# taz.de -- Planung für Radschnellwege in Berlin: Mit der Lizenz zum Rasen | |
> Mehr Platz für RadfahrerInnen will der Senat mit zehn Radschnellwegen in | |
> Berlin schaffen. Leider schafft man damit nur neue Ungerechtigkeiten. | |
Bild: Platz da – für alle, nicht nur für RadlerInnen | |
BERLIN taz | Fangen wir mit einer persönlichen Einordnung an: Der Schreiber | |
dieser Zeilen ist begeisterter Radfahrer, fährt munter seine 15 Kilometer | |
von zu Hause zur taz, ist am Wochenende auf dem Rennrad unterwegs – und war | |
vom Start des [1][Fahrradvolksbegehrens] Anfang 2016 so angetan, dass er | |
meinte, zu befangen zu sein, um überhaupt darüber für die taz berichten zu | |
können. | |
Was aber derzeit in Sachen Radschnellweg am Teltowkanal geplant ist, dem | |
Premiumprojekt der grünen Senatsverwaltung für Verkehr für solche | |
Verbindungen, erinnert an ein Vom-Regen-in-die-Traufe-kommen: Da könnte auf | |
den Wahn der autogerechten Stadt der 60er und 70er Jahre nun die | |
fahrradgerechte Stadt folgen – auf Kosten von Fußgängern, Läufern, | |
Kinderwagenschiebern, Skatern und 270 Bäumen. | |
Fahrradgerechte Stadt hört sich aus Radlersicht natürlich erst mal prima | |
an, genau wie die [2][Idee von Radschnellwegen]. Zügig von A nach B, ohne | |
alle Nase lang stoppen zu müssen und Angst vor Kollisionen auf viel zu | |
engen Wegen haben zu müssen. Bloß: Warum soll das auf Kosten noch | |
schwächerer Verkehrsteilnehmer gehen? Warum soll das teils auf Park- und | |
Spazierwegen stattfinden? Warum keine bereits asphaltierte Fläche frei von | |
Autos machen, für die als Folge der einst autogerecht geplanten Stadt noch | |
genug Straße übrig bleibt? | |
Am Teltowkanal, der teils die südliche Stadtgrenze bildet, sieht die | |
Planung des rot-rot-grünen Senats vor, auf rund viereinhalb Kilometern aus | |
dem ja längst vorhandenen und entweder bereits asphaltierten oder sonst wie | |
befestigten, bis zu vier Meter breiten Weg durchs Ufergrün eine | |
siebeneinhalb Meter breite Piste zu machen: zwei Meter pro Richtung für den | |
Radschnellweg, dann ein Trennstreifen, der Rest – drei Meter – für alle | |
anderen Verkehrsteilnehmer. | |
Das ist schon schmal genug – doch dem Tagesspiegel liegen nach eigenen | |
Angaben Informationen aus einer internen Präsentation der zuständigen | |
landeseigenen Infravelo GmbH vom Februar vor, wonach dieser Rest für den | |
Fußverkehr nicht drei Meter, sondern nur noch 2,70 Meter betragen soll – | |
teilweise sogar nur 2,20 Meter. Die Senatsverwaltung für Verkehr sagt dazu | |
der taz: „Richtig ist, dass Unterschreitungen der Regelmaße für | |
Radschnellverbindungen möglich sind, allerdings (möglichst) nicht mehr als | |
insgesamt auf einem Fünftel der Strecke.“ | |
## 270 Bäume könnten fallen | |
Nach den vom Tagesspiegel zitierten Plänen sollen für die Teltowkanalroute | |
zudem 270 Bäume fallen, von denen bislang jeder im Schnitt jährlich 10 | |
Kilogramm CO2 unter anderem aus Autoabgasen bindet, sonstiges Ufergrün mal | |
außen vor gelassen. Laut Senatsverwaltung ist das ein überholter | |
Planungsstand. Ihr Sprecher Jan Thomsen sagt auf taz-Anfrage: „Klar ist | |
jetzt schon, dass die Zahl von 270 Bäumen, die möglicherweise weichen und | |
an anderer Stelle kompensiert werden müssten, deutlich unterschritten | |
wird.“ Das genaue Ziel sei noch unklar. | |
Die große Frage dabei ist: Wer sollen denn all die sein, die da zukünftig | |
zusätzlich radeln und für weniger CO2-Ausstoß sorgen sollen? Der Weg ist | |
nämlich im Grundsatz schon seit Jahren da. Wer auch immer Lust hat, am | |
Teltowkanal und dann weiter nördlich längs der S-Bahn-Linie 25 via Südkreuz | |
und Gleisdreieckpark Richtung Innenstadt äußerst autoarm zur Arbeit zu | |
radeln, der kann das längst tun. | |
Das passiert dabei auch jetzt schon nicht auf übervollen Wegen, die einer | |
Regelung und Aufteilung in Schnellweg und „Rest“ dringend bedürften: | |
Morgens lässt sich durchweg gut und gern auch mit 25 km/h fahren, und wenn | |
es an warmen Tagen nachmittags an einigen Stellen voller wird, ist auch bei | |
vorsichtiger Fahrweise kein Schleichen nötig, sondern lediglich die übliche | |
Vorsicht. | |
Alles ist letztlich eine Frage von Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung, | |
der gegenseitige Rücksichtnahme vorgibt. Das gilt für Radler wie für alle | |
anderen auch. Muss ich im Sattel in unübersichtlicher Kurve noch unbedingt | |
überholen? Müssen zur Hauptverkehrszeit drei Mütter ihre Kinderwagen | |
parallel nebeneinander herschieben? Müssen die Walker in der Wegmitte statt | |
rechts am Rand gehen? | |
Ein Schnellweg ließe es vielleicht zu, die persönliche Bestzeit auf dem Weg | |
zur taz um eine weitere Minute zu drücken. Hurra! Aber ist das das | |
Abholzen, die Versiegelung und die Verschandelung einer Uferlandschaft | |
wert? Vor allem, wenn dort am Wochenende fast gar keine Zur-Arbeit-Radler | |
unterwegs sind, wohl aber viele, die das wenige Grün in der Stadt suchen. | |
Schnellweg – dieser Begriff könnte neben den auf 25 km/h begrenzten | |
[3][E-Bikes jene Elektromotorisierten] in noch größerer Zahl auf den | |
Uferweg locken, die jetzt gelegentlich schon auf ihren Nummernschild-Rädern | |
mit 40 km/h und mehr zu erleben sind. Das Sicherheitsgefühl heben sie nicht | |
unbedingt. | |
Asphaltwüste, Lizenz zum Rasen und abgeholzte Bäume: Das mag rein | |
tempomäßig fahrradgerecht sein. Ökologischer Fortschritt und Verkehrswende | |
aber sind etwas anderes. Radschnellwege, ja bitte – aber nicht auf Kosten | |
von Natur und Fußgängern. Hier muss das Robin-Hood-Prinzip gelten: Den | |
Reichen, sprich dem Autoverkehr, nehmen, den (an Platz) Armen geben – und | |
zwar nicht nur der stärksten Gruppe unter ihnen. Nur so kann die Stadt | |
werden, wie sie sein sollte: nicht autogerecht, nicht (nur) fahrradgerecht, | |
sondern allen gerecht. | |
4 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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