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# taz.de -- Obdachlosenzählung in Berlin: Nachts in den Straßen der Stadt
> Tausende Freiwillige haben erstmals die Obdachlosen der Hauptstadt
> gezählt. Ziel ist eine Verbesserung der Hilfsangebote, Vorbild ist Paris.
Bild: Bisher war die Anzahl nur geschätzt: Nachtlager eines Obdachlosen in Ber…
Berlin taz | In der „Nacht der Solidarität“ wurden von Mittwoch auf
Donnerstag erstmals die Obdachlosen der Hauptstadt gezählt. Rund 2.600
Freiwillige – etwa 1.000 weniger, als sich ursprünglich angemeldet hatten –
durchstreiften zwischen 22 Uhr und 1 Uhr morgens die Straßen der Stadt, um
dort lebende Menschen zu zählen und wenn möglich zu befragen. Mit der
Datengrundlage sollen die Hilfsangebote verbessert werden; bislang gibt es
nur die grobe Schätzung, dass in Berlin zwischen 4.000 und 10.000 Menschen
auf der Straße leben. Das Ergebnis der Zählung will die Senatsverwaltung
für Soziales am 7. Februar verkünden.
Vorbild für die bundesweit erste Aktion dieser Art, die von
Wohlfahrtsverbänden und Armutsforschern schon lange gefordert wird und von
Wissenschaftlern der Alice-Salomon-Hochschule begleitet wird, ist Paris.
Dort findet seit 2018 jährlich eine „Nacht der Solidarität“ statt, bei der
letzten 2019 seien 3.641 Obdachlose im Stadtgebiet gezählt worden,
[1][sagte Paul Henry, Mitarbeiter der Pariser Stadtregierung, im
taz-Interview]. In Paris wird in der kommenden Nacht auf Freitag erneut
gezählt.
Laut Henry habe in Paris schon die erste Zählung unmittelbare Folgen
gehabt: So sei herausgekommen, dass es viel mehr obdachlose Frauen gebe als
erwartet: statt 2 bis 4 Prozent seien es 12 bis 14 Prozent der Betroffenen
weiblich. Die Folge: „Wir haben direkt nach der ersten Zählung 3.000 neue
Plätze in Unterkünften für Wohnungslose geschaffen, die Hälfte davon für
Frauen.“
In Berlin stieß die Zählung auch auf Kritik. So hält eine Gruppe namens
„Wohnungslosenparlament in Gründung“ seit Mittwochmittag und noch bis
Donnerstagabend eine Mahnwache vor dem Roten Rathaus ab.
[2][Mit-Initiatorin Nicole Lindner von der Mieterpartei sagte der taz,] sie
kritisiere, dass es nur ums Zählen an sich gehe und nicht, wie in Paris,
die Statistik nur Teil einer Woche voller „solidarischer Aktionen“ sei.
## Kritik an fehlender Solidarität
Das Neuköllner Kollektiv [3][„Friedel54“ wies auf Twitter darauf hin], dass
der Begriff „Nacht der Solidarität“ in Paris zuerst von AktivistInnen
geprägt worden war. 2007 hätten 200 Obdachlose unter diesem Label eine
Straße besetzt und Wohnraum gefordert. „Der propagandistische Wert für die
@SenIAS_Berlin und die Herrschenden besteht genau darin, den Begriff der
#Solidarität umzulabeln und die bloße Verwaltung des Status quo als solche
zu verkaufen“, [4][schreibt die Gruppe auf Twitter].
Die 2.600 Freiwilligen durchstreiften in Gruppen von 3 bis 6 Personen die
in 617 Zählräume aufgeteilte Stadt, ausgerüstet mit blauen Warnwesten und
Klemmbrettern mit den Fragebögen. Wie der Sprecher von Sozialsenatorin Elke
Breitenbach (Linke) am Ende der Nacht erklärte, seien lediglich zwei
Zählräume nicht besetzt gewesen. Ansonsten sei jede Straße der Stadt
abgelaufen worden. Parallel zur Straßenzählung erfassten auch die Berliner
Verkehrsbetriebe und die S-Bahn angetroffene obdachlose Menschen, auch die
Zahlen der Notunterkünfte aus dieser Nacht fließen in die Statistik mit
ein.
Die freiwilligen ZählerInnen waren zu Beginn des Abends in Rathäusern oder
Familienzentren in den Ablauf eingeführt und auf den „Verhaltenscode“
hingewiesen worden. Dazu gehörte, keine Obdachlosen aufzuwecken, in keine
Zelte oder Hütten hineinzuschauen, respektvoll zu reden und auch
aufeinander zu achten. Obdachlose sollten zunächst auf ihre
Datenschutzrechte hingewiesen werden, dafür war ein Infoblatt in acht
Sprachen vorbereitet worden.
Sofern sie sich einverstanden erklärten, wurden ihnen im Anschluss Fragen
zu Alter, Geschlecht, der Dauer ihrer Obdachlosigkeit und ihrer Herkunft
gestellt. Zudem wurden sie gefragt, mit wem sie auf der Straße
zusammenlebten, ob darunter auch Kinder oder Tiere seien. Wer die Fragen
nicht beantworten wollte, wurde lediglich gezählt. Ein ursprünglich
ebenfalls geplanter „Architekturfragebogen“ zur Art der Behausung – ob
Zelt, Parkbank oder Ähnliches – war von den Organisatoren kurzfristig
gestrichen worden.
30 Jan 2020
## LINKS
[1] /Obdachlosenzaehlung-in-Paris-und-Berlin/!5656718
[2] /Mahnwache-gegen-Obdachlosigkeit/!5660782
[3] https://twitter.com/kiezladen_f54/status/1222549924295868417
[4] https://twitter.com/kiezladen_f54/status/1222549930193145857
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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