# taz.de -- Omikron-Variante gefährdet Versorgung: Hält die kritische Infrast… | |
> Die Omikron-Variante könnte das Land im Januar mit Wucht treffen. Was, | |
> wenn Polizistinnen, Kassierer, Erzieherinnen, Pfleger, Ärztinnen | |
> ausfallen? | |
Bild: Auch diese Männer mit Besen und Schaufel von der BSR gehören zur kritis… | |
## Vier Wellen haben wir in der Pandemie schon hinter uns. Warum soll die | |
bevorstehende fünfte Welle die kritische Infrastruktur gefährden? | |
Schon während der letzten vier Wellen kam es in Betrieben zu so großen | |
Personalausfällen, dass etwa der Müll nicht abgeholt werden konnte, es | |
nicht genügend Behördentermine gab und auch die Polizei weniger Fälle | |
bearbeiten konnte. Ganz zu schweigen von den chronisch überlasteten | |
Krankenstationen und Pflegeheimen. Aber dass flächendeckend die kritische | |
Infrastruktur gefährdet sein könnte – so weit kam es bisher nicht. Mit der | |
Ausbreitung der Omikron-Variante könnte sich das bald ändern. Der Grund: | |
Die „nie dagewesene Verbreitungsgeschwindigkeit“, wie es der | |
Expert*innenrat der Bundesregierung zu Beginn der Woche bezeichnet hat. | |
Denn Omikron unterläuft einen bestehenden Infektionsschutz und infiziert | |
auch Genesene und Geimpfte. Diese explosionsartige Verbreitung von Omikron | |
ist aktuellen Schätzungen zufolge etwa drei- bis viermal höher als bei | |
bisher bekannten Varianten. Wird diese Entwicklung nicht über massive | |
Kontaktbeschränkungen gestoppt, werden wir im Januar bei über 100.000 | |
Neuinfizierten liegen – pro Tag. | |
Erste Studien aus Großbritannien deuten zwar auf einen milderen | |
Krankheitsverlauf hin, auch Impfen und Boostern scheinen zu wirken. Doch | |
was die öffentliche Daseinsvorsorge betrifft, tut das nicht viel zur Sache. | |
Sollten viele Menschen zur selben Zeit krank werden und in Quarantäne | |
gehen, fallen sie – sofern sie keinen Homeoffice-kompatiblen Job haben – | |
aus. Bis zu sechs Millionen gleichzeitig Erkrankte könnte es im Januar oder | |
Februar geben, hat Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie der | |
Saar-Uni, errechnet. | |
## Ist das Krisenmanagement in Deutschland gut aufgestellt? | |
Eher nicht. Für das Risiko- und Krisenmanagement ist das Bundesamt für | |
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zuständig, gemeinsam mit den | |
Ländern. Das BBK empfiehlt den Betreibern kritischer Infrastruktur – also | |
Behörden und Unternehmen – eigene Ablaufpläne für den Krisenfall anzulegen. | |
Dazu gehören Krisenstäbe, Informations- und Meldewege. | |
Das Bundesinnenministerium hat zudem einen fünfstufigen Leitfaden für das | |
Risiko- und Krisenmanagement entwickelt: Vorplanung, Risikoanalyse, | |
vorbeugende Maßnahmen und Strategien, Krisenmanagement und Evaluierung. | |
Katastrophenschutz ist Ländersache. Der Bund und auch das BBK können nur im | |
Kriegsfall und bei militärischen Konflikten koordinierend eingreifen. Die | |
Pandemie hat aber gezeigt, dass der föderale Flickenteppich schnelle | |
Maßnahmen behindern kann. Demnächst soll es ein neues gemeinsames | |
Krisenzentrum geben, das beim BBK angesiedelt ist – aber frühestens ab | |
Frühjahr 2022. | |
## Wie wird gewarnt? | |
Bei Hochwasser, Großbränden, Gasentwicklung, aber auch bei | |
pandemiebedingten Stromausfällen versenden die Länder Meldungen. Zum | |
Beispiel über die Notfall-Warnapp Nina. Laut Bundesamt für | |
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nutzen rund elf Millionen Menschen | |
die App. Der Versand einer Warnmeldung über das Nina-System soll rund 30 | |
Sekunden dauern. Über die App können verschiedene Orte abonniert, | |
Push-Nachrichten für den aktuellen Standort angelegt werden. Zudem sind | |
lokale Coronaregeln und allgemeine Pandemiebestimmungen über die App | |
einsehbar. | |
Nicht nur digital wird die Bevölkerung informiert, sondern auch über | |
Sirenen. Da es diese nicht mehr flächendeckend gibt und nicht alle Sirenen | |
technisch auf der Höhe sind, hat der Bund ein Sirenenförderprogramm | |
aufgelegt. Das BBK empfiehlt, sich bei der Stadt- und Gemeindeverwaltung zu | |
informieren, welche Warnmittel verwendet werden. | |
## Fehlen also bald Polizist:innen auf der Straße? | |
Polizeigewerkschafter in Sachsen warnen: Die Corona-Infektionen in den | |
eigenen Reihen nähmen überhand, Dienststellen seien „kräftemäßig am Limi… | |
Das sächsische Innenministerium versucht zu beruhigen: Die Einsatzfähigkeit | |
der Polizei sei nicht in Gefahr. Dennoch befanden sich in dieser Woche 530 | |
der 14.000 sächsischen Polizist:innen in Quarantäne, 361 davon | |
Corona-infiziert. Die Zahlen sind anderenorts kaum besser. „Wir machen uns | |
große Sorgen um die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen“, sagt Oliver | |
Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Bei einigen | |
Polizeieinheiten wird inzwischen in getrennten A- und B-Teams gearbeitet, | |
um Kontakte zu reduzieren. | |
Derzeit setzt die Polizei vor allem aufs Boostern, einige Personalräte | |
fordern eine Impfpflicht für Polizeikräfte. Das Bundesinnenministerium legt | |
sich da nicht fest und verweist auf die teils bereits hohen Impfquoten. Bei | |
der Bundespolizei beträgt sie gut 80 Prozent. GdP-Chef Malchow glaubt: „Aus | |
momentaner Perspektive werden die Polizeien die Lage im Griff haben.“ Werde | |
es ernster, fordert Malchow eine länderübergreifende Zusammenarbeit und | |
„gegebenenfalls eine Aufgabenpriorisierung“. So solle die Polizei lieber | |
die Einhaltung der Coronaregeln kontrollieren als Autos im Halteverbot. | |
## Wie steht es bei der Feuerwehr? | |
Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) erwartet durch die Omikron-Welle | |
„unvermeidliche Ausfälle“. Schon heute würden mancherorts kleinere Gruppen | |
für Einsatzfahrzeuge gebildet, um Ansteckungen zu vermeiden. Falle eine | |
Einheit komplett aus, springe eine Nachbarfeuerwehr ein. Der DFV fordert | |
daher nun, für Angehörige von „Gefahrenabwehrorganisationen“ wie der | |
Feuerwehr keine Quarantäne mehr zu verhängen, wenn diese Erstkontakte von | |
Infizierten sind. | |
Die Regeln hierfür, ebenso wie fürs Freitesten, seien bisher von Land zu | |
Land unterschiedlich, was ein „hohes Ausfallrisiko“ berge. Auch appelliert | |
der Verband, Booster-Impfungen für die Feuerwehr prioritär zur Verfügung zu | |
stellen – und an die Dienstkräfte, diese auch anzunehmen. Zudem fordert der | |
DFV, dem Personal von kritischen Infrastrukturen wieder eine bevorzugte | |
Kinderbetreuung in Kitas und Horten anzubieten. | |
## Können ehemalige Feuerwehrleute, Pfleger*innen, Ärzt*innen oder andere | |
aus den kritischen Infrastrukturen wieder zurück in den Beruf geholt | |
werden? | |
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) schlägt im | |
Fall von umfangreichen Personalausfällen als eine von mehreren Maßnahmen | |
die „Reaktivierung ehemaliger Mitarbeiter“ vor. Ehemalige Pfleger*innen | |
etwa könnten sich bei der Internetplattform „Pflegereserve“ anmelden. | |
Darüber vernetzt die Bundespflegekammer qualifiziertes Personal, das | |
mittlerweile nicht mehr in der Pflege arbeitet, mit Einrichtungen, die | |
personelle Unterstützung suchen, um die Pandemie zu bewältigen. Doch das | |
ist einfacher gesagt als getan. | |
Der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands, Frank Hachemer, ist | |
skeptisch. Bei ehemaligen Feuerwehrleuten sei „zumeist kein aktueller | |
Ausbildungsstand mehr vorhanden“. Hinzu komme, dass die notwendige | |
Schutzkleidung fehle. Die Ehemaligen müssten zudem wieder in bestehende | |
Gruppen integriert werden. „Der damit verbundenen notwendigen | |
Einzelfall-Abwägung einer Verwendbarkeit sind hier enge Grenzen gesetzt.“ | |
## Wie sieht es mit der Energieversorgung aus? | |
Die Energiewirtschaft sieht derzeit kein erhöhtes Risiko für die | |
Versorgungssicherheit. Das teilte zumindest Kerstin Andreae, die Chefin des | |
Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), mit. Denn zum | |
einen seien 80 bis 90 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geimpft. | |
„Das lässt darauf hoffen, dass zumindest mit weniger schweren | |
Krankheitsverläufen zu rechnen ist.“ Zum anderen verfügt die Energie- und | |
Wasserwirtschaft über einen hohen Automatisierungsgrad. | |
## Schlägt jetzt die Stunde der Prepper? | |
Prepper sind Menschen, die sich auf eine drohende Katastrophe vorbereiten. | |
Sie dürften sich nun bestätigt fühlen. Aber auch das BBK empfiehlt, | |
Lebensmittelvorräte, notwendige Medikamente sowie Bargeld zu Hause | |
vorzuhalten, sodass eine autarke Versorgung für die Familie für drei bis | |
vier Tage auch ohne größere Einkäufe gewährleistet werden kann. Preppern | |
geht es aber um sehr viel mehr als Konservendosen und Wasserkanister. Sie | |
horten auch Waffen und Munition – aus politischer Motivation | |
Der rechtsextreme Bundeswehroffizier Franco A. etwa, der derzeit in | |
Frankfurt am Main wegen mutmaßlicher Terrorpläne vor Gericht steht, hatte | |
nicht nur Treibstoff und Notnahrung in seinem Keller gelagert, sondern auch | |
Patronen und Gewehre. Bis heute rechtfertigt er dies als legitime | |
Vorsorgehandlung im Blick auf einen drohenden Angriff Russlands oder einen | |
Bürgerkrieg. | |
Ähnlich verhielt sich die „Zuflucht“-Preppergruppe in Sachsen und | |
Sachsen-Anhalt. Zu deren Mitglieder zählten auch Reservisten der | |
Bundeswehr. Sie planten die Unterwerfung eines Dorfes an einem Tag X. | |
Entscheidend ist: Diese Prepper eint eine rechtsextreme Einstellung, die | |
sich vor allem in einer Ablehnung des bestehenden demokratischen | |
Rechtsstaates ausdrückt. Eine Krise wird dabei als Chance gesehen, das | |
bestehende politische System abzulösen. | |
23 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
David Muschenich | |
Sebastian Erb | |
Konrad Litschko | |
Tanja Tricarico | |
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