# taz.de -- Parteijugend über Koalitionen: „Rot-Grün-Rot täte Deutschland … | |
> Die Sprecherinnen von Jusos, Grüner Jugend und Solid sind sich einig: | |
> Die Mutterparteien sollen sondieren. Denn die Schnittmengen sind groß. | |
Bild: Anna Peters, Jessica Rosenthal und Clara Büttner | |
taz: Frau Büttner, Frau Peters, Frau Rosenthal, brauchen wir für das Klima | |
individuellen Verzicht? Weniger Autofahren, weniger Fliegen, weniger | |
Fleischessen? | |
Jessica Rosenthal (Jusos): Klimapolitik ist eine Systemfrage. Es nutzt | |
nicht viel, wenn der Einzelne jetzt nur noch ein Steak in der Woche isst. | |
Nichts gegen [1][bewussten Konsum]. Aber entscheidend ist, ob wir die Mär, | |
dass Markt und Innovationen reichen, weiter glauben. | |
Carla Büttner (Solid): Konsumkritik bringt uns nicht weiter. Mit Adorno | |
gesagt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Außerdem geht Verzicht | |
zulasten von Menschen mit geringem Einkommen. Die können sich keine fair | |
produzierten Produkte von hoher Qualität und nachhaltige Mobilität leisten. | |
Wir brauchen einen Systemwechsel. | |
Also Ordnungspolitik und kein Verzicht, Frau Peters? | |
Anna Peters (Grüne Jugend): Individuell den ökologischen Fußabdruck zu | |
errechnen und sich als Klima-Girl zu fühlen, ist der komplett falsche | |
Ansatz. Er entbindet Politik von der Verantwortung. Die | |
Öko-Verzichtsdebatte sollte historisch in den 2000ern in den USA davon | |
ablenken, welche Schäden die Öl- und Gasindustrie angerichtet hat, und tut | |
es bis heute auch bei uns. Das spielt Konservativen, Lobbyisten und | |
Klimazerstörern in die Karten. Wir brauchen Ordnungsrecht und eine | |
Koalition, die früher aus der Kohle aussteigt. Das ist verantwortungsvolle | |
Politik. | |
Da sind Sie sich einig. Reicht denn Klimaneutralität bis 2045, wie es die | |
Jusos wollen? | |
Peters: Nein. Aber ich bin es leid, über 2045 und Klimaneutralität zu | |
reden. Wir wissen, dass wir jetzt handeln müssen. Wir wissen das schon seit | |
mehr als 25 Jahren, länger, als ich lebe. Wir müssen früher als 2038, | |
früher, als es Olaf Scholz sagt, aus der Kohle aussteigen. Wir brauchen | |
jetzt einen kompletten Turn in der Bundespolitik. Die Debatte über 2045 | |
lenkt davon nur ab. | |
Rosenthal: Wir Jusos sagen nicht: Klimaneutralität 2045 reicht. Es muss so | |
schnell gehen wie möglich. Dafür wollen wir die Mindestabstände bei | |
Windkrafträdern endlich vernünftig regeln und Genehmigungsverfahren | |
beschleunigen, massiv investieren – vor allem in den öffentlichen | |
Nahverkehr. Wir Jusos setzen uns dafür ein, dass in den | |
Koalitionsverhandlungen beim Klima viel mehr Tempo gemacht wird. Gerade für | |
junge Menschen ist das zentral. | |
Die Linkspartei hat beim Klima ein radikales Programm. [2][Bei Sahra | |
Wagenknecht] klingt das aber anders. Warum diese Doppelbotschaft? | |
Büttner: Das Wahlprogramm wurde von der Mehrheit beschlossen. Es gilt. Wenn | |
Einzelne das anders sehen, können sie das machen. Aber das ist nicht die | |
Meinung der Partei. | |
Macht Klimaschutz Spaß? | |
Peters: Auf jeden Fall! Wir sollten viel mehr über Möglichkeiten reden, die | |
klimaneutrale Kommunen haben. Das reicht von Parks, die zu | |
Naherholungsgebieten werden, über Straßen, die nicht von Autos zugeparkt | |
sind, bis zu genossenschaftlich organisierten Solar-Bürgerinitiativen. Das | |
ist eine großartige Vision für unsere Gesellschaft. | |
Büttner: Klimaschutz würde das Leben von vielen hier und heute deutlich | |
verbessern. | |
Rosental: Ich kandidiere jetzt in Bonn. Das ist die Stauhauptstadt Nummer | |
eins in NRW. Es wäre doch besser, nicht mehr im Stau zu stehen, weil es | |
einen guten öffentlichen Nahverkehr auch ins Umland gibt. | |
Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Ich weiß, wie es ist, wenn der letzte | |
Bus um elf Uhr am Samstag fährt, wenn man feiern gehen will und dann doch | |
jemand das Auto nehmen muss. Das nervt ohne Ende. Das können wir alles viel | |
besser. Wer fühlt sich denn in Betonwüsten wohl? Das kommt aber in den | |
konservativen Angstdebatten, die immer um Verzicht und Verbot kreisen, nie | |
vor. | |
Peters: Richtig. Wir müssen Freiheit anders definieren. Die 18-jährige | |
Schülerin, die im Dorf lebt, in dem einmal in der Stunde ein Bus kommt, ist | |
nicht frei. Sie wäre es, wenn die öffentliche Infrastruktur ihr Grundrecht | |
auf Mobilität garantieren würde. Das Gleiche gilt für Ältere, die nicht | |
frei sind, solange kein Rufbus verfügbar ist. | |
Politik für Leute zu machen, die Geld haben, sich ein oder zwei Autos | |
leisten, und denen auch noch eine E-Auto-Prämie hinter herzuwerfen ist | |
keine freiheitliche Politik. Freiheit heißt nicht Rücksichtslosigkeit und | |
keine Regeln, sondern in Infrastruktur für alle zu investieren. | |
Braucht Deutschland [3][eine rot-grün-rote Regierung]? | |
Peters: Ja. Es gibt Gerechtigkeitsfragen, vom Klima über Wohnungssuche bis | |
zum Lohn von Pflegerinnen, bei denen FDP und Union keine Lösungen haben. | |
Unsere drei Parteien haben da am meisten Übereinstimmung. | |
Olaf Scholz will aber eine Ampelregierung. Und Sie, Frau Rosenthal? | |
Rosenthal: In zentralen Gerechtigkeits- und Klimafragen täte Rot-Rot-Grün | |
Deutschland gut. Natürlich gibt es für die SPD Grundprinzipien, die nicht | |
verhandelbar sind, etwa bei der Außenpolitik. Olaf Scholz hält zu Recht | |
offen, welche Koalition regieren wird. | |
Unbedingt muss aber die Union in die Opposition – das ist für uns klar. Sie | |
hat inhaltlich kein Angebot und macht panisch diese peinliche | |
Rote-Socken-Kampagne. Wir wollen eine Mehrheit jenseits der Union. Am | |
besten Rot-Grün. Wenn das nicht reicht, sollten wir unbedingt auch mit der | |
Linkspartei sondieren. | |
Frau Büttner, ist Solid für eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei? | |
Büttner: Wir befürworten keine Regierungsbeteiligung, wir sind auch nicht | |
dagegen. In erster Linie sind wir Sozialist:innen. Wir werden Rot-Rot-Grün | |
danach beurteilen, ob es uns auf dem Weg zum Systemwechsel voranbringt. Für | |
eine progressive Regierung muss die CDU auf jeden Fall raus. Wir fordern | |
von einer Regierung unter anderem konsequente Klimaschutzpolitik, einen | |
bundesweiten Mietendeckel und einen Stopp der Aufrüstung der Bundeswehr. | |
Das Nato-Bekenntnis scheint der Knackpunkt zu sein. SPD und die Grünen | |
haben das zur Eintrittskarte für Sondierungen gemacht … | |
Peters: Das wird hochstilisiert. Die Linkspartei sagt ja, sie wird es daran | |
nicht scheitern lassen. Sie weiß auch, dass der kleinste Koalitionspartner | |
nicht die Außenpolitik bestimmen kann. Wir hätten aber beim Klima, in der | |
Wirtschafts- und Handelspolitik mit der CDU sehr große Probleme. So zu tun, | |
als ob die Nato das größte aller Probleme in den Koalitionsverhandlungen | |
sei, ist falsch. | |
Rosenthal: Für die SPD ist außenpolitische Stabilität wichtig. Es wird mit | |
der SPD keinen Austritt aus der Nato geben. Aber die Linken-Vorsitzende | |
Janine Wissler hat die richtige Frage aufgeworfen: Wie muss man die Nato | |
weiterentwickeln? Diese Frage ist gerade nach dem gescheiterten | |
Afghanistan-Einsatz mehr als legitim. | |
Es gäbe ein Trommelfeuer gegen eine rot-grün-rote Regierung. Könnten Ihre | |
Parteien dem standhalten? | |
Büttner: Ich hoffe, dass viele begreifen, das sich die CDU damit lächerlich | |
macht. Und dass unsere Parteien und Jugendorganisationen stark genug wären, | |
sich nicht unterkriegen zu lassen. | |
Peters: Wenn man ernsthaft Rot-Grün-Rot sondiert, wird es von Springer bis | |
zu Unternehmerverbänden großen Gegenwind geben. Aber in einer Demokratie | |
müssen andere Koalitionen möglich sein. Es ist gefährlich für unsere | |
Demokratie zu sagen: Der Shitstorm wird viel zu groß, lassen wir das | |
lieber. Was ist das für eine Demokratie, wenn wir schon jetzt davor Angst | |
haben? | |
Rosenthal: Die CDU hält es für undenkbar, nicht zu regieren, und diffamiert | |
alle anderen Möglichkeiten. Sogar der FDP unterstellt die Union einen | |
Linksruck. Das ist selbstgerecht. Aus Angst vor dieser Polarisierung | |
aufzugeben heißt, der problematischen Debattenverengung der CDU/CSU | |
nachzugeben. Rot-Rot-Grün regiert in drei Bundesländern. | |
Politik heißt Kompromisse schließen. Haben Sie da schon schmerzliche | |
Erfahrungen gemacht? | |
Peters: Wir haben als Grüne Jugend oft eine linkere Meinung als unsere | |
Partei. Bei der Debatte um das Wahlprogramm mussten wir viele Kompromisse | |
eingehen, bei der Transformation in der Autoindustrie oder dem CO2-Budget. | |
Aber diesen Prozess muss man durchkämpfen, um am Ende ein stärkeres | |
Programm zu haben. | |
Rosenthal: Kompromisse gehören zur Demokratie. Ein Problem gibt es aber, | |
wenn viele Menschen den Eindruck haben, dass in der Politik ja doch alles | |
gleich ist. Wir haben eine Vision davon, wie unser Land nicht nur in fünf | |
Jahren, sondern auch in 50 Jahren aufgestellt sein soll. Bei jedem | |
Kompromiss muss man sich fragen: Kommen wir mit diesem Schritt unserer | |
Vision näher? | |
Kevin Kühnert wollte vor zwei Jahren noch BMW vergesellschaften, jetzt | |
spricht er sich in Berlin gegen die Enteignung von Wohnungskonzernen aus. | |
Ist das nicht zu viel Kompromiss, zu schnelle Anpassung? | |
Rosenthal: Das ist eine Abwägung, keine Anpassung. Für Kevin ist die Frage, | |
wie Menschen ein bezahlbares Zuhause haben können, extrem wichtig. Das | |
Volksbegehren für Enteignungen hält er nicht für den richtigen Weg. Die | |
Jusos in Berlin wiederum unterstützen das Begehren. Beides ist legitim. Das | |
Ziel bleibt das gleiche – bezahlbare Wohnungen und ein Ende der | |
Spekulation. | |
Büttner: Zu Kevin Kühnert möchte ich jetzt nichts sagen. Nur so viel: Es | |
ist klar, dass wir Deutsche Wohnen & Co enteignen unterstützen und einen | |
bundesweiten Mietendeckel fordern. Wir müssen ja nicht immer die gleiche | |
Meinung haben. | |
Wird Deutschland 2022 rot-grün-rot regiert? | |
Rosenthal: Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler am 26. September. | |
Büttner: Es ist möglich. Aber es wird schwer. | |
Peters: Ich hoffe es. | |
23 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Adrian Breitling | |
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