Mängel aufgelistet. Die
Feststellungen beginnen mit einem Paukenschlag: „Nach dem bisherigen
Ermittlungsergebnis steht nicht fest, ob H. überhaupt mit einem Messer
bewaffnet war“, heißt es in dem Beschluss wörtlich. „Das bestätigt unsere
Auffassung“, so Anwalt Klinggräff. „Der Erschossene hatte nach derzeitiger
Beweislage kein Messer in der Hand.“ Objektiv sei für die schießenden
Polizisten somit keine Nothilfe gegeben. In Betracht komme nach Auffassung
des Kammergerichts nur noch, dass die Beamten irrtümlich vom Vorhandensein
eines Messers ausgegangen seien. „Aber dann hätten sie jedenfalls auf
weniger gefährliche Körperregionen zielen müssen.“
Der Pakistaner M. ist inzwischen wegen sexuellen Missbrauchs rechtskräftig
verurteilt worden. Wie das Kammergericht im Beschluss moniert, ist der Mann
aber nie zu den Vorgängen vernommen worden, die sich nach seiner Festnahme
vor dem Polizeifahrzeug abgespielt hatten. „Dies ist nachzuholen“, heißt es
in dem Beschluss.
In ähnlichem Tenor geht es weiter. Punkt für Punkt hat das Kammergericht
die Versäumnisse thematisiert. Nicht geklärt worden sind demnach ganz
grundlegende Fragen: Wie nah war H. dem Polizeifahrzeug, als die Schüssen
fielen? War die Tür des Wagens, in dem M. saß, offen oder zu? Stand H.
schon auf dem Trittbrett? Hatte er den Türgriff in der Hand? Und warum sind
die DNA-Abwischungen, die vom Türgriff genommen worden sind, nie
kriminaltechnisch untersucht worden?
Das alles muss die Staatsanwaltschaft nun nachholen. Erneut vernommen
werden müssen auch die Beschuldigten und Zeugen. Außerdem regte das
Kammergericht an, ein Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion des
Tatablaufs einzuholen.
Und was passiert dann? „Nach der ausführlichen Begründung des Beschlusses
gehen wir davon aus, dass die Ermittlungen nunmehr auch zu einer Anklage
führen werden“, sagt Klinggräff. Eine Besonderheit wäre das aber schon,
weil Verfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung oder Tötungsdelikten
im Amt kaum zur Anklage kämen, so Klinggräff. Entsprechende Statistiken
belegten das. Zurückzuführen sei das unter anderem auf die institutionelle
Nähe von Polizei und Staatsanwaltschaft.
18 May 2018
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Schusswaffen
Polizei Berlin
Barbara Slowik
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Sicherheitsmaßnahmen
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Taser
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