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# taz.de -- Parafaschismus in Belarus: Zum Präsidenten geboren
> Der Lukaschenko-Clan duldet niemanden neben sich. Gesetze werden
> willkürlich erlassen. Janka Belarus über stürmische Zeiten in Minsk.
> Folge 102.
Bild: Lukaschenko besucht eine Truppenübung von Russland und Belarus am 12.09.…
In Belarus ist das Rechtssystem mittlerweile völlig zerstört. Ersetzt wurde
es durch etwas, das charakteristische Merkmal des Faschismus trägt – die
sozialdarwinistische Philosophie des „Führerprinzips“ (im Original Deutsch;
Anm. d. Redaktion), wie es erstmals von Herman von Keyserling formuliert
wurde.
Aktuell geht es darum, dass „man zum Präsidenten geboren wird“: das Monopol
auf Recht, Gesetz und Macht hat der Lukaschenko-Clan (und der ähnelt dem
sizilianischen Mafia-Syndikat). Lukaschenko spricht gerade viel davon, dass
er seinen außerehelichen 16-jährigen Sohn Nikolai als nächsten
belarussischen Präsidenten sieht. Und solche Ideen werden auf der Grundlage
der Aufteilung des Landes zwischen Angehörigen des Lukaschenko-Clans, des
militärischen Flügels (Armee) und der Zivilbevölkerung formuliert.
Der Wille und [1][die Interpretation von Gesetzen] durch die Angehörigen
der Machtvertikale und der Junta-Kämpfer auf allen staatlichen Ebenen
wurden bereits über den Gesetzgebungsakt festgelegt. Das Gesetz selbst ist
schon ein willkürlicher Zufallsakt. Seit der Installierung des
parafaschistischen Regimes gibt es zehntausende Gesetzesvarianten in
Belarus – und jede davon ist ein Resultat der willkürlichen Interpretation
dessen, was Lukaschenko sagt, durch eben diese Vertreter der
Machtvertikalen. Das hat nichts mit mehr mit gesetzlichem Standard zu tun –
es zeigt die komplette Zerstörung des Rechtssystems.
Aus allem, was Lukaschenko irgendwann einmal äußert, werden systematisch
Gesetze gemacht. Diese kommen dann auch bei unmittelbaren Konflikten mit
Anforderungen an die Verfassung und andere normativ-rechtliche Akte zur
Anwendung. Jeder kleine Beamte kann damit willkürlich Gesetze auslegen und
diese Auslegung steht automatisch über jeder Rechtsnorm. So wird das
Rechtssystem völlig unberechenbar.
Nach den Regeln des „Führerprinzips“ wird jeder noch so verbrecherische
Befehl zu einem neuen Gesetz, faktisch zu einer Vertonung des Befehls.
Daher können zum Beispiel Mordopfer nach dieser Ethik des eigenen
gewaltsamen Todes für schuldig befunden werden, zumindest jedoch für das
Verlassen ihres Lebens.
Nachdem es die Kämpfer Lukaschenkos übernommen haben, die Forderungen von
Patruschew (=Putin) (Nikolai Platonowitsch Patruschew ist ein russischer
Offizier. Er war von 9. August 1999 bis 12. Mai 2008 Leiter des
Inlandsgeheimdienstes FSB, Anm. d. Redaktion) [2][nach der vollständigen
„Säuberung“ der belarussischen Zivilgesellschaft] zu erfüllen, hat in
unserem Land der Übergang zu einer neuen Form des Autoritarismus – dem
Parafaschismus – begonnen. (Im Juli hatte Alexander Lukaschenko bei einem
Treffen mit Präsident Wladimir Putin angekündigt, rigoros gegen die
Zivilgesellschaft vorzugehen. Zahlreiche NGOs wurden daraufhin verboten,
Schriftsteller*innen und Medienschaffende verhaftet; Anm. der
Redaktion).
Vom klassischen Faschismus, der bisher in Belarus existierte, unterscheidet
er sich lediglich durch das Fehlen der kohärenten Ideologie eines „neuen“
nationalen Charakters, der Erziehung des „großen Belarussen der Zukunft“.
In allem anderen ist Belarus schon ein faschistischer Staat, wie die Regime
von Mussolini und Franko, die sich auf Führerschaft, Staatsterror und die
Unterdrückung aller abweichenden Meinungen verließen.
Lukaschenko und seine Truppe stellen sich nicht nur nicht der Aufgabe, eine
neue Gesellschaft aufzubauen oder den „Menschen der Zukunft“ zu gestalten.
Sie haben einfach überhaupt keine stabile Ideologie. Die Ideologie des
belarussischen Parafaschismus ist äußerst situativ: heute dient sich das
Regime schmarotzend als Freund dem Kreml an, morgen verteidigt es seine
Souveränität gegen die russischen Aggressionen. Es ist die Ideologie eines
Chamäleons, das bereit ist, jede beliebige ideologische Färbung anzunehmen.
Welcher Platz bleibt in diesem System noch für die Bürger*innen? Im
November 2020 (nach der faktischen Einführung des Kriegszustandes) wurde
den belarussischen Bürger*innen das Recht auf friedliche Äußerung
abweichender Meinungen in egal welcher Form genommen. Jetzt, im Spätsommer
2021, hat sich das Regime zur Aufgabe gemacht, jegliche Bürgerbeteiligung
überhaupt komplett zu verbieten. [3][Die Bürger*innen haben nicht mehr
das Recht, irgendwas zu tun, das auch nur ansatzweise mit der
Funktionsfähigkeit des kriminellen Clans konkurriert] oder dessen
Lebensfähigkeit in Frage stellt.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
17 Sep 2021
## LINKS
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[2] /Razzien-in-Belarus/!5788922
[3] /NGO-Verbot-in-Belarus/!5788920
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Janka Belarus
## TAGS
Kolumne Notizen aus Belarus
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