# taz.de -- Performance über die Teilung Zyperns: Die Partitur der Grenze | |
> Worauf beruhen Grenzen? Wie Politik und Zufall zusammenspielen, erkundet | |
> die Performance „Green Line“ am Beispiel Zyperns in den Uferstudios | |
> Berlin. | |
Bild: Im Grenzbereich: In der Pufferzone werden die Töne dumpf | |
Manchmal spielen Buntstifte Schicksal. Die [1][Teilung Zyperns] jedenfalls | |
geht auf einen grünen Buntstift eines britischen Militärs zurück, der in | |
der Nacht vor Silvester 1963 in einem Verhandlungsmarathon auf einer Karte | |
der Haupstadt Nikosia eben diesen Strich zog. Das Ganze geschah in | |
Anwesenheit des Churchill-Schwiegersohns Duncan Sandys, der war damals | |
Minister für koloniale Angelegenheiten des auseinanderfallenden Empires. | |
Die Grenze erkundet Jörg Laue in der Performance „Green Line“ in den | |
Uferstudios. Er erzählt die Geschichte präzise, ungemein detailverliebt und | |
mit einer Ruhe, die dem Atem der Geschichte auch angemessen ist. Den | |
größten Raum des Heizhauses i[2][n den Uferstudios] lässt er durch eine | |
graue Wand durchschneiden. Sie ist aus Steinwolle gebaut, einem | |
grau-schwarzen Material, das zu ziegelähnlichen Quadern geformt ist und | |
Schicht um Schicht in die Höhe wächst. | |
Die Mauer ist innen hohl. Das ist ein schöner raumakustischer Trick. Man | |
kann sich in den Hohlraum stellen. Die Stimmen der Performenden und die | |
Klänge der Musik werden dumpfer, muten wie aus großer Ferne kommend an. | |
## Unbewohnte Häuser | |
Diese räumliche Ausdehnung der Linie spiegelt den Charakter der echten | |
„Green Line“, zuweilen auch „Attila Line“ genannt, gut wider. Denn | |
eigentlich handelt es sich nicht um eine Linie, sondern eine Pufferzone, | |
die den griechischen Teil der Insel vom türkischen Teil separiert. Diese | |
Pufferzone hat eine räumliche Dimension, mit Häusern, die seit fast 50 | |
Jahren nicht mehr bewohnt, Geschäften, die nicht mehr besucht, und Bäumen | |
und Sträuchern, die ungestört und unbeschnitten – außer sie stören den | |
UN-Patrouillenverkehr – wachsen können. | |
Worte über die Entstehung der Linie tröpfeln ins Bewusstsein, vorgetragen | |
von den ruhigen Stimmen Claudia Splitts und Florian Feigls. Das Duo Tocar – | |
Susanne Zapf und Nadezda Tseluykina – produziert die passenden Töne. Sie | |
spielen dabei nicht nach herkömmlichen Noten, sondern nach Kartensegmenten, | |
die Umrisse der Insel, der Grenze und auch Umrisse von Bergwerken zeigen. | |
Die Musikerinnen nutzen die Karten als grafische Charts, spielen sie mal | |
von links nach rechts, mal von oben nach unten, mal auch segmentweise ab. | |
Das Klavier ist dabei seiner äußeren Hülle entkleidet. Tseluykina greift in | |
die offen liegenden Saiten. Sie zupft sie, sie streicht sie mit kleinen | |
Besen, traktiert sie mit Fingerspitzen, die mit metallenen Hüten versehen | |
sind. | |
Zuweilen gesellt sich Zapf ihr zu, legt die Violine beiseite und lässt | |
Bälle auf die Saiten fallen. So entsteht ein Klangraum aus eher sparsamen | |
Tönen – ein zwar geformter, zugleich aber auch dem Zufall unterworfener | |
Raum. Musikalisch gesehen ein Cage-Raum also. | |
## Antike Weltwirtschaft | |
Die Grenzlinien der Bergwerke machen ein neues Thema auf. Zypern war im | |
Altertum Quelle des Kupfers. Dieses Metall hieß auf lateinisch „Erz aus | |
Zypern“. Bronze, eine Verarbeitungsform des Kupfers, gab einer ganzen | |
Menschheitsepoche den Namen. Zypern hatte für die antike Weltwirtschaft | |
vermutlich eine Bedeutung, die der der Öl-Emirate für die heutige | |
Weltwirtschaft ähnelt. | |
Natürlich stimuliert diese Namensgeschichte Zyperns den belesenen | |
Rechercheur Laue, in die Tiefen der Etymologie hinabzusteigen. Er prüft | |
Lehn- und Wanderwörter auf Herkunfts- und Verbreitungsgebiete. Zur tiefen | |
zeitlichen Dimension, [3][vom geteilten Zypern von heute] zurück zur | |
Erzschatzinsel der Bronzezeit, kommen Ausbreitungsrichtungen auf dem | |
Globus. | |
Auch auf den antiken Philosophen Anaximander geht Laue ein. Der ist nicht | |
nur der Grieche, auf den das älteste überlieferte antike griechische | |
Prosafragment zurückgeht. Anaximander malte auch eine Weltkarte, mit dem | |
Mittelmeer in der Mitte. Und nach ihm sind ein Mondkrater und ein | |
unterseeischer Gebirgszug im Mittelmeer zwischen der Türkei und, na klar, | |
Zypern, benannt. | |
Während all dieser sprachlichen und klanglichen Erkundungen verwandelt sich | |
auch der Raum. Erst war er in grünes Licht getaucht, mit Projektionen von | |
grünen Landschaftsbildern auf der Mauer. Es handelte sich dabei nicht um | |
das Grün der Natur, sondern um das militärische Grün der Nachtsichtgeräte | |
und Radarschirme. | |
Später wurden die Projektionen zu Schwarzbildern mit hellen Punkten und | |
Linien. Mal handelte es sich um Karten, mal mochte man sich unter dem | |
Himmelsgestirn fühlen, mal auch in Höhlen, an deren Wänden rätselhafte | |
Zeichen in Leuchtschrift standen. „Green Line“ wurde zu einem inneren wie | |
äußeren Erkenntnisraum. Schade nur, dass diese bespielte Installation nur | |
fünf Tage, bis zum Sonntag, erlebbar ist. | |
18 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /UN-Sicherheitsrat-zum-tuerkisch-griechischen-Konflikt/!5789012 | |
[2] /Archiv-Suche/!5719403&s=Uferstudios&SuchRahmen=Print/ | |
[3] /Zypern/!t5010623 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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