| # taz.de -- Neues Album von Vince Staples: Lass dich nicht ermorden | |
| > Mit seinem gleichnamigen neuen Album hat Vince Staples sein bislang | |
| > persönlichstes veröffentlicht. HipHop-Klischees geht er mit Humor aus dem | |
| > Weg. | |
| Bild: Vince Staples hat sein neues Album nach sich selbst benannt | |
| Vince Staples ist ein Beach Boy ohne Leichtigkeit. Er ist in Kalifornien | |
| geboren, aber weit weg von der Welt des Glam. Seine Heimat ist Long Beach, | |
| eine knappe Autostunde entfernt von Beverly Hills. In seiner Heimatstadt | |
| wird der 28-jährige US-Rapper bis heute kaum auf der Straße erkannt und | |
| selbst seine Mutter sieht keine Notwendigkeit, damit anzugeben, dass die | |
| beiden verwandt sind. Dabei müsste sie sich nun wirklich nicht für ihren | |
| Sohn schämen. | |
| Mit drei Alben hat Staples eine eigenen Nische im kalifornischen | |
| HipHop-Universum erschaffen. Er verzichtet auf Kiff-Geschichten und | |
| Gangsta-Posen, [1][hat mit Indiekünstler:innen und avantgardistischen | |
| Dance-Produzenten zusammengearbeitet] und erzählt von einer Gesellschaft, | |
| in der der pazifische Ozean vor der Haustür liegt und die Armut dahinter. | |
| Staples’ Mutter hat auch auf „Vince Staples“, dem neuen Album ihres Sohns, | |
| einen kurzen Gastauftritt. In einem Skit sampelt er eine Voicemail, in der | |
| sie von einer Party erzählt, die Vince Staples eigentlich besuchen wollte. | |
| Sie endete mit Blutvergießen. „Vince Staples“ sei sein persönlichstes | |
| Album, sagt der Rapper. | |
| Drei Jahre hat er sich dafür Zeit genommen und gleich im ersten Track „Are | |
| you with that?“ steigt er hinab in die Erinnerungen an seine Kindheit und | |
| Jugend, die Spiele auf der Straße und seine Freunde, die „dead homies“. | |
| Dahin würde er niemals zurückkehren, rappt er. | |
| ## Schlieren und Sprünge | |
| Dabei ist der Sound seiner Kindheit auf „Vince Staples“ immer präsent. Sein | |
| Produzent Kenny Beats bedient sich am Repertoire von G-Funk und R&B der | |
| 90er Jahre: säuselnde Synthesizer, gesampelte Soul-Vocals und | |
| Flamenco-Gitarren. Aber all diese Soundsignaturen einer vergangenen Zeit | |
| bearbeitet er mit Filter und Hall-Effekten zu akustischen | |
| Erinnerungsmomenten, die voller Schlieren und Sprünge sind. „Vince Staples“ | |
| erinnert sich an die 90er Jahre, aber verzichtet darauf, damit eine goldene | |
| Ära heraufzubeschwören, die erst im Nachhinein zu dieser verklärt wurde. | |
| Dazu passt, dass sich Vince Staples bei seinem Trip in die Vergangenheit | |
| kurz fasst. Gerade einmal 20 Minuten dauern die insgesamt zehn Songs | |
| zusammengenommen – Vince Staples breitet sein Leben aus, indem er es | |
| verdichtet. Dabei schleichen sich immer wieder Motive ein, die man bereits | |
| aus anderen HipHop-Geschichten kennt: Straßen-Schießereien nach | |
| Sonnenuntergang, willkürliche Polizeikontrollen auf der Fahrt vom | |
| Einkaufszentrum nach Hause, die Freundin, die einen nicht versteht. | |
| Aber Vince Staples erzählt davon, ohne den Ausweg des „ghetto fabulous“, | |
| dem oberflächlichen Glam von Konsum, der letztlich nur dazu dient, die | |
| materielle Armut der eigenen Lebensumstände zu kaschieren. „Louis bag, | |
| Gucci bag, you got baggage“, rappt er auf „Law of Averages“, nur um | |
| schließlich die Straßen seiner Heimatstadt als ziemlich durchschnittlich zu | |
| bezeichnen. | |
| Auch sein Drogenkonsum ist ziemlich banal. Er sei der Erste, der beim | |
| Kiffen husten müsse, bekennt er auf „Taking Trips“. Und wer an Straßeneck… | |
| rumhängt, könne sich auch gleich am Deckenventilator aufhängen, meint er an | |
| anderer Stelle. Dieser Humor schützt Vince Staples davor, moralisch | |
| instrumentalisiert zu werden. Denn der [2][Gegenpart zum nihilistischen | |
| Gangsta-Rapper] ist der mahnende Conscious Rapper, der der neoliberalen | |
| Anrufung des sozialen Aufstiegs durch materialistische Rücksichtslosigkeit | |
| die ebenso neoliberale Anrufung des Aufstiegs durch die Tugendhaftigkeit | |
| des Individuums und seiner Community entgegensetzt. | |
| Vince Staples glaubt an keinen der beiden Aufstiege. „Don’t get murdered“ | |
| warnt er auf „The Shining“ in einem Tonfall, der an einen Ratschlag | |
| erinnert, den ein Elternteil seinem Kind mit auf den Schulweg gibt. Denn | |
| Erlösung gibt es im Kosmos von „Vince Staples“ nicht: „We’re dying bro… | |
| and live with broken heart“, rappt er im gleichen Song; und nur das | |
| melancholisch zerhackte Pianomotiv verrät, dass er nicht bereit ist, das | |
| einfach so hinzunehmen. | |
| 21 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Werthschulte | |
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