# taz.de -- Neues Buch von Doris Dörrie: Nimm dich wichtig | |
> „Leben Schreiben Atmen“ heißt das neue Buch der Regisseurin Doris Dörri… | |
> Ihr suchendes Erzählen kann ein sehr persönliches Geschenk sein. | |
Bild: Was sie schreibt, ist nie doof: Doris Dörrie | |
„Leben Schreiben Atmen“ hat Doris Dörrie ihr neues Buch genannt. Es ist das | |
achtzehnte, das die Regisseurin und Autorin bei Diogenes veröffentlicht. | |
Der arg innerliche Titel und der Untertitel „Eine Einladung zum | |
Schreiben“ lassen befürchten, dass da ein Verlag seine Erfolgsautorin zu | |
gut verkäuflicher Beratungsliteratur überredet hat. | |
Nach Lektüre der 176 Seiten kann dieser Verdacht bestätigt werden. „Leben | |
Schreiben Atmen“ ist ein Du-kannst-das-auch-Buch reinsten Wassers. Aber wie | |
es eben so ist bei Doris Dörrie: Was sie schreibt, ist nie doof. Es macht | |
reicher und – ja, doch – klüger. | |
Vierundsechzig Jahre alt ist Doris Dörrie mittlerweile, fünfunddreißig | |
davon gehört sie zum festen kulturellen Inventar der Bundesrepublik. Sie | |
ist die Autorin und Regisseurin von „Männer“, einem Film, der den Jungs des | |
neuen deutschen Films Mitte der Achtziger kurzerhand den Hahn abgedreht hat | |
und eine extrem erfolgreiche, sehr anarchische, weibliche Sicht auf alles | |
Zwischenmenschliche geworfen hat. | |
Sie ist die Witwe des Kameramanns Helge Weindler und hat nach dessen Tod | |
Mitte der neunziger Jahre mit ihrer Auskunftsbereitschaft zu Fragen von | |
Trauer und Privatheit Maßstäbe gesetzt. Sie ist eine gefeierte | |
Opernregisseurin, Professorin für Dramaturgie an der Münchner Hochschule | |
für Film und Fernsehen. | |
## Tieftraurig beschwingt | |
Sie ist die Regisseurin von „Kirschblüten – Hanami“, jenem tiefgründigen | |
Film über die Liebe, über das Werden und das Vergehen der Zweisamkeit. 2008 | |
war das, und wer beim Verlassen des Kinos nicht jene tieftraurige | |
Beschwingtheit gespürt hat, die eben nur Doris Dörrie herzustellen vermag, | |
muss ein Herz aus Stein haben. | |
Und dann sind da eben auch ihre Bücher. Viele – „Glück“, „Alles inklu… | |
„Nackt“ – hat sie nach dem Schreiben verfilmt. Im Fall von „Leben | |
Schreiben Atmen“ darf davon ausgegangen werden, dass es sich diesmal nicht | |
um ein Skript handelt. Denn: „Bei diesem Buch bin ich deutlich erkennbar | |
persönlicher geworden als bisher“, sagt Dörrie dazu. Um sogleich | |
einzuschränken, dass dies aber eigentlich keinen großen Unterschied mache – | |
„weil alles, was ich schreibe, letztlich persönlich ist“. | |
„Lesen Schreiben Atmen“ darf als unmissverständliche Einladung verstanden | |
werden, über sich selbst zu schreiben. Sich wichtig zu nehmen. Gleich im | |
Vorwort macht Dörrie das deutlich, indem sie sich selbst als Referenz | |
anbietet. „Ich schreibe, um diese unglaubliche Gelegenheit, am Leben zu | |
sein, ganz genau wahrzunehmen und zu feiern. Ich schreibe, um einen Sinn zu | |
finden, obwohl es am Ende wahrscheinlich keinen gibt.“ | |
Ohne Scheu nimmt sie die LeserInnenschaft mit auf ihre persönliche | |
Assoziationsreise, wissend, „dass man, wenn man Wort für Wort, Satz für | |
Satz über die Welt schreibt, in der man sich befindet, eine Ahnung von sich | |
selbst bekommt“. Schließlich heiße Schreiben, „die Welt einatmen. Nicht n… | |
die kühle Bergluft am Morgen, auch den Smog, den Rauch, die Abgase. Das | |
Schöne wie das Hässliche.“ | |
Von Dörrie bekommt man eine Ahnung, wie zufrieden Schreiben machen kann, | |
wenn sie die LeserInnen mitnimmt auf Creative-Writing-Wanderschaft in ihre | |
niedersächsische Kindheit, auf Urlaubsreisen, durch ihr ganzes Leben. Alles | |
ist eine Geschichte, kann zumindest eine sein. Und eine jede dieser | |
Geschichten kann zu etwas Neuem führen: einem Traum, einer Erkenntnis, | |
einer Erinnerung, einem Geruch, Geschmack, Laut. | |
Mit Wucht greift sie dem Zweifel des Schreibenden ins Rad und zählt all die | |
zu verbannenden, nervigen Selbstbezichtigungen auf. Man sei zu blöd, zu | |
uninspiriert, zu unoriginell; man habe Angst, nicht schreiben zu können, | |
andere zu verletzen, peinlich zu sein. JedeR Mensch, der Tagebuch schreibt | |
oder geschrieben hat, kennt diesen Gedankenquatsch. Nichts als Ausflüchte! | |
Doris Dörrie lässt keine einzige gelten. Was Marie Kondo für die äußere – | |
und damit innere – Ordnung ist, kann Dörrie für den magischen Prozess der | |
ungerichteten Selbstbeauskunftung sein. | |
## Gerüche und Gefühle | |
Großartige Geschichten finden sich in „Leben Schreiben Atmen“. Die Kindheit | |
und Jugend in Niedersachsen gebiert zeitgeistige Assoziationen und Gerüche, | |
Gefühle und Vergleiche. Das Elternhaus: voller Bücher und ohne Fernseher, | |
die Adoleszenz als die Schwester der Lüge, Pubertät und Verstellung, | |
Eitelkeit und Scham. „Überall herrscht konspiratives Unglück“, ist einer | |
jener magischen Sätze, die Dörries Herkunft umreißen. | |
Und schließlich dieser Absatz, offen für jene, für die fühlen gleich | |
begreifen ist: „Meine Mutter verlor ihren Ehering in der Küche, und | |
Jahrzehnte später tauchte er beim Umgraben eines Beetes im Garten wieder | |
auf. Ich verlor meinen Mann. Und meine beste Freundin. Meinen Vater. Alles | |
andere, was ich verloren habe, habe ich vergessen.“ | |
Man muss das mögen, dieses Sich-selbst-wichtig-Nehmen. Ebenso die Ironie, | |
ohne die aus Selbstauskunft Pathos würde. Schon die geringste Abgeneigtheit | |
ließe einen das Buch entgeistert, entnervt weglegen. Für jene, die Doris | |
Dörrie vertrauen, denen sie etwas bedeutet, die sie begleitet hat über | |
Jahre, Jahrzehnte, kann „Leben Schreiben Atmen“ ein wertvolles und sehr | |
persönliches Geschenk sein. | |
8 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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