| # taz.de -- Ökonom über Rechte der Natur: „Wir müssen die Welt anders sehe… | |
| > Die Natur räumt Menschen das Recht auf Leben ein, nicht umgekehrt, sagt | |
| > Ökonom Alberto Acosta. Durch ihn stehen die Rechte der Natur in Ecuadors | |
| > Verfassung. | |
| Bild: Die indigenen Gemeinschaften in Eucador räumen der Natur traditionell ei… | |
| taz: Herr Acosta, als Ecuador sich 2008 eine neue Verfassung gab, hielt das | |
| Land darin als erstes auf der Welt die „Rechte der Natur“ fest. Als | |
| Präsident der verfassunggebenden Versammlung waren Sie daran maßgeblich | |
| beteiligt. Wie kam es dazu, dass Ecuador diese Vorreiterrolle eingenommen | |
| hat? | |
| Alberto Acosta: Bei den Rechten der Natur geht es immer auch um ihre | |
| Ursprünge. Einer davon ist der indigene Ursprung. In lateinamerikanischen | |
| Ländern wie Ecuador, Bolivien, Paraguay und Peru ist es viel einfacher, | |
| über die Rechte der Natur aus der Perspektive der indigenen Gemeinschaften | |
| zu sprechen. Wenn die indigenen Völker von Pachamama, von Mutter Erde, | |
| sprechen, dann tun sie das nicht in einer metaphorischen Weise. Es ist | |
| keine Metapher, es ist eine reale, gefühlte Realität. Sie ist die Mutter, | |
| von und mit der sie leben. | |
| taz: Sie sind Mitautor eines kürzlich erschienenen Buchs, dessen Titel auf | |
| Deutsch übersetzt lautet: „Die Natur hat Rechte. Auch wenn manche das nicht | |
| glauben“. Was bedeutet das, wenn die Natur eigene Rechte hat? | |
| Acosta: Es ist nichts weniger als eine kopernikanische Wende in der | |
| juristischen Logik. Wenn wir eine neue Verfassung oder ein Grundgesetz | |
| schreiben, machen wir im Grunde nur eine anthropozentrische Übung. Wir | |
| Menschen räumen der Natur Rechte ein. Aber das ist nicht die Realität. Es | |
| ist die Natur, [1][die uns das Recht auf Leben gibt]. Der springende Punkt | |
| ist es, zu erkennen, dass die Natur ihren eigenen Wert hat. Unabhängig | |
| davon, ob sie für den Menschen nützlich ist oder nicht. Es geht um ein | |
| Rechtsverständnis, in dem nicht nur die Menschen, sondern auch die | |
| Ökosysteme geschützt werden. | |
| taz: Gibt es für diese Idee neben den indigenen Ursprüngen noch weitere | |
| Grundlagen? | |
| Acosta: Sie findet sich zum Beispiel in der Rechtswissenschaft und | |
| Philosophie in Deutschland. 1713 schrieb Hans Carl von Carlowitz in Sachsen | |
| ein fantastisches Buch mit dem Titel „Sylvicultura oeconomica“ über | |
| nachhaltige Forstwirtschaft. Darin verwendete er nicht nur zum ersten Mal | |
| den Begriff der Nachhaltigkeit, sondern schrieb auch über Mater natura, | |
| Mutter Natur. Dies wiederum beeinflusste den deutschen Forschungsreisenden | |
| Alexander von Humboldt und damit die Wissenschaft. Ein weiterer Ursprung | |
| ist in der Theologie zu finden, vom heiligen Franz von Assisi bis zu Papst | |
| Franziskus. | |
| taz: Was bedeuten die Rechte der Natur konkret? | |
| Acosta: Wir müssen zwischen den Rechten zum Schutz der Umwelt und den | |
| Rechten der Natur unterscheiden. Die Rechte für den Umweltschutz sollen | |
| eine gesunde Umwelt für die Menschen sicherstellen. Die Rechte der Natur | |
| gelten auch für die Menschen, aber nicht nur für die Menschen. Und diese | |
| Rechte der Natur verpflichten uns dazu, die Welt anders zu sehen. Mit den | |
| Dürren im Amazonas und in den Anden, den starken Regenfällen und | |
| Überschwemmungen in Südspanien und den beeindruckenden Hagelstürmen in | |
| Saudi-Arabien zeigt uns die Erde, dass das ökologische Gleichgewicht | |
| gestört ist und [2][dass wir uns mit Mutter Erde versöhnen müssen]. | |
| taz: In Ihrem Buch gehen Sie zusammen mit dem argentinischen Umweltanwalt | |
| Enrique Viale auf Spurensuche in Sachen Rechte der Natur. Welche Pfade | |
| haben Sie entdeckt? | |
| Acosta: Es beginnt damit, was wir in Ecuador getan haben, dem immer noch | |
| einzigen Land, das die Rechte der Natur in seiner Verfassung | |
| festgeschrieben und die Natur als Rechtssubjekt anerkennt hat. Inzwischen | |
| gibt es etwa 40 Länder, in denen die Rechte der Natur auf die eine oder | |
| andere Weise Realität sind, allerdings, ohne dass sie in einer Verfassung | |
| verankert wurden. Deutschland ist nun auch dabei. | |
| taz: Sie meinen, dass das Landgericht Erfurt [3][kürzlich zum ersten Mal in | |
| Deutschland ein Urteil gefällt hat], das den Rechten der Natur ausdrücklich | |
| Rechnung trägt. Wie bewerten Sie das? | |
| Acosta: Das ist fantastisch und ein sehr wichtiger Schritt nach vorne. | |
| taz: Es ging um den Diesel-Skandal: Der Kläger wollte Schadenersatz von | |
| BMW. Er argumentierte, sein Auto sei weniger wert, weil der Autobauer bei | |
| der Abgasreinigung eine illegale Abschalteinrichtung eingebaut hatte. Das | |
| Gericht gab ihm recht – seine Entschädigung fiel aber mit Verweis auf die | |
| ebenfalls verletzten Rechte der Natur höher aus. Er strich sozusagen noch | |
| den Schadenersatz ein, der der Natur zustehen würde. | |
| Acosta: Es ist ein Urteil, das die Rechte der Natur fundiert aus dem | |
| deutschen und europäischen Rechtsrahmen herleitet. Das Urteil wird dem | |
| Volksbegehren Auftrieb geben, mit dem die Rechte der Natur als juristischer | |
| Begriff in die bayerische Verfassung eingefügt werden soll. | |
| taz: Ist bei der Sicherung von Rechten der Natur nicht auch die soziale | |
| Ungleichheit ein entscheidender Faktor? | |
| Acosta: Wir müssen das Soziale und das Ökologische immer miteinander | |
| verbinden und in Einklang bringen. Wenn wir uns nur mit ökologischer | |
| Gerechtigkeit befassen, machen wir nur die Gartenarbeit. Wir dürfen dabei | |
| aber nicht vergessen, dass wir nicht nur ein Teil der Natur sind, sondern | |
| wir sind Natur. Und wenn wir versuchen, soziale Gerechtigkeit auf Kosten | |
| der Natur zu erreichen, zerstören wir letztlich damit auch die Grundlage | |
| für das menschliche Leben. | |
| 25 Nov 2024 | |
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