# taz.de -- Odessa im Krieg: Zum Geburtstag nur Alleinunterhalter | |
> Der Stadtgeburtstag von Odessa ist für die Einwohner immer ein besonderer | |
> Tag. Seit dem Krieg wird allerdings nur klein gefeiert. Ein Besuch. | |
Bild: Eine offizielle Feier gibt es zum Stadtgeburtstag von Odessa nicht. Einze… | |
Die Deko ist spärlich. Am Pavillon inmitten des Stadtgartens sind zwei | |
Fahnen der ukrainischen Marine aufgehängt. Davor playbackt ein | |
Alleinunterhalter sehr engagiert zu Schlagermusik auf Russisch. Die Bässe | |
sind voll aufgedreht, was anscheinend vor allem die älteren | |
Besucher:innen zum Tanzen animiert. Odessas Stadtgeburtstag Nummer 229 | |
fällt an diesem Samstag klein aus. Ein offizielles Fest gibt es dieses Jahr | |
nicht. | |
Vor zwei Jahren war noch die ganze Fußgängerzone mit bunt blinkenden | |
Girlanden geschmückt. Und die ohnehin lebendige Innenstadt verwandelte sich | |
für ein langes Wochenende in ein einziges Volksfest mit Straßenmusik und | |
Artisten. Schließlich ist der September der Lieblingsmonat der | |
Einheimischen: Es ist noch warm, die Schulferien in der Ukraine sind | |
vorbei, die Touristen sind so gut wie verschwunden, und die Stadt gehört | |
wieder ihren Bewohnern. | |
An diesem Samstagabend, es sind noch immer 26 Grad, wird es in der | |
Innenstadt dann doch noch etwas voller. Die Menschen flanieren durch die | |
Fußgängerzone der Deribasivska-Straße. In den Restaurants ist es – | |
zumindest unter freiem Himmel – schwer, einen Platz zu finden. Ein Pärchen | |
ist mit seiner Tochter unterwegs. Es sei so ein schöner Abend, sagt Vater | |
Vlad. Wenn es mal möglich sei, die gemeinsame Zeit genießen, „wollen wir | |
uns das auch nicht nehmen lassen“. Immerhin hatte es in der Nacht mal | |
keinen Luftalarm gegeben, der die Menschen aus dem Schlaf gerissen hätte. | |
Seit Juli, [1][als Russland aus dem Getreideabkommen ausgestiegen] war und | |
die Stadt anschließend eine Woche lang bombardierte, hat sich die Stimmung | |
verändert. Alarme hatte es in Odessa zwar von Beginn der Invasion Russlands | |
am 24. Februar 2022 gegeben, doch Angriffe waren seltener als | |
beispielsweise in der Hauptstadt Kyjiw. Man war am Schwarzen Meer zwar | |
nicht sorglos, aber die Erfahrung zeigte, dass ein direkter Angriff eher | |
unwahrscheinlich war. Das hat sich geändert. Nun sieht man mehr | |
Hinweisschilder auf Luftschutzkeller. Die [2][zerstörte | |
Verklärungskathedrale] ist mit Flatterband abgesperrt. Arbeiter sind immer | |
noch dabei, Trümmer zu sortieren. | |
Lehrerin Anna Rusan schlendert am Samstagabend durch die Straßen. Der | |
Stadtgeburtstag sei immer ein besonderer Tag, erzählt sie. „Wir feiern ihn | |
wie den Geburtstag einer Mutter.“ Man wolle bei ihr sein und wünsche ihr | |
Liebe, Wohlstand und dass ihre Kinder – in diesem Fall die Einwohner von | |
Odessa – sich gut um sie kümmern. | |
Auch wirtschaftlich ist es eine schwierige Zeit. Odessa ist eine | |
Touristenstadt: Sie hat einen Badestrand und eine Altstadt, die zum | |
[3][Unesco-Weltkulturerbe] erklärt wurde. Doch Touristen kommen mitten im | |
Krieg nur wenige in die Millionenstadt. Aus dem Ausland schon gar nicht. | |
Zwar werben in den Buchungsportalen mehr Hotels um Gäste als im ersten | |
Kriegssommer, doch für die Unterkünfte wird nur die Hälfte oder auch nur | |
ein Drittel des für die Sommersaison üblichen Preises aufgerufen. Außerdem | |
liegt mit dem Hafen auch der zweite wichtige Wirtschaftsfaktor Odessas | |
weitgehend brach. Vor der Invasion arbeiteten nach Angaben der | |
Stadtverwaltung zwischen 10.000 und 12.000 Menschen direkt oder indirekt im | |
Hafen. Dazu kommen noch die ganzen Seeleute, die arbeitslos geworden sind. | |
Dennoch, verglichen mit 2022 ist in der Stadt deutlich mehr los. Viele der | |
Straßensperren aus den ersten Monaten nach der Invasion sind verschwunden | |
oder zur Seite gerückt. Zumindest in der Innenstadt haben nur noch wenige | |
Geschäfte vernagelte Fenster. In den ersten Monaten nach dem 24. Februar | |
2022 waren nur noch rund 400.000 Menschen in der Stadt. Nun sollen es | |
einschließlich der Binnengeflüchteten wieder fast doppelt so viele sein. | |
Bürgermeister Hennadij Truchanov, vor der Invasion eher der prorussischen | |
Opposition zugerechnet, ließ am Samstag vor dem Rathaus neben der | |
Stadtflagge auch die Fahnen der Truppenteile aus der Region hissen. Viele | |
Ukrainer hätten nach der Invasion Russlands ihre Ansichten | |
unwiederbringlich geändert, sagte er. | |
Eine Stunde nach Ende des Stadtgeburtstags heulten in Odessa wieder die | |
Sirenen. Der Anflug von Drohnen iranischer Bauart über das Schwarze Meer | |
wurde gemeldet. | |
3 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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