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# taz.de -- Arbeitszeitgesetz in Niedersachsen: Bitte mehr schuften
> Niedersachsen verfügt, dass Beschäftigte der „kritischen Infrastruktur“
> nun bis zu 60 Wochenstunden arbeiten können. Die Betroffenen sind
> entsetzt.
Bild: Wie sagt man es ihnen am besten? Ministerpräsident Stephan Weil, hier im…
Lüneburg taz | Einfach länger arbeiten. So einfach stellt es sich das
niedersächsische Gesundheitsministerium vor: Es hat [1][nun verfügt], dass
Beschäftigte in „kritischen Infrastrukturen“, also vor allem in den
Bereichen Gesundheit, Feuerwehr, Polizei und Grundnahrungsmittel, bis zu
zwölf Stunden am Tag, 60 Stunden in der Woche, arbeiten können – und
sollen, wenn durch [2][Corona-Infektionen] bedingte Personalausfälle eine
längere Arbeitszeit erforderlich machen. Doch dagegen gibt es nun Kritik.
Hans Martin Wollenberg, Landesvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger
Bund in Niedersachsen, beklagt: „Die Beschäftigten stehen seit bald zwei
Jahren unter Dauerbelastung.“ Es brauche kurzfristig Unterstützung in der
Krankenversorgung, um nicht noch mehr Personal zu verlieren.
„Das ist ein Schlag ins Gesicht“, sagt die Oberärztin eines großen
niedersächsischen Krankenhauses, die namentlich nicht genannt werden
möchte. Seit zwölf Jahren arbeitet sie in Krankenhäusern, seit fünf Jahren
ist sie durchgängig in der Notaufnahme tätig. „So eine Maßnahme kann nach
zwei Jahren Pandemie nicht mehr als Prävention gesehen werden“, sagt sie.
Im Kreis der Angestellten, Ärzt:innen wie Pflegekräfte, würden sie sich
fragen, woher sie jetzt noch die Ressourcen für die Mehrbelastung nehmen
sollen.
„Man sagt uns: Erhöht jetzt noch eure Arbeitszeit, nachdem ihr euch zwei
Jahre persönlich und beruflich verausgabt und gekämpft habt“, sagt sie.
Auch nehme die Fehleranfälligkeit bei der Überschreitung der normalen
Arbeitszeit deutlich zu.
Auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe Nordwest (DBfK Nordwest)
ist ungehalten, weist aber auch die realen Bedingungen hin: „Faktisch wird
sich nicht viel ändern“, sagt Katharina von Croy, Sprecherin des DBfK
Nordwest. „60-Stunden-Wochen waren vorher schon gängig.“ Durch Omikron
könne diese Praxis nun schlicht flächendeckend stattfinden.
## Auch Sonntagsarbeit ist vorgesehen
Und der Vorsitzende des DBfK Nordwest, Martin Dichter, beklagt derweil,
dass Pflegepersonal zur „pandemischen Verfügungsmasse“ werde. Der Verband
betont, dass familiäre und finanzielle Entschädigungen bisher nicht im
Gespräch seien.
Die neue Arbeitszeitregelung gilt zunächst bis zum 10. April. Eine ähnliche
Maßnahme gab es zu Beginn der Coronapandemie, als die Krankenhäuser
überlastet waren. Da inzwischen laut Landesgesundheitsamt mehr als 85
Prozent der Coronafälle durch die Omikron-Variante zustande kommen,
befürchtet das Gesundheitsministerium [3][„kritische Personalengpässe“] in
diesen wichtigen Branchen.
Auch Sonntagsarbeit ist vorgesehen. Die durchschnittliche wöchentliche
Arbeitszeit soll sich jedoch nicht verändern, sodass die Mehrstunden später
an anderer Stelle ausgeglichen werden müssen. Zudem bleibt die
Arbeitszeitverteilung mitbestimmungspflichtig.
Gesundheitsministerin Daniela Behrens von der SPD sagt: „Damit wollen wir
Flexibilität auch in den Bereichen ermöglichen, wo unter Umständen viele
Kolleginnen und Kollegen eine Zeitlang ausfallen.“ In einem Statement
erklärt Oliver Grimm, Sprecher des Gesundheitsministeriums: „Die
[4][Belastung der Beschäftigten] vor allem im Krankenhaus- und im
Pflegebereich ist uns bewusst. Gleichzeitig gehört es aus unserer Sicht zu
einem vorausschauenden Pandemiemanagement, diese Regelungen für den
Ernstfall vorzusehen.“
## Löchrige Personaldecke
Doch die Kritiker:innen können das kaum noch ernst nehmen: Sprecherin
von Croy vom DBfK Nordwest betont, dass der jetzige Zustand systematisch
herbeigeführt wurde: „Es werden nur Löcher gestopft.“ Die Oberärztin
spricht davon, dass die Personaldecke mit einer heißen Nadel gestrickt sei.
„Es ist alles kaputt gespart.“
Auf Rückfragen, welche Maßnahmen getroffen würden, um die Beschäftigten zu
entlasten und ob das Ministerium befürchte, dass noch mehr Angestellte aus
dem Sektor aussteigen würden, antwortet das Gesundheitsministerium der taz
nicht.
„Wir brauchen eine vernünftige Personalausstattung, sodass solche Maßnahmen
nicht nötig wären“, sagt von Croy. Die Oberärztin sieht hingegen nicht,
„dass sich etwas bessert“. Zugleich mahnt der DBfK, dass Pflegefachpersonen
in Niedersachsen unterdurchschnittlich vergütet würden, die SPD-geführte
Landesregierung aber „bisher wenig zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen“
beigetragen habe.
14 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.ms.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/we…
[2] /Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5828346
[3] /Omikron-Variante-gefaehrdet-Versorgung/!5821243
[4] /Diakonie-Chef-ueber-Pflege-und-Corona/!5823426
## AUTOREN
Hagen Gersie
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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