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# taz.de -- Pegida und Anti-Pegida singen in Dresden: „Scheiß auf Anstand“
> 7.000 Pegida-Anhänger kamen in Dresden zum „Weihnachtssingen“ zusammen.
> Proteste begleiteten die nicht besinnliche Aktion.
Bild: Deutschländer Würstchen
Dresden taz | Am Elbufer klangen Weihnachtsmelodien aus den
Lautsprecheranlagen. Viele Deutschland-Fahnen und Wirmer-Flaggen wehten im
Wind. „Liebe Freunde“, so begrüßte Lutz Bachmann die rund 7.000 Anhänger
der „Pegida-Familie“ zum „Weihnachtssingen“. Ganz familiär gaben sich
Organisatoren und Protestierende bei der letzten Pegida-Aktion 2015 in
Dresden. Umtriebige Helfer verteilten Textblätter mit Weihnachtsliedern:
Besinnliches mit versöhnlichen Botschaften, die so gar nicht mit den
gehaltenen Reden und gegrölten Parolen einhergingen.
Hier am Königsufer hetzte vom „Orga-Team“ Siegfried Däbritz zur Eröffnung
über die „Krimilanten“, warnte vor einem „Eurabien“ und erklärte: „…
Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt, sondern hier auf den Straßen
und Plätzen.“ In den bewussten Redepausen skandierte die Menge:
„Merkel-muss-weg“, „Lügenpresse“ und „Widerstand“. Bachmann witzel…
„Liebe Freunde, ihr vergesst immer ein Wort – Merkel muss schnell weg.“
Großer Applaus am Elbufer des Bezirks Neustadt.
Die in der „Ode an die Freude“ formulierte Hoffnung wurde hier aber nicht
geteilt. „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“ wie
Friedrich Schiller dichtete, ist in dieser „Familie“ des vermeintlich
christlichen Abendlandes keine Vision. Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling
wetterten vielmehr, das die Kirchen als „letzte moralischen Instanz“
versagt und sich wie „im Dritten Reich dem politischen Meinungsdiktat“
untergeordnet hätte, um sogleich zu betonen: „Scheiß auf Anstand, wir
müssen hier nicht jeden willkommen heißen.“
Drüben am anderem Elbufer auf dem Theaterplatz hatte der Chor der
Semperoper bei der Kundgebung von „Herz statt Hetze“ die „Oder“ aus der…
Sinfonie von Ludwig van Beethoven da schon längst angestimmt. An die 4.000
Menschen waren zu dem Protest mit breitem Kulturprogramm gekommen, so die
Initiative „Durchgezählt“, die auch die Pegida-Demonstranten erfasste.
## „Verbale Abrüstung“
Der Dresdner Superintendent Christian Behr rief zu Nächstenliebe und
Dialogbereitschaft auf. „Keine Gewalt“ und „verbale Abrüstung“ wünsch…
sich. Rita Kunert vom „Herz statt Hetze“ betonte: Von diesem Platz sollte
an diesem Montag etwas anderes ausgehen als Hetze – vor der Oper
demonstrierte sonst Pegida.
An diesem Montag wollte das „Orga-Team“ von Bachmann eigentlich vom
Neustädter Bahnhof am Schlesischen Platz durch das alternative
Neustadtviertel marschieren. Das Verwaltungsgericht Dresden bestätigte aber
ein Verbot der Stadtverwaltung. Die Behörden hatten befürchtet, dass es zu
Ausschreitungen kommen könnte. Nur Kundgebungen wurden erlaubt. Statt
Pegida durfte das Bündnis „Dresden-Nazifrei“ vor dem Bahnhof protestieren.
„Mit dieser gewünschten Route hat Pegida mal wieder bewiesen, das es ihnen
nur um die gezielte Provokation geht“, sagt der Grüne
Landesvorstandssprecher Jürgen Kasek. Auch weil von diesem Bahnhof die
jüdischen Menschen der Stadt in die NS-Vernichtungslager deportiert wurden.
Ein Versuch der rund 1.000 Protestierenden mit einer Demonstration in die
Nähe der Pegida-Kundgebung zu kommen, unterband die Polizei nach wenigen
Metern.
## Völlig überzogener Polizeieinsatz
In der Neustadt gerieten vereinzelte Gegendemonstranten mit der Polizei
aneinander. Diese Situation wäre nicht entstanden, wenn eine Demonstration
erlaubt gewesen wäre, sagt Silvio Lang von „Dresden-Nazifrei“. Der
Polizeieinsatz mit acht Wasserwerfern, Reiter- und Hundestaffel sei völlig
überzogen gewesen, sagt er weiter. In der Neustadt versuchten stattdessen
einzelne rechte Kleingruppen Linke anzugehen. Am Abend erklärte ein
Polizeisprecher, das es aber zu keinen Zwischenfällen gekommen sei.
Den größten Zuspruch verzeichnete an diesem Abend ein kulturelle
Veranstaltung, die auch als Hommage an das friedliche und kunstliebende
Dresden gedacht war: Als Auftakt zu seiner 800-Jahrfeier im kommenden
Frühjahr trat der weltbekannte Dresdner Kreuzchor erstmals im
Dynamo-Stadion auf. Die offiziell zur Verfügung stehenden 12.500 Plätze
waren ausverkauft. Die Crossover-Show des Knabenchores, einer Band und
Solisten mit deutschen und englischen Weihnachtsklassikern war geschickt
inszeniert. Als Mitsingveranstaltung angelegt, offenbarte sie allerdings
auch die äußerst dürftigen Kenntnisse des Publikums an
christlich-abendländischen Weihnachtsliedern.
Der ungewöhnliche Auftrittsort des sonst in der Kreuzkirche beheimateten
Chores führte zu teils grotesken Kollisionen. So wurden die Kruzianer vom
Fanblock mit „Dynamo, Dynamo“-Rufen empfangen. Wes Geistes Kind ein
erheblicher Teil der Gäste war, offenbarten Reaktionen auf ein
eingespieltes Video. Als Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Gauck sich
zum Kreuzchor äußerten, wurden sie von Pfiffen und Buhrufen übertönt.
Dresden bleibt Dresden. Für den 4. Januar hat Pegida den nächsten
„Spaziergang“ angekündigt.
22 Dec 2015
## AUTOREN
Andreas Speit
Michael Bartsch
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