| # taz.de -- Norwegens Endlager für Kohlendioxid: Der nächste Bodenschatz | |
| > Die CCS-Technik soll Europa helfen, klimaneutral zu werden – und der | |
| > norwegischen Öl- und Gasindustrie eine lukrative Zukunft sichern. | |
| Bild: Das Projekt Northern Lights, norwegische Nordsee: ein Endlager für CO2 | |
| Ein dichter Schneeschauer fegt über die Insel Ljøsøyna an der norwegischen | |
| Westküste. Kalt und blaugrün breitet sich der Hjeltefjord aus, zwei | |
| Autostunden von der Hafenstadt Bergen entfernt. Ein gelber Bagger lässt | |
| eine Fuhre Granitgestein auf die Ladefläche eines Lastwagens poltern, das | |
| aus der hügeligen Insel gesprengt wurde. Der Wind streicht über Dämmplatten | |
| und schneebedeckte Hügel aus Kieselsteinen, die das felsige Gebiet bis zum | |
| Strand bedecken. Er rüttelt an den blauen Planen des halbfertigen | |
| Verwaltungszentrums. „Wir müssen uns beeilen“, sagt Projektleiter Sverre | |
| Overå, ein großgewachsener Mann in orangefarbenem Overall, dicken | |
| Arbeitsschuhen und orangem Helm, der die Besucher an einem Vormittag Anfang | |
| Dezember herumführt. Bald kommt der Winter und mit ihm die Stürme an der | |
| norwegischen Westküste. Dann muss das neue Gebäude winterfest sein. | |
| Aber die Zeit drängt nicht nur, weil es kälter wird. Sondern auch, weil der | |
| Klimawandel die Erde aufheizt. Einen kleinen Ausweg wollen sie hier in den | |
| Granit sprengen, baggern und bohren: den Anschluss für eine | |
| CO2-Lagerstätte. „Wir bewegen hier 800.000 Kubikmeter Gestein, und wir | |
| liegen vor dem Zeitplan“, sagt Overå. Dafür schütten die knapp Hundert | |
| Arbeiter eine Bucht zu, treiben einen Schiffspier in den Fjord, an dem | |
| riesige Tanker anlegen sollen, dafür gießen sie Kanäle aus Beton und | |
| versenken ein unscheinbares Rohr mit dem Durchmesser eines Fußballs im | |
| Meerwasser. | |
| Hier soll weltweit die erste große Deponie für das Klimagas entstehen. Die | |
| Vision von „[1][Northern Lights]“: CO2 wird in Zementwerken und Stahlhütten | |
| in ganz Europa gesammelt und verflüssigt, in Tankschiffe geladen und | |
| hierher an Norwegens wilde Westküste gebracht. Dann wird es 100 Kilometer | |
| vor der Küste knapp drei Kilometer unter dem Meer in eine Formation von | |
| Sandstein gepresst und damit von der Atmosphäre abgeschlossen. Auf Ljøsøyna | |
| in der Gemeinde Øygarden soll bis Mitte 2024 Norwegens Hoffnung auf eine | |
| saubere Zukunft und ein Geschäftsmodell für die nächsten Jahrzehnte | |
| entstehen. | |
| Wie das gehen soll, erläutert Sverre Overå gleich nebenan im nüchternen, | |
| aber beheizten Konferenzraum einer mobilen Baracke. Der Ingenieur mit der | |
| ruhigen Art und dem geschliffenen Englisch ist Projektchef. Equinor, der | |
| norwegische Staatskonzern für Öl und Gas, hat das Projekt zusammen mit den | |
| Ölkonzernen Shell und Total gegründet. Overås Tabellen und Grafiken zeigen, | |
| was für ein gewaltiges Vorhaben sie hier in den Boden stampfen: das Ende | |
| einer langen globalen Lieferkette. Das Projekt trägt den poetischen Namen | |
| „Northern Lights“, eine Erinnerung an die tanzenden Polarlichter, die | |
| nachts den nördlichen Winterhimmel mit faszinierenden Lichtspektakeln | |
| überziehen. | |
| Aber es geht weniger um Poesie als um Physik. Northern Lights ist eine | |
| ehrgeizige Vision, umgesetzt mit schwerem Gerät. Es geht um Neuland bei | |
| Technik, Organisation und Wirtschaftlichkeit. Und es geht um Norwegens | |
| wichtigste Industrie. Die fossilen Ressourcen vor seinen Küsten haben ein | |
| Volk von armen Bauern und Fischern zu einem reichen und modernen Staat | |
| gemacht. Seit 1972 sprudeln Öl und Gas und mit ihnen die Einkünfte. | |
| Insgesamt 1,6 Billionen Euro hat das Land über seine Staatsfirmen am | |
| Ressourcenreichtum verdient und das Geld klug genutzt. Mit ihm hat es den | |
| staatlichen „[2][Ölfonds]“ auf 1,2 Billionen Euro gefüllt und finanziert | |
| damit im Land Bildung und Gesundheit. Immer noch stammen 40 Prozent der | |
| norwegischen Exporterlöse und 20 Prozent der Regierungseinnahmen aus diesen | |
| alten Bodenschätzen. | |
| 50 Jahre lang hat Norwegen also seine Bodenschätze an Öl und Erdgas | |
| ausgebeutet und damit den Klimawandel befeuert. Jetzt geht es um einen | |
| Bodenschatz anderer Art: die Speicherfähigkeit des Bodens für CO2, das | |
| Abfallprodukt der fossilen Energien. „Noch gibt es für unser Projekt keinen | |
| Markt, keine Dienstleistungen, keine Kunden“, sagt Overå. All das müssen | |
| sie erst schaffen: „Wir haben den Nachteil, weil wir uns früh bewegen.“ | |
| Deshalb übernimmt die Regierung das Risiko und trägt 80 Prozent der Kosten. | |
| Die Baustelle liegt in der Region Øygarden, vor deren Küsten sich ein | |
| Schärengarten erstreckt. Ein Paradies für Wasserfreunde: Malerische | |
| Sommerhäuser verstecken sich in kleinen Buchten, dazwischen kleine und | |
| große Inseln aus Granit und Nadelbäumen, Saunahütten, Jachthäfen, | |
| Angelstege. Im Frühjahr ziehen die Menschen los, um hier Dorsche zu fangen. | |
| Aber mitten in der Idylle steht auch die Infrastruktur der fossilen | |
| Industrie. Ein paar Buchten nördlich von Ljøsøyna landen die Tanker am | |
| Equinor-Ölterminal von Stura. Ein paar Kilometer Richtung Bergen dümpeln | |
| ausrangierte Ölbohrplattformen von der Höhe eines Wolkenkratzers in einem | |
| Fjord. Und auf der anderen Seite der Insel liegt der Gasterminal von | |
| Kollsnes, bei dem die Pipelines an Land treffen, die das Erdgas aus der | |
| Nordsee an Land bringen. Oder demnächst die Fließrichtung umkehren – und | |
| CO2 vom Land unter die Nordsee schicken. | |
| Bisher galt als wertvolle Ressource nur, was man aus der Erde herausholen | |
| konnte. Jetzt wird auch das Gegenteil zum Geschäft. | |
| Northern Lights ist der wichtigste Teil des Projekts [3][„Longship“], mit | |
| dem Norwegen weltweit zum Vorreiter für Klimaneutralität werden möchte. Die | |
| EU will dieses Ziel bis 2050 erreichen. Aber aus manchen | |
| Wirtschaftszweigen, etwa der Zementindustrie, werden selbst bei völliger | |
| Versorgung mit Öko-Energie noch viele CO2-Emissionen kommen, weil sie im | |
| Herstellungsprozess unvermeidbar sind. Allein für Deutschland rechnen | |
| Experten mit immer noch 60 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß jährlich, auch wenn | |
| die Bundesrepublik 2045 rechnerisch die „grüne Null“ erreicht. Diese | |
| Emissionen müssen irgendwie unschädlich gemacht werden. | |
| Da führe „kein Weg um die CO2-Speicherung herum“, sagt Amund Vik, | |
| Staatssekretär im norwegischen Ministerium für Petroleum und Energie. „Um | |
| die Energiewende zu schaffen, norwegische Jobs zu sichern und die | |
| Klimaziele der EU zu erbringen, brauchen wir noch mehr solcher Projekte.“ | |
| Der junge Mann mit dem Dreitagebart ist erst seit Kurzem im Amt, auch in | |
| Norwegen gibt es eine neue Regierung unter dem Sozialdemokraten Jonas Gahr | |
| Støre. Vik hat nicht viel Zeit und liest sein Statement von Karteikarten | |
| ab. Aber er ist an diesem Winternachmittag in die deutsch-norwegische | |
| Handelskammer in Oslo gekommen, um für das 2,5-Milliarden-Projekt Longship | |
| zu werben. | |
| Eingeladen haben die Regierung und die norwegische Gasindustrie eine Gruppe | |
| deutscher Journalisten, um sie von den Vorzügen von Longship zu überzeugen. | |
| Denn Deutschland ist ein wichtiger Partner: Norwegen liefert Gas und will | |
| demnächst CO2 aus Deutschland importieren. Bei Letzterem sind die Deutschen | |
| allerdings skeptisch. Gerade hat die Landesregierung in Kiel kritisiert, | |
| dass der Nachbar Dänemark bei eigenen Plänen zur CO2-Speicherung in der | |
| Nordsee die Deutschen nicht gefragt hat. | |
| Die deutsch-norwegische [4][Handelskammer] residiert in einer Villa im | |
| vornehmen Botschaftsviertel von Oslo. Früher saß hier die Botschaft der | |
| DDR, jetzt hat der deutsche Kapitalismus die Immobilie übernommen. Draußen | |
| schwindet das Tageslicht, drinnen malen deutsche und norwegische Manager, | |
| Politiker und Experten das Longship-Projekt in den hellsten Farben aus. Der | |
| Name erinnert an die Wikinger und die Fähigkeit des Landes, maritime | |
| Herausforderungen zu meistern. Das Pilotprojekt soll jeweils 400.000 Tonnen | |
| CO2 aus einer Müllverbrennungsanlage bei Oslo und einem Zementwerk an der | |
| Küste einsammeln und später jährlich 5 Millionen Tonnen CO2 aufnehmen | |
| können. Zwei neu gebaute Schiffe sollen das gekühlte Gas zur Westküste nach | |
| Øygarden bringen, wo jetzt die Bagger rollen. | |
| Die Arbeiten haben überall begonnen, nicht nur an der Pipeline von | |
| Northern Lights. Was Longship aber dringend braucht, sind zahlungskräftige | |
| Kunden. 350 Unternehmen habe man angesprochen, darunter auch Firmen wie | |
| BASF, Thyssenkrupp oder ArcelorMittal, heißt es. Ihnen schlägt Longship | |
| vor: Wenn sie ihr CO2 an irgendeinen Hafen bringen, könnte die norwegische | |
| CO2-Flotte das problematische Gas abholen und ab 2030 für 30 bis 55 Euro | |
| pro Tonne entsorgen. | |
| Bisher schippern Öl und Gas über die Weltmeere. In Zukunft soll es auch | |
| deren Abfallprodukt CO2 sein. Norwegen würde vom reinen Export- auch zum | |
| Importland für Kohlenstoff. Für die Firmen, so der Gedanke, lohnt sich der | |
| Imagegewinn – und sie könnten Geld sparen. EU-Emissionzertifikate sind | |
| schon jetzt teurer als 80 Euro pro Tonne. | |
| Deutschland als das größte Industrieland Europas haben die Norweger dabei | |
| fest im Blick. Denn einerseits stehen hier viele Fabriken, die CO2 | |
| ausstoßen, und das Land will 2045 klimaneutral sein. Andererseits sind die | |
| Deutschen allergisch gegen die Sammlung und Speicherung des CO2, | |
| Fachbegriff „Carbon Capture and Storage“ (CCS): Seit 2012 unterbindet das | |
| „CCS-Gesetz“ praktisch die Speicherung des Klimagases in deutschem Boden. | |
| Damals machte die Umweltbewegung gegen diese Technik mobil, weil CCS der | |
| „sauberen“ Kohle ein Überleben sichern sollte. Heute gibt es einen | |
| Kompromiss zum Kohleausstieg, aber das Thema ist politisch verbrannt. Der | |
| Koalitionsvertrag der Ampel ringt sich immerhin das Bekenntnis „zur | |
| Notwendigkeit auch von technischen Negativemissionen“ ab. Die Regierung | |
| will „eine Langfriststrategie zum Umgang mit den etwa 5 Prozent | |
| unvermeidbaren Restemissionen erarbeiten“. | |
| Diese „Restemissionen“ hat Longship im Blick. Im Konferenzraum der | |
| deutsch-norwegischen Handelskammer tritt nun bei Kaffee, Kuchen und | |
| Mandarinen Olav Øye auf. Der schmale junge Mann mit der widerspenstigen | |
| Haartolle kommt von der Umweltorganisation Bellona und wirbt für CCS. Er | |
| zeigt erst mal ein Foto von einem Bellona-Boot, das vor den Lofoten gegen | |
| eine Ölbohrplattform demonstriert. Dann aber wurde die Plattform zur Küste | |
| vor Bergen geschleppt – und bohrte das Loch, in dem jetzt die Pipeline von | |
| Northern Lights ihr CO2 versenken soll. „So stellen wir uns die | |
| Transformation der fossilen Industrie vor“, sagt Øye. | |
| Beim Thema CCS ist die Öko-Szene weltweit gespalten. Allerdings sind die | |
| norwegischen Erfahrungen nicht schlecht: Seit 25 Jahren verpresst Equinor | |
| CO2 in den Meeresgrund, ohne große Probleme. Im Meeresboden vor der Küste | |
| vermuten sie Platz für insgesamt 80 Milliarden Tonnen CO2 – das wären etwa | |
| 100 Jahre für alle deutschen Emissionen des Jahres 2021. Der neue | |
| Bodenschatz heißt Speicherplatz. | |
| Platz wäre also da. Geld, Technik und Entschlossenheit auch, das ist der | |
| Tenor auf allen Stationen dieses Besuchs. Eine Stunde Bootsfahrt entfernt | |
| von der Northern-Lights-Baustelle liegt die Küste bei Mongstad. Auch hier: | |
| eine Landschaft wie aus dem Katalog für Naturferien. Und mittendrin | |
| Norwegens aktivster Hafen und seine größte Ölraffinerie. Quadratkilometer | |
| voller silberner Tanks, grauen Leitungen, Stahlgerüsten und Betonbauten. | |
| Ein riesiger Steamcracker, eine Anlage zur Spaltung des Petroleums, reckt | |
| sich in die Höhe, eine große Wächterflamme fackelt in einem giftigen Gelb | |
| überschüssige Gase ab. | |
| Mongstad ist Norwegens größte CO2-Quelle. Kein Zufall, dass sie hier im | |
| „Technologiezentrum Mongstad“ daran forschen, wie man das gefährliche Zeug | |
| aus dem Rauchgas einer Fabrik loswerden kann. Ergebnis: eine Prozedur, die | |
| unter Einsatz von Aminen oder Ammoniak die CO2-Moleküle aus der Abluft | |
| herauswäscht. „Die Technik ist ausgereift und kann angewandt werden“, hei�… | |
| es. Weltweit wird das auch bereits getan. Was bisher fehlt, ist ein | |
| Speicher, man könnte auch sagen eine Mülldeponie für das CO2. Bisher | |
| entlassen sie in Mongstad das Gas nach ihren Experimenten in die | |
| Atmosphäre. | |
| Im Industriepark von Porsgrunn südlich von Oslo heißt es ebenfalls: | |
| Technische Probleme haben wir im Griff. Eine weitläufige Anlage am Meer, | |
| überall Öfen, Silos, Schornsteine, Leitungen und Bürohäuser, alles | |
| überzuckert von Neuschnee. Morgens um neun schleppt sich die Sonne mühsam | |
| über den Horizont. Hier forschen sie daran, welche Rohre am besten CO2 | |
| leiten, womit man in der Industrie die CO2-Schleuder Koks ersetzen kann und | |
| wie man möglichst schnell möglichst viel grünen Wasserstoff in der Chemie | |
| einsetzt. | |
| Ein paar Kilometer weiter reißt gerade die Zementfabrik Norscem die Hälfte | |
| ihrer Gebäude ein. Dort soll nächstes Jahr die Anlage entstehen, die das | |
| CO2 aus dem Prozess filtert, um es nach Øygarden zu bringen. Norscem ist | |
| eine Tochter des deutschen Zementriesen HeidelbergCement, der CO2-freien | |
| Baustoff als Marktlücke der Zukunft erkannt hat und die Bonuszahlungen für | |
| seine Manager daran koppelt, wie erfolgreich sie CO2-Emissionen senken. „Am | |
| Anfang haben sie gedacht, wir sind verrückt hier oben im Norden“, sagt der | |
| Projektmanager und lacht. Jetzt ist es ihnen ernst, sie sind der wichtigste | |
| Teil in der Lieferkette für Northern Lights. | |
| Das CO2 aus Porsgrunn soll die Welt davon überzeugen, dass das Projekt | |
| Longship funktioniert. Denn nur so kommen weitere Investoren, die dringend | |
| nötig sind. „Es ist so, als würden wir eine Eisenbahnlinie bauen“, sagen | |
| die Planer, „wir legen die Schwellen, aber es müssen viele Leute mit dem | |
| Zug fahren, damit sich das bezahlt macht.“ | |
| Was heißt das Projekt für die norwegische Wirtschaft? „Der Übergang weg von | |
| Öl und Gas wird uns auf einem Gebiet gelingen, das wir kennen: den Umgang | |
| mit dem Meer“, sagt Torger Reve, Wirtschaftswissenschaftler und Experte für | |
| Norwegens Volkswirtschaft am Telefon. Für ihn liegt die Zukunft in | |
| Start-ups der IT-Branche, aber auch in der Herstellung von Batterien oder | |
| Öko-Wasserstoff – weil Norwegen durch seine Wasserkraft praktisch 100 | |
| Prozent grünen Strom hat. | |
| „Aber vor allem die Offshore-Industrie bleibt wichtig“, ist der Volkswirt | |
| überzeugt. „Da geht es um Plattformen für Windkraft auf See, um Aquafarmen | |
| weit draußen im Meer, um den Proteinbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung | |
| zu decken – und natürlich auch um CCS.“ Der Plan sei „die Gas-Industrie | |
| rückwärts“, wenn man nun die Emissionen wieder in die Erde bringe. Bis 2030 | |
| sieht er 250.000 neue Jobs entstehen, in einem Land mit 5 Millionen | |
| Einwohnern. | |
| Grundsätzliche Ablehnung der Longship-Pläne gibt es kaum. Halvard Raavand | |
| von Greenpeace Norwegen ist allerdings skeptisch. Ein Gespräch mit ihm ist | |
| nicht Teil der Tour, die die Regierung organisiert hat – er ist aber | |
| telefonisch erreichbar. Seine Kritik: CCS sei in industriellem Maßstab | |
| bisher nicht erprobt. Schon 2005 sei es in Norwegen groß gewesen, habe dann | |
| aber wieder an Bedeutung verloren. Damals habe Norwegen das Programm | |
| vorangetrieben, um sich moralisch von den CO2-Emissionen seiner Öl- und | |
| Gas-Exporte freizukaufen. | |
| Man müsse zwar mit „einer gewissen Menge CCS“ rechnen, aber insgesamt müs… | |
| es einen systemischen Wandel geben, meint der Aktivist: „Alle Klimamodelle | |
| gehen davon aus, dass die fossilen Energien schnell herunterfahren müssen. | |
| Es besteht die große Gefahr, dass Longship das Leben der norwegischen Öl- | |
| und Gasexporte auch über 2050 hinaus noch verlängert.“ Andere Beobachter | |
| teilen diese Sorge. Und selbst aus dem Ölministerium heißt es: „Das ist | |
| nicht der Grund, warum wir es unterstützen. Aber wir nehmen natürlich zur | |
| Kenntnis, dass es der Öl- und Gasindustrie helfen kann.“ | |
| Einerseits ist Norwegen ein grünes Land: Fast der gesamte Strom stammt aus | |
| Wasserkraft, 77 Prozent aller Neuwagen waren im September elektrisch, man | |
| ist Finanzier internationaler Klimaschutzprojekte. Auf der anderen Seite | |
| ist der CO2-Ausstoß seit 2008 real nicht gesunken, die Pro-Kopf-Emissionen | |
| liegen höher als beim Nachbarn Schweden, und der Staatsfonds investiert | |
| sein Geld immer noch teilweise in fossile Konzerne. Nach wie vor dominieren | |
| Öl und Gas die Wirtschaft und Gesellschaft Norwegens. Die neue Regierung | |
| machte gleich klar, dass sie weiter Öl- und Gas-Lizenzen vergeben wird. | |
| Schließlich flossen 2019 etwa 27 Milliarden Euro an Öl- und Gas-Geld in die | |
| Kasse der Regierung. Davon lassen sich die 250 Millionen jährlich für | |
| Longship gut bezahlen. | |
| Das Projekt zeigt eine konsequente fossile Logik. Norwegen ist mit Öl und | |
| Gas reich geworden. Es verkauft weiter seine klimaschädlichen Bodenschätze | |
| und dazu jetzt noch den Deponieplatz für deren Abfälle. Aber es könnte | |
| anderen Staaten und Unternehmen, die etwa wie Deutschland mit der | |
| Verbrennung von Kohle reich geworden sind, damit einen Ausweg eröffnen. | |
| Auf der künstlichen Halbinsel Ljøsøyna stemmt Sverre Overå sich gegen den | |
| Wind und stapft zum Besucherzentrum zurück. Bald wird das hier ein großer | |
| Industriehafen sein, an dem Schiffe voller Klimagase anlegen. „Und da | |
| hinten“, er zeigt die Küste entlang, „will eine Firma ein Wasserstoffwerk | |
| aufbauen. Aber das hat mit uns nichts zu tun.“ | |
| Vielleicht nicht direkt. Aber eine solche Fabrik hätte in dieser Gegend nur | |
| einen Sinn: Sie könnte das hier ankommende Gas aus der Nordsee nutzen, | |
| daraus Wasserstoff herstellen und das dabei entstehende CO2 sehr günstig in | |
| Overås Pipeline schicken. So wäre der Wasserstoff „grün“ und ließe sich… | |
| Öko-Produkt verkaufen. | |
| Wenn alle diese Pläne aufgehen, dann hätten Longship und Northern Lights | |
| mehr bewegt als 800.000 Tonnen Granit. Sie hätten der europäischen | |
| Industrie eine Deponie für einen Teil ihrer Klimakiller besorgt. Sie hätten | |
| die Zukunft von Norwegens wichtigster Industrie gerettet. Und nebenbei auch | |
| noch den grünen Ruf des Landes. | |
| 8 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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