# taz.de -- Novelle Bundesnaturschutzgesetz: Naturschutz kommt zuletzt | |
> Die Schutzgebiete in Nord- und Ostsee sollen künftig vom Wohlwollen der | |
> Wirtschaftslobby abhängig werden. Acht deutsche Umweltverbände | |
> protestieren. | |
Bild: In Zukunft weniger geschützt: Lebensraum Ostsee. | |
HAMBURG taz |Die Grundlagen des Naturschutzes in Deutschland sieht Steffi | |
Lemke in Gefahr: „Ein Vetorecht für andere Ministerien führt echten Schutz | |
ad absurdum“, sagt die naturschutzpolitische Sprechern der | |
Grünen-Bundestagsfraktion. Und die ersten Opfer seien die Schutzgebiete im | |
deutschen Teil von Nord- und Ostsee. Hier drohe „ein Desaster für den | |
Meeresschutz“. | |
Anlass für Lemkes Besorgnis ist eine anstehende Novelle des | |
Bundesnaturschutzgesetzes (siehe Kasten). Im aktuellen Entwurf der | |
Bundesregierung wird das Wort „Benehmen“ durch „Einvernehmen“ ersetzt. … | |
Konsequenz: Sämtliche vom Bundesumweltministerium geplanten Schutzmaßnahmen | |
für Meeresgebiete müssten anderen Ressorts nicht mehr nur mitgeteilt | |
werden, sie benötigten künftig deren Zustimmung. | |
Damit würden die ökonomischen Interessen von Wirtschafts-, Agrar- oder | |
Forschungsministerium sowie strategische Interessen des | |
Verteidigungsressorts über den Meeresschutz gestellt, fürchtet Lemke: „Am | |
Ende würden nur die schwächsten und nicht die wirklich notwendigen | |
Schutzmaßnahmen verabschiedet.“ | |
Auch acht deutsche Umweltverbände sehen „die marine Umwelt in Nord- und | |
Ostsee in Gefahr“, wie sie in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela | |
Merkel (CDU) schrieben: „Die biologische Vielfalt in unseren Meeren nimmt | |
unter dem zunehmenden Druck von Fischerei, Rohstoffabbau, Schifffahrt sowie | |
Schad- und Nährstoffeinträgen weiter ab; nach Roter Liste gelten bereits | |
ein Drittel der Arten und Lebensräume in Nord- und Ostsee als gefährdet“, | |
heißt es in ihrem Schreiben an Merkel weiter: „Ob es eine Zukunft für | |
Schweinswale und Seehunde, Seegraswiesen und Muschelriffe gibt, entscheidet | |
sich jetzt.“ | |
Nach der Neuregelung soll auch künftig in Schutzgebieten gefischt und mit | |
Schallkanonen der Meeresboden untersucht werden dürfen, zudem kommen | |
örtliche Ausnahmen für die Fischerei mit bodenzerstörenden | |
Grundschleppnetzen hinzu – nach Ansicht der acht Verbände „ein unsäglicher | |
Zustand“. Und wenn dann noch den anderen Ministerien ein faktisches | |
Vetorecht gegen Schutzmaßnahmen eingeräumt werde, drohe „ein drastischer | |
Rückschritt im Meeresschutz“, sagt der Sylter Biologe Lothar Koch, | |
langjähriger Leiter der Schutzstation Wattenmeer auf Deutschlands | |
nördlichster Insel. | |
Er hoffe, „dass die Einvernehmensregel noch gekippt werden kann“, sagt auch | |
Stephan Lutter, Meeresexperte der Hamburger Umweltstiftung WWF. Dafür gebe | |
es, so wird im Bundestag geraunt, noch eine Chance. Bis zur abschließenden | |
Beratung am 22. Juni solle auf Betreiben der SPD das Vetorecht wieder aus | |
dem Gesetz entfernt werden. „Das wäre ein Segen“, sagt Koch. | |
Die Gerüchte besagen aber ebenfalls, dass die Einvernehmensregelung | |
stattdessen in den Managementplänen festgeschrieben werden solle. Die | |
werden vom Bundeskabinett für jedes Schutzgebiet als Verordnungen erlassen | |
und würden somit dem Einfluss des Parlaments vollkommen entzogen werden. | |
„Augenwischerei“ nennt das Lemke, und Kim Detloff, Meeresexperte des | |
Naturschutzbundes, sagt: „Nur wenn wir weiter Druck machen, kann die | |
Entwertung der Meeresschutzgebiete vielleicht noch verhindert werden.“ | |
1 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
## TAGS | |
Naturschutz | |
Meeresschutz | |
Fischerei | |
Schweinswal | |
Schweinswal | |
Naturschutz | |
Wassersport | |
Umweltschutz | |
Schifffahrt | |
Sea Shepherd | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schleppnetze in Schutzgebieten: Schutzlos geschützt | |
Deutschland hat 2017 sechs Areale in Nord- und Ostsee als | |
Meeresschutzgebiete ausgewiesen. Sicher sind die dortigen Meeresbewohner | |
aber mitnichten. | |
Schweinswale in Nord- und Ostsee: Vom Aussterben bedroht | |
Die Schweinswale verschwinden. Die Gründe dafür sind Schadstoffbelastungen | |
der Meere, Unterwasserlärm und Ersticken oder Ertrinken in Stellnetzen. | |
Schutz der Schweinswale: Weg von Fischers Netzen | |
Neue Warngeräte sollen Schweinswale in Nord- und Ostsee vor dem Tod in | |
Fischernetzen bewahren. Umweltschützer befürchten Vertreibung der Wale aus | |
Schutzgebieten. | |
Gasförderung im Wattenmeer: Bohren am Schutzraum | |
Zwischen zwei Nationalparks vor Ostriesland will ein Konsortium nach Gas | |
bohren. Umweltschützer warnen vor Giftstoffen in der Nordsee. | |
Kitesurfen im Watt: Der Konflikt weht weiter | |
Das durch ein Landesgesetz geregelte Kitesurf-Verbot im niedersächsischen | |
Nationalpark Wattenmeer bleibt mit einzelnen Ausnahmen vorerst bestehen. | |
Die Kläger verweisen auf ein Bundesgesetz und wollen nun in Berufung gehen | |
„Rote Listen“ bedrohter Arten in Berlin: Adieu, Eintagsfliege | |
Die aktuellen „Roten Listen“ bedrohter Tier- und Pflanzenarten wurden am | |
Dienstag dem Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz übergeben. | |
Weltweit größte Elektrofähre: Mit Handybatterie übers Meer | |
Auf der Ostsee verkehrt jetzt ein abgasfreier Pionier der Mobilität, die | |
mit einem Umweltpreis ausgezeichnete Elektrofähre „Tycho Brahe“. | |
Highspeed für Schweinswale: Mit Wumms ins Schutzgebiet | |
Die Organisation „Sea Shepherd“ startet von Bremen aus eine Mission zum | |
Schutz der Schweinswale – und lärmt mit satten 450 PS durch die Ostsee |