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# taz.de -- Oppositioneller über Wahl in Belarus: „Die Belaruss*innen sitzen…
> Bei der Präsidentschaftswahl in Belarus steht der Sieger schon fest:
> Alexander Lukaschenko. Valery Kavaleuski setzt auf den Westen gegen den
> russischen Einfluss.
Bild: Die Urne ist nur Beiwerk und Dekoration, oder aber Sammelstelle für Altp…
taz: Herr Kavaleuski, am Sonntag wird in Belarus gewählt. Oder wie würden
Sie dieses Ereignis bezeichnen?
Valery Kavaleuski: Von wirklichen Präsidentenwahlen kann keine Rede sein.
Sie entsprechen keinen demokratischen Standards. Niemand erwartet, dass das
eine freie Abstimmung sein und die Auszählung der Stimmen korrekt ablaufen
wird. Wenn [1][Alexander Lukaschenko] dennoch glaubt, seine Legitimität zu
erneuern, kann er das vergessen.
taz: Lukaschenko steht als Sieger fest, und trotzdem hat das Regime
Repressionen gegen Kritiker*innen sogar noch verstärkt. Warum?
Kavaleuski: 2020 hatte Lukaschenko die Zügel etwas gelockert. Wohin das
geführt hat, wissen wir – [2][zu wochenlangen Massenprotesten]. Das darf
nicht noch einmal passieren, deshalb braucht es jetzt eine klare Botschaft
an die Bevölkerung.
taz: Derzeit sitzen in Belarus noch rund 1.200 politische Gefangene ein. Im
vergangenen Jahr hat Lukaschenko 250 begnadigt. Wie passt das zusammen?
Kavaleuski: Auch das ist ein Signal an seine Landsleute, aber nicht nur an
sie. Lukaschenko weiß, dass viele Belaruss*innen ungehalten darüber
sind, [3][dass es so viele politische Gefangene gibt]. Dem Westen will er
sagen: Seht her, ich bin bereit, etwas zu verändern, auf eure Einwände zu
hören und darauf zu reagieren. Gleichzeitig ist es Lukaschenko wichtig zu
zeigen, dass das allein seine Entscheidung gewesen sei und er keinem Druck
nachgegeben habe. Lukaschenko ist derzeit sehr stark von dem
außenpolitischen Kontext beeinflusst.
taz: Was meinen Sie damit?
Kavaleuski: In Europa durchlaufen viele Staaten politische
Transformationsprozesse, neue Politiker*innen sind auf die Bühne
getreten. Die haben kein emotionales Verhältnis zu den Ereignissen von
2020. Lukaschenko setzt darauf, dass die Zeit alles heilt und es ihm
gelingt, seine Geschichte zu verkaufen.
taz: Die westlichen Staaten haben mehrfach Sanktionen gegen Belarus
verhängt. Haben diese etwas bewirkt?
Kavaleuski: Die Strafmaßnahmen wurden schrittweise verhängt, um dem Regime
die Möglichkeit zu geben, sein Vorgehen zu überdenken. Doch stattdessen hat
sich das Regime angepasst und Möglichkeiten gefunden, die Sanktionen zu
umgehen. Insgesamt ist festzustellen, dass Belarus wirtschaftliche Einbußen
erlitten hat, aber das war keine existenzielle Bedrohung. Hinzu kommt, dass
diese Verluste kompensiert werden können. Belarussische Betriebe arbeiten
in drei Schichten für den militärisch-industriellen Komplex in Russland.
Wenn es zu einem Waffenstillstand in der Ukraine käme, würde das Belarus
empfindlich treffen.
taz: Wie ist das Verhältnis zwischen Moskau und Minsk?
Kavaleuski: Das Ganze gleicht einer Beziehung zwischen Herr und Diener.
Selbst wenn Lukaschenko die Beziehungen zum Westen irgendwie normalisieren
wollte, würde das wohl eine negative Reaktion des Kreml hervorrufen. 90
Prozent aller belarussischen Waren gehen über Russland. Das ist ein ernst
zu nehmender Hebel, um Druck auszuüben. Lukaschenko ist einen Pakt mit dem
Teufel eingegangen. Um an der Macht zu bleiben, hat er zugestimmt, den
Integrationsprozess mit Russland zu beschleunigen, auch um den
Zusammenbruch der Wirtschaft abzuwenden. Aber es geht nicht nur um die
Wirtschaft. So werden beispielsweise jetzt in Belarus Geschichtsbücher
umgeschrieben. An die Stelle belarussischer treten russische Helden.
taz: Vertreter*innen der Opposition sitzen im Gefängnis oder sind ins
Exil gegangen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Von außen betrachtet hat
man den Eindruck, dass Letztere nicht an einem Strang ziehen. Wie ist der
Zustand der Opposition?
Kavaleuski: Ich würde nicht von einer Spaltung sprechen. Jetzt gilt es
Versuche zu bewerten, was wir in viereinhalb Jahren erreicht haben, was
funktioniert hat und was nicht. Wie müssen wir uns neu aufstellen, um in
der jetzigen Situation relevant zu sein, welche neue Strategie brauchen
wir, um unsere Ziele zu erreichen? Die Mission der demokratischen Bewegung
war zuallererst die Freilassung der politischen Gefangenen und die
Durchführung freier Wahlen. Das haben wir nicht geschafft.
taz: Aber Sie haben doch im vergangenen Juni die Übergangsregierung von
[4][Swetlana Tichanowskaja, die im litauischen Exil lebt], verlassen.
Warum?
Kavaleuski: Ich habe mich dort um Außenpolitik gekümmert. Keine Frage,
Kontakte zur internationalen Gemeinschaft sind wichtig, auch, damit
Belarus auf der Agenda bleibt. Aber das reicht nicht. Wir müssen der
Innenpolitik in Belarus mehr Aufmerksamkeit schenken. Wir müssen viel mehr
mit den Belaruss*innen in Belarus arbeiten und denjenigen, die ihre
Heimat verlassen haben. Unsere internationalen Partner können uns nur bei
der Lösung unserer Probleme helfen, diese aber nicht für uns lösen. Das
ist unsere Aufgabe, Pflicht und Verantwortung.
taz: Lettland und Litauen haben viele belarussische Geflüchtete
aufgenommen. Doch dort wird die Gangart gegenüber diesen Menschen jetzt
merklich verschärft. In Litauen etwa ist geplant, dass Fahrzeuge mit
belarussischen Nummernschildern nicht mehr fahren dürfen. In Lettland
fürchten Belaruss*innen eine Abschiebung, wenn ihre Pässe abgelaufen
sind, sie jedoch nur in Belarus neue Papiere bekommen können. Wie bewerten
Sie das?
Kavaleuski: Das alles führt dazu, dass ein neuer Eiserner Vorhang entsteht.
Die Distanz zwischen den westlichen Ländern und den Menschen in Belarus
wächst. Ja, wir sind nicht Teil der Europäischen Union, aber dennoch sind
wir Europäer*innen, wir fühlen uns als Teil dieser Familie, dieser
Zivilisation. Aber wir haben das Gefühl, dass sich die europäische Familie
von uns entfernt. Dort glaubt man, dass insbesondere Belaruss*innen eine
Bedrohung der Sicherheit darstellen. Dabei reden wir vielfach von Leuten,
die 2020 auf die Straßen gegangen sind.
taz: Sanktionen hatten ja bisher nicht den gewünschten Effekt. Was könnten,
was sollten die westlichen Staaten denn jetzt stattdessen tun?
Kavaleuski: Die Vergabe von Visa für Belaruss*innen maximal
erleichtern. Die Grenzkontrollpunkte müssen wieder geöffnet werden. Um aus
Minsk nach Warschau zu kommen, müssen die Menschen mindestens 48 Stunden
Schlange stehen, manchmal sogar länger. Außerdem die Mobilität wieder
erhöhen – durch die Eisenbahn, die unser Land immer mit Westeuropa
verbunden hat, mit Warschau, Berlin und Paris. Doch die Beschränkungen für
Belaruss*innen werden immer stärker, zur großen Freude von Wladimir
Putin.
taz: Wie das?
Kavaleuski: Er sieht, dass die Belaruss*innen von drei Seiten in einer
Falle sitzen. Da ist Lukaschenko, mit seinen Repressionen, seinem
Machthunger und seiner Unsicherheit, was die Zukunft anbelangt. Da ist
Russland, das Belarus als Werkzeug für seine geopolitischen Ambitionen
nutzt. Und da ist ein Teil der europäischen Länder, die sich gegen die
Belaruss*innen abschotten.
taz: Sie haben berufsbedingt einige Jahre in den Vereinigten Staaten von
Amerika verbracht. Was erwarten Sie von dem neuen US-Präsidenten Donald
Trump? Weiß Trump überhaupt, dass es einen Staat namens Belarus auf der
Landkarte gibt?
Kavaleuski: Da bin ich nicht sicher. Neulich hat er ja auch über Spanien
gesagt, das Land gehöre zu den Brics-Staaten. Was Belarus angeht, so sollte
man spezielle Kenntnisse von einem US-Präsidenten aber auch nicht unbedingt
erwarten.
taz: Wagen Sie eine Prognose, was ein mögliches Ende des Kriegs in der
Ukraine angeht?
Kavaleuski: Trump wollte diesen Krieg in 24 Stunden beenden, jetzt sind wir
schon bei sechs Monaten. Immerhin, da tut sich etwas. Mir scheint, dass er
erkennt, wie wichtig es ist, dass dieser Krieg zumindest mit einem
gerechten Frieden für die Ukraine endet.
taz: Also doch nicht ein Frieden um jeden Preis? Genau das fordern jetzt
aber einige deutsche Parteien.
Kavaleuski: Die Ukraine jetzt nicht mit allen Mitteln zu unterstützen, wird
schwerwiegende Folgen haben. Internationale Regeln, die nach dem Zweiten
Weltkrieg entstanden sind, würden zerstört. Dazu gehören der Respekt vor
der Souveränität eines Staats, das Prinzip von Nichteinmischung und
Gewaltverzicht sowie die Unverletzlichkeit der Grenzen. Einen solchen
Präzedenzfall darf es nicht geben.
taz: Wie würde sich ein Friedensschluss in der Ukraine auf Belarus
auswirken?
Kavaleuski: Belarus ist sehr verwundbar. Wenn Russland diesen Krieg
gewinnt, könnte Moskau versucht sein, das Land komplett zu unterwerfen. Das
Gleiche könnte jedoch auch dann passieren, wenn die Ukraine einen Frieden
erreicht, den sie von ihrem Standpunkt aus als gerecht ansieht. Ich möchte
die europäischen Partner daran erinnern, dass ein nachhaltiger, gerechter
Frieden in der Ukraine jedoch nur möglich ist, wenn Belarus vom Diktat
Russlands befreit ist. Denn es war das von Russland kontrollierte Belarus,
das zum Ausgangspunkt der Aggression gegen die Ukraine wurde. Und das kann
sich wiederholen.
25 Jan 2025
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## AUTOREN
Barbara Oertel
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