# taz.de -- Neuverfilmung „Berlin Alexanderplatz“: Er will ein guter Mensch… | |
> Burhan Qurbanis in der Gegenwart angesiedelte Verfilmung von „Berlin | |
> Alexanderplatz“ eröffnet der Hauptfigur Francis neue Möglichkeiten | |
> (Wettbewerb). | |
Bild: Jella Haase als „Mieze“ und Welket Bungué als Francis in „Berlin A… | |
Die Welt eines Migranten steht manchmal kopf. Bei Francis (Welket Bungué) | |
tut sie das bei seinem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Buchstäblich. | |
Man sieht ihn und eine Frau, die er Ida ruft, zu Beginn über Kopf in | |
aufgewühltem Wasser. Es ist Nacht, eine Signalrakete erleuchtet Wasser | |
und Schwimmende rot, kündet aber eher von Gefahr als von Rettung. In der | |
nächsten Szene schleppt sich Francis aus dem Wasser an einen Strand, | |
allein. | |
[1][Burhan Qurbani] erzählt in seinem frei nach Alfred Döblins Roman | |
„Berlin Alexanderplatz“ gestalteten Film eine etwas andere Geschichte als | |
die Vorlage von 1929. Anders auch als vor ihm Piel Jutzi (1931) und | |
[2][Rainer Werner Fassbinder] (1980) in ihren Adaptionen lässt Qurbani die | |
Handlung nicht vor knapp 100 Jahren spielen, sondern in der Gegenwart. Sein | |
gebeutelter Held heißt nicht Franz Biberkopf, sondern Francis. | |
Was bei diesem Francis gleich bleibt, ist der Leidensweg. Er kommt zunächst | |
zwar nicht aus dem Gefängnis nach Berlin zurück, sondern aus dem Meer, doch | |
auch dort hat er mit dem Tod seiner Freundin Ida wie sein Vorbild Franz ein | |
Trauma, das ihn verfolgt. In wiederkehrenden Rückblenden sieht man | |
Erinnerungen an seine Vergangenheit, vermutlich in Guinea-Bissau, wo er | |
geboren ist. Eine Kuh kehrt in diesen Bildern regelmäßig wieder. | |
## Von der Flüchtlingsunterkunft zum Bau | |
Anfangs lebt Francis in einer Flüchtlingsunterkunft, arbeitet mit anderen | |
Migranten auf einer Baustelle unter dem Alexanderplatz. Als es zu einem | |
Arbeitsunfall kommt, für den man ihn verantwortlich macht, findet er seinen | |
Reinhold (Albrecht Schuch). Dieser wird ihn, wie im Buch, auf die schiefe | |
Bahn bringen, lässt ihn als Drogenhändler im Neuköllner Park Hasenheide | |
arbeiten. Später wird auch dieser Francis zu einem Bruch mitgenommen und | |
auf der Rückfahrt aus dem fahrenden Wagen geworfen, sodass er mit | |
amputiertem Arm im Krankenhaus aufwacht. | |
Qurbani hat die erzählerischen Eckpfeiler des Romans weitgehend so belassen | |
wie bei Döblin, sie aber komplett umgedeutet. Hier ist es nicht einfach ein | |
Kleinkrimineller, der erfolglos „ein guter Mensch werden“ möchte, sondern | |
ein Migrant ohne Pass, der sich mit all den Schwierigkeiten konfrontiert | |
sieht, die ein Illegaler in Deutschland bewältigen muss: an gültige Papiere | |
kommen, angemessene Arbeit finden, sozial akzeptiert werden. | |
Letzteres gelingt diesem Francis in der Berliner Nachtwelt, etwa bei der | |
Barbetreiberin Eva (Annabelle Mandeng), deren Familie aus Nigeria stammt | |
und die sich mit ihm nicht allein über die gemeinsame Liebe zum Afrobeat | |
von Fela Kuti austauscht, sondern ihn auch mit den Unterscheidungen | |
zwischen Weiß und Nichtweiß aus Sicht einer nichtweißen Deutschen vertraut | |
macht. Zudem lebt Eva zusammen mit Berta (Nils Verkooijen), die sich selbst | |
als „Transe“ bezeichnet. | |
Diese Aktualisierungen integriert Qurbani, ohne den didaktischen | |
Zeigefinger zu schwingen, in seinen Film. Er liefert vielmehr aus der | |
Perspektive der Halbwelt ein Panorama der Welt von heute im Kleinen. Und | |
dramatisiert seine Geschichte wie einen Thriller. Denn eine ernsthaft böse | |
Figur steuert Albrecht Schuch als Unterweltvizeboss Reinhold bei. Dieser | |
Reinhold wird von Schuch als bis in die Poren unheimlicher Psychopath | |
gegeben. Die Verwirrungen des Franz Biberkopf, der im Roman nicht ganz | |
richtig im Kopf ist, sind bei Qurbani ausgelagert, in seiner Version ist | |
Reinhold das böse Alter Ego von Francis, das ihn zu allem verführt und | |
eifersüchtig über ihn wacht. | |
Darin besteht das einzige Problem von Qurbanis Ansatz. Welket Bungué | |
spielt gegenüber dem jovial-unberechenbaren Franz von Heinrich George von | |
1931 und Günter Lamprechts fragil-psychopathischem Franz bei Fassbinder | |
einen Charakter, der seine Abgründe hat, bei dem aber die freundlichen Züge | |
so stark überwiegen, dass man ihm seine böse Seite nicht ganz abnimmt. | |
Allerdings hat Qurbani mit seinem Francis noch anderes vor als das Buch. | |
Was, wird nicht verraten. | |
26 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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