# taz.de -- Patentexperte über Zwangslizenzen bei Impfungen: „Erwartungen si… | |
> Zwangslizenzen bei Impfstoffen könnten nur bedingt eine Lösung sein, sagt | |
> Patentexperte Paul Fehlner. Bei neuen Technologien würden sich die | |
> Unternehmen sperren. | |
Bild: Impfstoffherstellung bei IDT Biologika in Dessau-Roßlau | |
taz: Herr Fehlner, Sie arbeiten seit Jahrzehnten in der Pharmabranche. | |
Waren Sie überrascht, wie schnell ein Covid-Impfstoff verfügbar wurde? | |
Paul Fehlner: Ich war unglaublich überrascht. Besonders, dass die | |
mRNA-Technologie als erste ins Ziel kam, auf deren Basis es noch kein | |
zugelassenes Produkt gab. | |
Nun wird es wichtig sein, schnell zu impfen, aber die Vakzine sind derzeit | |
noch knapp. Würde es helfen, die Unternehmen zu zwingen, anderen | |
Herstellern Lizenzen zur Impfstoffherstellung zu geben? | |
Egal, ob [1][Zwangslizenz] oder freiwillige Lizenz, das Problem ist die | |
Zeit. Die Arzneimittelbehörden prüfen bei neuen Herstellern ganz genau, ob | |
sie die Richtlinien zur Qualitätssicherung der Produktionsabläufe | |
einhalten. Es dauert nicht Wochen, sondern Monate oder noch länger, um sich | |
da als Hersteller zu qualifizieren. Dazu kommt, dass man auf die | |
Kooperation der Unternehmen angewiesen ist, die einen Impfstoff oder eine | |
Therapie entwickelt haben. Sonst muss ein Lizenznehmer von Grund auf neu | |
lernen, wie das Produkt am besten hergestellt wird. | |
Bei einer Zwangslizenzierung ihrer Technologien könnten also Unternehmen | |
neuen Herstellern Steine in den Weg legen? | |
Ich würde es anders ausdrücken: Es könnte auch eine Art passiven Widerstand | |
geben. Also Unternehmen, die einfach nicht freiwillig ihr internes Know-how | |
für die Herstellung der Impfstoffe hergeben wollen. | |
Man hätte also viel früher mit Verhandlungen darüber beginnen müssen, ob | |
andere Impfstoffhersteller Lizenzen bekommen? | |
Es ist schwer, das jetzt noch zu bewerten. Pfizer hat riesige | |
Herstellungskapazitäten und Moderna auch und sie haben auch hart daran | |
gearbeitet, mit Partnern zu produzieren. Ganz ehrlich, die stellen schon | |
verblüffend viel Impfstoff her für ein Produkt, das eben erst zugelassen | |
wurde. Es ist einfach nicht realistisch, sofort eine Milliarde Impfdosen | |
parat zu haben. | |
Stellen Sie sich mal vor, die hätten in noch mehr Produktionsanlagen | |
investiert, bevor klar war, ob die Impfstoffe überhaupt wirken. Es wäre | |
eine Kapazität gewesen, dezidiert für [2][mRNA-Impfstoffe]. Und dann wäre | |
nur der Impfstoff von AstraZeneca wirksam gewesen, der ganz anders | |
produziert wird. Das wusste vorher ja niemand. Wahrscheinlich sind die | |
Erwartungen derzeit zu hoch: Viele denken, jetzt, wo die Vakzine zugelassen | |
sind, muss es doch gleich Milliarden Impfdosen geben. | |
Aber könnte man denn die Kapazitäten in der zweiten Hälfte 2021 erhöhen, | |
wenn jetzt andere Hersteller Lizenzen für die Impfstoffproduktion bekommen? | |
Ich glaube schon, ja. Es gäbe weltweit genug Produktionskapazitäten. Mit | |
Technologietransfers könnten bis Mitte oder Ende 2021 mehr | |
Produktionsstätten einsatzbereit sein. Wir haben ja bereits gesehen, dass | |
indische Generika-Hersteller das Covid-Mittel Remdesivir in Lizenz | |
produzieren. Aber mRNA-Impfstoffe sind deutlich komplizierter herzustellen. | |
Da können sie kaum einen Technologietransfer erzwingen, zumal die USA und | |
die EU das nicht zulassen. Wir haben bei Covid schon gesehen, dass | |
Unternehmen bereit sind, zu kooperieren. Das wollen wir nicht verspielen. | |
Wir arbeiten mit der Weltgesundheitsorganisation deshalb mit | |
Anreizen für spezifische Lizenzen. Weil viele Unternehmen fürchten, dass | |
ihre Konkurrenten die von ihnen entwickelte Covid-Technologien später in | |
anderen Produkten verwenden. | |
Wir reden derzeit darüber, Menschen zu retten und Volkswirtschaften vor dem | |
Kollaps zu bewahren. Kann man sich da solche Debatten erlauben? | |
Das stimmt. Aber aus Sicht der Unternehmen sind sie selbst derzeit enorm | |
kooperativ im Vergleich zum normalen Modus. Sicherlich hätten Regierungen | |
und philanthropische Investoren da mehr fordern können, speziell da, wo mit | |
öffentlichen Geldern die Risiken bei der Impfstoffentwicklung übernommen | |
worden sind. | |
Werden wir 2021 sehen, dass Industrieländer ihre Bevölkerungen impfen und | |
Entwicklungsländer kaum? | |
Das wird sich leider nicht vermeiden lassen. Es ist für Politiker*innen | |
in den Industrieländern kaum denkbar, ihrer Bevölkerung zu sagen: Ihr müsst | |
mit dem Impfen warten, bis wir alles global verteilt haben. Das ist einfach | |
ein Dilemma. | |
30 Dec 2020 | |
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Ingo Arzt | |
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