# taz.de -- Pflegekammer-Chefin über gute Pflege: „Es geht schließlich um M… | |
> Die Vorsitzende der niedersächsischen Pflegekammer, Sandra Mehmecke, | |
> warnt vor einer bloßen Verwaltung des Pflegenotstands. | |
Bild: Für Begleitung ist oft keine Zeit: Pfleger an der Seite einer Patientin | |
taz: Sie fordern eine Akademisierung der Pflegekräfte – was erhoffen Sie | |
sich davon, Frau Mehmecke? | |
Sandra Mehmecke: Wir haben eine vollkommen andere Situation der | |
BewohnerInnen von Heimen und in den Krankenhäusern als noch vor 15 Jahren: | |
Die meisten kommen mit mehreren oder chronischen Krankheiten, was damit zu | |
tun hat, dass wir viel mehr Personen im dritten oder vierten Lebensalter | |
haben. Deshalb brauchen wir einen Anteil von hoch qualifizierten | |
Pflegekräften – das müssen nicht alle sein. Der [1][Wissenschaftsrat] | |
schlägt zehn bis 20 Prozent vor. | |
Laut einer Studie der Uni Bremen werden die Uni-Absolventen genauso | |
eingesetzt wie die KollegInnen mit Ausbildung. Und die haben oft kaum Zeit, | |
die Menschen zur Toilette zu bringen. Kommt das Wissen so überhaupt zum | |
Tragen? | |
Wir müssen an dem Verständnis von Pflege arbeiten. Ich selbst habe zwei | |
akademische Zusatzqualifikationen und habe damit zehn Jahre in der Klinik | |
gearbeitet – es macht einen erheblichen Unterschied. Und es ist nicht | |
richtig, dass Pflegestudiengänge nur Kompetenzen vermitteln, die jemanden | |
dazu befähigen, am Schreibtisch zu sitzen. | |
Sondern? | |
Sie bilden dazu aus, in der direkten Interaktion mit den Menschen körpernah | |
Pflegetätigkeiten auszuführen. Es ist total gut, dass die | |
Uni-AbsolventInnen in der PatientInnen- oder BewohnerInnenversorgung | |
eingesetzt werden. Eigentlich müsste es doch so sein: Je körpernäher | |
gearbeitet wird, desto höher sollte die Qualifikation sein. Es geht | |
schließlich um Menschen. | |
Wie kommt man da hin, wenn über die Hälfte der Pflegekräfte keinerlei | |
Fachausbildung hat? | |
Gerade deshalb, weil wir uns in den Pflegeheimen in einer Krise befinden, | |
braucht es die Hochqualifizierten. Es ist mir klar: Wir haben Pflegeheime | |
mit 60 Plätzen, und wenn Sie Glück haben, ist in einer Schicht eine | |
examinierte Pflegekraft, unterstützt durch PflegehelferInnen. Wir haben | |
auch Situationen mit 150 Betten und ähnlicher Personalausstattung. Gerade | |
deshalb brauchen wir einen [2][Personalmix], bei dem wir die | |
Pflegefachpersonen mit viel mehr Wissen und Kompetenz ausstatten, damit sie | |
die Nicht-Fachkräfte zu einer guten Praxis anleiten können. | |
Wie gut sind die Pflege-Studiengänge an den Hochschulen eigentlich | |
nachgefragt? | |
Die in den Bereichen Pädagogik und Management sind gut nachgefragt. | |
Klinisch orientierte Studiengänge haben wir kaum, zumindest nicht in | |
Norddeutschland. | |
KritikerInnen warnen, dass eine Akademisierung der Pflege die | |
Nachwuchskräfte abschrecken wird. | |
Das sehe ich komplett anders: Die Pflegestudiengänge ersetzen ja die | |
anderen Zugänge nicht. Es ist anders herum: Es gibt viel mehr Abiturienten | |
und damit Interessenten für ein Studium – denen müssen wir auch gerecht | |
werden. Und das ist nicht nur wichtig mit Blick auf die Lage in den | |
Krankenhäusern und Heimen, sondern auch, um den Berufsstand zu befähigen, | |
sich für die eigenen Interessen einzusetzen gegenüber anderen Playern im | |
Gesundheitswesen, der Politik und anderen Heilberufen. | |
Unabhängig von der Frage der Ausbildung: Wer will denn in ein Berufsfeld | |
mit derart miserablen Arbeitsbedingungen? | |
Es braucht neue Versorgungskonzepte. Im Moment unterhalten wir uns nur | |
darüber, wie wir den Status quo erhalten können. Die Argumentation ist: Es | |
gibt keine Fachkräfte, also müssen wir die Fachkraftquote streichen. Weg | |
von der Qualitätsdebatte hin zu „Wir müssen es quantitativ irgendwie | |
schaffen“. Das ist der falsche Weg. Die Arbeitsbedingungen sind auch so, | |
weil wir es uns als Berufsgruppe gefallen lassen haben und die | |
Versorgungsstrukturen nicht laut genug infrage stellten. | |
Gibt es nicht eine Abstimmung mit den Füßen durch die vielen, die den Beruf | |
aufgeben? Die ersetzt man durch günstige ungelernte Kräfte. | |
Die Berufsgruppe hat viel Macht – sie muss sie nur erkennen. Aber damit | |
fängt sie jetzt erst in Trippelschritten an. Die neue Generation hat da | |
schon ein ganz neues Selbstverständnis. Sie ist berufspolitisch viel | |
aktiver. Wir dürfen als Gesellschaft nicht den Fehler machen, diese | |
Abstimmung hinzunehmen und die Plätze mit Kräften aus dem Ausland zu | |
besetzen. | |
Aber dahin geht der Zug. | |
Ich beobachte die Entwicklung gerade in der Altenpflege mit großem | |
Unbehagen. Aber wenn Sie in der Bevölkerung fragen, werden Sie die Antwort | |
bekommen, dass die Versorgenden über eine Ausbildung und Fertigkeiten | |
verfügen und natürlich auch Deutsch können müssen. Wir sprechen nur nicht | |
offen genug darüber. | |
Inwiefern nicht? | |
Das Sozialversicherungssystem muss grundlegend verändert werden. Ich | |
glaube, dass viele bereit wären, dafür an anderer Stelle Einschnitte zu | |
machen. Aber dafür müsste man offen reden. | |
3 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wissenschaftsrat.de/DE/Ueber-uns/Geschaeftsstelle/geschaeftstel… | |
[2] /Pflege-Forschung-aus-Bremen/!5644543 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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