# taz.de -- Invasives Krustentier in Norwegen: Monstergeschäft mit Monsterkrab… | |
> Norwegen erlebt die Invasion eines Tiers aus Kamtschatka: der | |
> Königskrabbe. Die futtert den Meeresboden leer. Doch es gibt einen | |
> delikaten Ausweg. | |
Bild: Sortieren der Krustentiere in Nordnorwegen: hungrige Krabben und hungrige… | |
Stockholm taz | Das stachelige langbeinige Tier hat sich mittlerweile auch | |
in Deutschland den [1][Ruf einer Delikatesse] erworben: die norwegische | |
Königskrabbe. Mit einem Ladenpreis von rund 150 Euro pro Kilo, das | |
Beinfleisch im Glas mehr als das doppelte, ist sie auch eine recht teure | |
Delikatesse. Für die norwegischen Fischer an der Barentsseeküste ist es | |
mittlerweile der mit Abstand einträglichste Fang überhaupt, den sie derzeit | |
machen können. | |
Auf umgerechnet rund 60 bis 70 Euro war der Kilopreis für die Fischer Ende | |
des vergangenen Jahres geklettert. Nach der gerade veröffentlichten | |
Exportstatistik für 2021 stieg der Exportwert der Königskrabben bei etwa | |
gleichem Volumen wie 2020 binnen einem Jahr um 50 Prozent auf rund 100 | |
Millionen Euro. Die Nachfrage sei größer als das Angebot, sagt Josefine | |
Voraa vom Norwegian Seafood Council: Das habe zu „abenteuerlichen Preisen“ | |
geführt. | |
Der Fang ist so einträglich, dass die Regierung in Oslo sich zu einer | |
strengen Regulierung genötigt sah. Bei knapp 2.000 Tonnen pro Jahr liegt | |
die aktuelle Fangquote. | |
Die Regierung hat noch eine zusätzliche Regel eingeführt: Damit manche | |
Fischerboote nicht ausschließlich die Königskrabbe fangen, darf ein Fischer | |
erst dann mit dessen Fang beginnen, wenn er Fischfang im Wert von | |
umgerechnet 20.000 Euro abgeliefert hat. Es wird diskutiert, diese | |
jährliche Mindestgrenze auf 30.000 Euro zu erhöhen. | |
## Wenn die Fische launisch sind | |
Eine Entwicklung, die [2][in Norwegen] vermutlich niemand für möglich | |
gehalten hatte, als dieser Fang eher zufällig und in bescheidenem Rahmen | |
Ende der 1990er Jahre im kleinen nordnorwegischen Fischerort Bugøynes am | |
Varangerfjord begann, dort, wo die Barentssee beginnt. | |
Wer sich an dieser Küste niederlässt, macht das wegen dem, was das Meer zu | |
bieten hat: Fisch bedeutet hier alles. Aber Fische können launisch sein und | |
von heute auf morgen verschwinden. Und wenn schon der Fisch nicht launisch | |
ist, dann kann die Politik den Menschen das Leben schwer machen. | |
Das musste man in Bugøynes erfahren, als die Regierung im 1.400 Kilometer | |
entfernten Oslo den Einwohner*innen Anfang der 1990er Jahre mit einem | |
Federstrich die ökonomische Grundlage entzog. | |
Eine Änderung der Bestimmungen, an welchen Orten die Fischer ihren Fang | |
anlanden durften, führte dazu, dass die Fischereiboote nicht mehr am Kai | |
der dortigen Fischannahmestelle anlegten. Sie ging Konkurs. Mit einem | |
Schlag verschwanden 50 Arbeitsplätze. „Das steckt ein Ort mit 250 | |
Einwohnern nicht so einfach weg“, sagt Øyvind Seipajærvi. Es habe ja auch | |
in weitem Umkreis keinerlei andere Beschäftigungsmöglichkeit gegeben. | |
Aufgeben kam nicht infrage. Was vielleicht mit „Sisu“ zu tun hat. In | |
Finnland steht „Sisu“ für Beharrlichkeit und Kampfgeist. Bugøynes liegt | |
zwar in Norwegen, aber die Besiedlung des Ortes erfolgte Mitte des 19. | |
Jahrhunderts durch Einwander*innen aus dem nahen Finnland. | |
„Pikku-Suomi“, Klein-Finnland wird der Ort deshalb auch heute noch genannt. | |
Fast alle Einwohner*innen haben finnische Wurzeln. Auch Seipajærvi, der | |
unter den Fischern war, die damals als erste das Potenzial mit der | |
Königskrabbe entdeckt hatten. | |
## Stalin ließ die Krabben wohl künstlich ansiedeln | |
„Stalinkrabbe“ hieß sie früher. In den 1930er Jahren war angeblich der | |
Sowjetdiktator höchstpersönlich auf die Idee gekommen, die | |
Nahrungsgrundlage auf eine breitere Basis zu stellen. Er ordnete an, das | |
Tier, das bis dahin nur im fernen Nordpazifik vorkam und deshalb auch | |
Kamtschatkakrabbe hieß, an der europäischen Küste anzusiedeln. | |
An Territorialgrenzen hielt sich diese „rote Armee“ mit einer | |
Beinspannweite von bis zu 2 Metern und bis zu 15 Kilo Gewicht nicht. Vier | |
Jahrzehnte nach Stalins Tod war sie vor der nordnorwegischen Küste | |
angekommen. | |
Königskrabben aus Bugøynes wurden bald ein Markenzeichen und nach Japan, | |
Dubai und in die USA exportiert. In Europa kamen Feinschmeckerinnen und | |
Feinschmecker erst mit Verzögerung auf den Geschmack. Norwegische Medien | |
bemühten für den Boom im hohen Norden das Bild vom „Wilden Westen“: Mit d… | |
Fang eines Monats konnte sich mancher Fischer ein neues Boot finanzieren. | |
Die Wirtschaftszeitung Dagens Næringsliv ernannte Seipajærvi zum „König der | |
Königskrabben“. Aus einer Verarbeitungsanlage wurden zwei. Die vorhandenen | |
Arbeitskräfte reichten bald nicht mehr aus. Der Ort boomte, Schule und | |
Laden wurden gerettet. Der Ruf des kleinen Bugøynes verbreitete sich und | |
zieht seitdem auch Tourist*innen an. Im Sommer ist es inzwischen schwer, | |
eine freie Urlaubsunterkunft zu finden. | |
Aber die Königskrabbe ist problematisch. Sie grast so ziemlich alles ab, | |
was ihr vor die Scheren kommt. Nach einer Studie des norwegischen | |
Meeresforschungsinstituts Havforskningsinstituttet seien im Varangerfjord | |
praktisch „alle größeren Organismen mit geringer Mobilität“ – also alle | |
potenzielle Nahrung, die sich nicht rechtzeitig vor dem Appetit der Krabben | |
in Sicherheit bringen kann – „stark reduziert oder ganz verschwunden“. | |
In Norwegen und Spitzbergen steht die Königskrabbe auf der Liste der Arten | |
mit „hohem Invasionspotenzial“. Mit ihrem Fang tun die Fischer also auch | |
etwas Gutes für das marine Ökosystem. | |
[3][Unbegrenzt Krabben fangen] sollen die Fischer aber auch nicht. | |
Schließlich soll das einträgliche Geschäft erhalten bleiben. Eine weitere | |
Ausbreitung der Königskrabben möchten die Behörden zugleich auch | |
verhindern. Bis 2008 verzeichneten sie ein Wachstum des Bestands, seither | |
liegt er in norwegischen Gewässern bei rund drei Millionen Exemplaren auf | |
etwa gleich hohem Niveau. Mit jährlichen Bestandsschätzungen und daran | |
angepassten Quoten versuchen die Behörden, das Gleichgewicht zu halten. | |
Die Justiz reagiert deshalb auch streng auf illegalen Fang. Im Sommer | |
verurteilte ein Gericht einen Fischer und seine Mithelfer zu bis zu drei | |
Jahren Haft ohne Bewährung. Hinzu kam ein fünfjähriges Fangverbot. | |
42 Tonnen illegal gefangene Königskrabben hatten die Behörden | |
beschlagnahmt. Und das war vermutlich nur die Spitze des Eisbergs: Laut der | |
Fischereizeitung Fiskeribladet wurden in den vergangenen Jahren bis zu 40 | |
Prozent mehr der Riesenkrabben exportiert, als laut offizieller Quote | |
erlaubt ist. | |
11 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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