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# taz.de -- Speicherung von CO2 im Boden: Hoffen auf die Müllabfuhr
> Die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid war in Deutschland bisher
> tabu. Dabei setzt vor allem die Zementindustrie auf diese Technik.
Bild: Ein Tankwagen wird mit CO2 befüllt, das in einer Pilotanlage unterirdisc…
Berlin taz | Gefühlige Musik, eine grüne Landschaft bei Sonnenuntergang.
Dann rauchende Schlote eines Kraftwerks und ein Sprecher, der vor dem
[1][Klimawandel] warnt. Schließlich ein Bild des ruhigen Meers und eine
Animation, wie das CO2 ganz einfach in 1.500 Metern Tiefe im Meeresboden
verschwindet. „Sind Sie bereit für diese Reise?“, fragt die sanfte Stimme.
„Wir sind es!“.
Das ist das Werbevideo des „Greensand“-Projekts, das in der dänischen
Nordsee einen großen Teil der Klimasorgen des skandinavischen Landes
begraben will: CO2 aus Kraftwerken, Heizungen und Industrieanlagen soll ab
2025 eingeschlossen werden, bis zu 8 Millionen Tonnen im Jahr, ein Viertel
der dänischen Emissionen.
Und das mit deutscher Hilfe: Diese Woche verkündete der Kasseler
Energiekonzern Wintershall/Dea, man gehe in einem Konsortium dafür „in die
Pilot-Injektionsphase“: Die Verträge sind gemacht, damit ab Ende nächsten
Jahres das erste Klimagas probehalber in das ausrangierte Ölfeld Nini West
in der Nordsee geleitet werden kann: „Sicher, kosteneffizient und
umweltverträglich“ werde das Projekt laufen, verspricht Wintershall/Dea.
„Carbon Capture and Storage“ (CCS), das Abscheiden und Speichern von CO2,
wird vor allem in der Industrie konkret geplant, Pilotprojekte werden
gebaut, Gesetze angeglichen.
## Die Zementindustrie rüstet auf
Politik und Umweltverbände halten das Thema vorsichtig aus dem Wahlkampf
heraus, aber allen ist klar: Die neue Bundesregierung wird sich damit
befassen müssen, wie ein Teil von unvermeidbaren CO2-Emissionen aus der
Wirtschaft, vor allem der Zementproduktion, unschädlich gemacht werden
soll. CCS, derzeit in Deutschland noch verboten, wird zumindest in der
Industrie zu einer tragenden Säule der Klimaschutzstrategie. 2019 sagte
Kanzlerin Angela Merkel, das Ziel der Klimaneutralität bedeute, „dass man
CO2 auch speichern kann“.
Vor allem die Zementindustrie rüstet auf. Mit gutem Grund: In ihrer
Produktion entsteht hochreines Kohlendioxid, das im Prozess bislang kaum zu
vermeiden ist: pro Tonne Zement 0,8 Tonnen CO2. Anders als in Kraftwerken
ist das Klimagas im Zementwerk leicht abzuscheiden. Es einzufangen, per
Pipeline oder Schiff zu ausgepumpten Gasfeldern zu bringen und dort zu
verpressen ist technisch machbar und bei Preisen von geschätzten 80 bis 110
Euro pro Tonne CO2 bald auch rentabel, wenn die CO2-Zertifikatspreise
weiter steigen. Dazu gibt es Forschungsgelder, und die Industrie hofft auf
„Klimaverträge“, die eventuelle Mehrkosten tragen könnten.
Die Hoffnung auf die CO2-Müllabfuhr zumindest in diesem Bereich ist weit
verbreitet: Viele Studien zur Klimaneutralität rechnen damit, die
„Klimapfade“ des Bundesverbands der deutschen Industrie ebenso wie das
Gutachten für Fridays for Future, das schon 2035 bei Nullemissionen sein
will. Die Studie „Klimaneutrales Deutschland“ der Denkfabrik Agora
Energiewende und Stiftung Klimaneutralität kalkuliert konkret mit 73
Millionen Tonnen, 5 Prozent der deutschen Emissionen, die 2045 so unter die
Erde gebracht werden müssten. Die Akademie für Technikwissenschaften
fordert eine schnelle Debatte des Themas, das in Deutschland seit einem
Pilotprojekt im brandenburgischen Ketzin und einem Verbot der Verklappung
von CO2 in deutschen Böden seit 2012 eigentlich tot war.
Jetzt ist es wieder da. Im Juni ebnete die Bundesregierung den Weg, CO2 zur
Speicherung ins Ausland zu bringen. Eine entsprechende Änderung des
Londoner Protokolls zum grenzüberschreitenden CO2-Transport wurde
ratifiziert. Auch in den Planungen der EU spielt CCS eine Rolle, sie treibt
Pilotprojekte voran. Und der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC hat
wieder gezeigt, dass die ehrgeizigsten Ziele, den Temperaturanstieg bei
unter 2 Grad zu halten, in den meisten Rechenmodellen nur mit massivem
Einsatz von „negativen Emissionen“ erreichbar sind – dem Pflanzen von
Bäumen oder eben der industriellen Speicherung von CO2 im Boden.
## Umweltverbände gespalten
Die wird in Europa an vielen Orten schon konkret geplant: In Dänemark,
Norwegen und den Niederlanden arbeiten Firmen wie Wintershall/Dea an
kommerziellen Anwendungen. Konzerne wie HeidelbergCement kündigen an, ihre
Werke mit Demonstrationsanlagen auszustatten. Am Standort Hannover soll das
Projekt LEILAC-2 bis 2025 jedes Jahr 20 Prozent des CO2, etwa 100.000
Tonnen, abscheiden. Und im Hafen von Rotterdam entsteht eine Pipeline, um
das CO2 aus der Industrie vor der Küste zu versenken.
In Deutschland ist CCS seit 2012 praktisch verboten – die Umweltverbände
liefen damals Sturm gegen befürchtete Umweltgefahren für das Grundwasser,
einen Austritt des Gases und einen möglichen Ausweg, die Kohleverstromung
auf diese Weise „grün“ zu rechnen. Diese Gefahr ist mit dem Kohleausstieg
gebannt. Jetzt fürchten allerdings manche Experten, CCS könne benutzt
werden, um fossiles Gas „grün“ zu rechnen.
Offen bleiben soll der CCS-Notausgang aber als Export von CO2 in alte
Gasfelder in der Nordsee für die deutschen Zementwerke. Experten rechnen
sogar schon damit, aus CCS tatsächlich eine „Kohlenstoffsenke“ zu machen �…
gewinnt man die Energie für den Prozess aus Biomasse, könnte das Verfahren
in der Summe theoretisch mehr Treibhausgase speichern als ausstoßen – schon
ist von „Gutschriften“ dafür die Rede, die dann auch handelbar wären.
Die Umweltverbände sind bei CCS gespalten. „Das ist keine Technologie, die
wir akzeptieren“, sagt Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser. „Die
Risiken haben sich nicht verändert. Wir müssen darauf setzen, das Potenzial
für die CO2-Speicherung in Wäldern und Böden zu erhöhen.“ Auch die Deutsc…
Umwelthilfe lehnt CCS für heute ab. „Das ist nicht mehr als ein Notnagel,
wichtiger ist es, die natürlichen Senken zu stärken und eine andere Wald-
und Landwirtschaftspolitik zu machen“, sagt Klimaexperte Constantin Zerger.
„CCS darf nicht die Suche nach besseren Lösungen behindern, aber für die
Emissionen der Industrie kann man es nicht für alle Zeiten ausschließen.“
Der WWF wiederum steht zum Einsatz von CCS für die letzten Prozent: „Es ist
nicht nachzuvollziehen, dass man sich komplett gegen CCS wendet, wenn der
UN-Klimarat IPCC in seinem 1,5-Grad-Bericht diese Technik in großem Stil
zugrunde legt. … Wir werden mittel- und langfristig CCS brauchen – vor
allem für die nicht vermeidbaren Emissionen der Industrie.“ Die Bedingungen
für die Anwendung von CCS müssten jetzt diskutiert werden – „sonst kommen
wir zu der skurrilen Situation, dass die Industrie auf diese Weise
Klimaschutz macht und die Umweltschützer nicht mit am Tisch sitzen“.
23 Aug 2021
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## AUTOREN
Bernhard Pötter
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