# taz.de -- Obdachlose in Hamburg: Zurück auf die Straße | |
> In der Coronakrise konnten Obdachlose in Hamburg in Containern | |
> übernachten. Nun wurden sie abgebaut. Vielen droht eine erneute | |
> Verelendung. | |
Bild: Die Container für Obdachlose hat die Stadt Hamburg mittlerweile abgebaut | |
Hamburg taz | Zieht man dieser Tage durch Hamburgs Straßen, begegnet man | |
wieder häufiger obdachlosen Menschen. Auch Sozialarbeiter:innen | |
bestätigen diesen Eindruck. Bis zuletzt konnten Betroffene in | |
Wohncontainern eine Bleibe finden. Wenn auch nur nachts. Eigentlich sind | |
die Unterkünfte Teil des sogenannten „[1][Winternotprogramms]“, das | |
obdachlosen Männern und Frauen jährlich zwischen Anfang November und Ende | |
März einen Schlafplatz im Warmen bietet, um den frostigen Nächten auf der | |
Straße zu entfliehen. | |
Nachdem die Sozialbehörde das Programm zuletzt mehrfach verlängert hatte, | |
ist es nun nach rund anderthalb Jahren ausgelaufen. Die Container sind | |
abgebaut, viele Menschen zurück auf der Straße. | |
Im vergangenen Jahr hatte die Sozialbehörde die Notunterbringung von März | |
nahtlos bis zum Beginn des eigentlichen Winternotprogramms 2020/2021 | |
verlängert. Obdachlose konnten über den Winter hinaus die Unterkünfte | |
nutzen. Das sei vor allem zum [2][Schutz vor dem Coronavirus geschehen], | |
teilt die Sozialbehörde auf Anfrage mit. | |
In diesem Jahr allerdings wurde das Programm nur bis Ende Juni verlängert. | |
Die Container sind inzwischen dichtgemacht, viele sogar abgebaut. Im März | |
dieses Jahres nutzten täglich rund 700 Menschen das Angebot. Man habe das | |
Programm so lange fortgeführt, „bis alle ein Impfangebot in Anspruch nehmen | |
konnten“, teilt die Behörde mit. Mindestens 1.800 Obdachlose hätten eine | |
Corona-Schutzimpfung erhalten, heißt es weiter. | |
## Es fehlt eine Strategie | |
Die Behörde verweist stattdessen nun auf ganzjährig geöffnete | |
„Notübernachtungsstätten“ und Spezialunterkünfte zur „Versorgung | |
vulnerabler obdachloser Menschen“. | |
Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft, | |
überzeugt das nicht: „Die Situation für Obdachlose war schon vor der | |
Pandemie nicht einfach.“ Es gebe keinen politischen Willen, den Menschen | |
wirklich zu helfen. „Der Senat argumentiert immer mit einer sogenannten | |
Sogwirkung, dass Menschen aus Südosteuropa und Osteuropa hierher kommen, um | |
das Winternotprogramm als kostenlose Übernachtung zu nutzen. Das kann ich | |
überhaupt nicht bestätigen. Der Senat hat eine Verantwortung für jeden | |
Menschen, der oder die auf der Straße schlafen muss.“ Die Stadt rühme sich | |
für ihr Winternotprogramm, sagt sie. Das sei aber nur ein Schutz vor dem | |
Erfrieren und keine Lösung der Obdachlosigkeit. | |
Stephan Karrenbauer, der [3][bei Hinz&Kunzt] als Sozialarbeiter tätig ist, | |
kritisiert, die Stadt habe es während des verlängerten Notprogramms nicht | |
geschafft, für alle eine dauerhafte Unterkunft zu finden: „Der Senat hätte | |
in dieser Zeit mehr tun müssen: kleine Einrichtungen schaffen, in denen die | |
Leute dauerhaft untergebracht werden, bis sie dann hoffentlich irgendwann | |
eine Wohnung finden.“ | |
Die Obdachlosigkeit sei auf den Straßen nun wieder sichtbarer geworden: | |
„Wir sehen einfach wieder viel mehr Platten in Hamburg. Gerade um den | |
Hauptbahnhof sind viele Personen, die ganz stark verelenden.“ Da viele von | |
ihnen nun geimpft seien, könnten sie zwar wieder besser die Anlaufstellen | |
nutzen, „von einem Normalbetrieb sind wir trotzdem noch weit entfernt“, | |
sagt Karrenbauer. | |
## Die Linke fordert „Housing First“ | |
Cansu Özdemir wirft dem Senat fehlendes Interesse an einer langfristigen | |
Lösung vor: „Wir brauchen ein Konzept, um die Obdachlosigkeit zu bekämpfen | |
und nicht einfach nur zu verwalten.“ Sie fordere einen [4][„Housing | |
first“-Ansatz]. Das Konzept sieht Wohnen als Ausgangs- und nicht als | |
Endpunkt an. Das heißt: Gleich zu Beginn wird Wohnraum zur Verfügung | |
gestellt, bevor weitere Unterstützungsmaßnahmen greifen. Das Konzept wurde | |
in den USA entwickelt und wird dort in einigen Städten erfolgreich | |
umgesetzt. | |
Özdemir vermisst auch eine Wertschätzung der Sozialarbeiter:innen | |
seitens des Senats: „Durch die Verelendung und den Anstieg der | |
Obdachlosigkeit hat sich in den letzten Jahren eine Mehrarbeit ergeben.“ | |
Daher müsse mehr Personal eingestellt werden. | |
Die Frage, warum das Wohnraumangebot nicht grundsätzlich ganzjährig | |
angeboten wird, ließ die Sozialbehörde bis Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
13 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Vorsitzende-ueber-Winternotprogramm/!5729296 | |
[2] /Hilfe-fuer-Obdachlose-in-Corona-Zeiten/!5673845 | |
[3] https://www.hinzundkunzt.de/winternotprogramm-geht-nochmal-in-die-verlaenge… | |
[4] /Elke-Beitenbach-im-Interview/!5783723 | |
## AUTOREN | |
Simeon Laux | |
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Elke Breitenbach | |
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