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# taz.de -- Neuer Film von Małgorzata Szumowska: Absturz in Christus
> Der Film „Die Maske“ von Małgorzata Szumowska ist eine böse Satire auf
> Sensationslust und Bigotterie. Zumindest in seinen besseren Momenten.
Bild: Jacek, der Heavy-Metal-Fan
Morgengrauen. Eine Gruppe, die Älteren und also Mittellosen voran, wartet
auf die „Weihnachtsschnäppchen für Nackedeis“. Das grelle Supermarkt-Licht
geht an und schon entkleidet sich die Meute kreischend, sprintet in
Unterwäsche quer durch die Rieseneinkaufshalle und über
Überwachungsmonitore. Am Ziel angelangt – bei den Riesenpaketen mit
ungenanntem Wareninhalt – verlangsamt sich das Tempo. Nicht jenes der
Menschen in ihrem Kaufrausch, sondern das der Kamera.
In Zeitlupe wird die freiwillige Massenerniedrigung vor dem schnöden Mammon
einer Gesellschaft, einer postsozialistisch-vormodernen, einer
neoliberal-aber-katholisch-ruralen, kurz: der polnischen, von Regisseurin
Małgorzata Szumowska noch im Vorspann wie auf dem Seziertisch aufbereitet.
Zerlegt und kaltgestellt, dann ansatzweise weichgezeichnet und wieder
rechoreografiert. Menschentrauben als Kaleidoskop von oben, Nacktkörper im
Ringkampf von nah. Kameramann und Drehbuch-Co-Autor: Szumowskas Ex-Mann
Michał Englert.
Leider beginnt dann schon die erste Szene nach dem Titel – der auf Deutsch
„Die Maske“ lautet, auf Polnisch „Twarz“, ergo Gesicht – ein wenig zu
nerven. Nicht nur des Heavy-Metal-Sounds wegen. Held Jacek (langes Haar,
Jeans-Look) steht auf Metallica und weiß vielleicht auf seiner lauten
Autofahrt anfangs noch nicht, dass „Am I Savage?“ zum Leitmotiv seines
Lebens werden wird.
## Kein Bock auf arbeitslos in London
Die Musik lenkt jedenfalls ab von der durchfahrenen Einöde, bestehend aus
viel grüner Wiese und Kuhstall, von den Streitereien auf der Baustelle
zwischen Polen und „Zigeunern“ (seinen Hund nennt Jacek bewusst so, cigan)
und natürlich von zu Hause, wo der Schwager für Stammtischstimmung sorgt:
„Du bist Pole, merk dir das. Ein Pole gehört nach Polen, kapiert?“ Dabei
hat Jacek ohnehin keinen Bock auf arbeitslos in London. Kurwa.
Die Musik – nach Szenenwechsel in der Samstagabend-Disco mit Gigi
D’Agostinos Turbo- Versprechen auf „L’amour toujours“ – verbindet aber
auch. Konkret mit Dagmara, blond, dürr, supernett. Man tanzt, küsst, schon
bald gibt’s Verlobungsfotos. Zwei junge Außenseiter-Ausreißer wollen eine
gemeinsame Zukunft. Doch vorerst ist Sonntagfrüh und glücklich weit weg vom
Katholen-Nest, das sie eigentlich nur für eines halten, nämlich
heuchlerisch. Sie brüllen „In die Kirche, ihr Arschlöcher“ und „Verpisst
euch, ihr Bauerntrampel“ in Richtung Dorf.
Was dann folgt, ist Weihnachten, Fest der Liebe, man wünscht Jacek, dem
„Satanisten“, vor allem einen ordentlichen Haarschnitt (statt
„Fotzen“-Look, wie der O-Ton auch hier konkret zu übersetzen wäre), reißt
dreckige Anti-Juden-Muslime-Neger-Witze und stößt besoffen „auf die
Euthanasie“ an. Christtag kann kommen.
## OP als TV-Spot
Bei Minute 30 circa stürzt Jacek in die Riesenchristus-Statue, die er mit
aufbaut (eine solche, wir erfahren es im Abspann, gibt es wirklich:
Świebodzin in Westpolen, 5 Jahre Bauzeit, 1,5 Millionen US-Dollar-Baugeld,
21.000 Bauleute, höher als die in Rio de Janeiro), und fällt tief. Aus dem
verletzlichen jungen Mann wird ein schwerverletzter Invalide, dem die Rente
aber verwehrt bleibt, zu erfolgreich verläuft die Gesichtsoperation (ergo
„Maske“), zu hoch seien die Einnahmen aus den TV-Spots, die aber letztlich
nur die polnische Transplantationsindustrie bewerben.
In der Kirche kommen 20 Złoty im Klingelbeutel zusammen. Jaceks Kampf um
Anerkennung seiner wirklichen menschlichen Werte kann beginnen.
Klingt unterhaltsam und ist es auch. Aber „Die Maske“ verliert ihr
eigentliches Ziel – eine böse Satire auf Sensationslust und Bigotterie zu
sein – aus den Augen. Beziehungsweise tröpfelt es dann einerseits schon
sehr Jacek-bezogen in Richtung Mitleid, während es andererseits zu viele
Protagonisten (nämlich auch die wirklich völlig ungläubigen) in den
Beichtstuhl treibt. Viel mehr als Sexualklischees (von Notgeilheit etc.)
sind da dann nicht zu hören. Und Kalauer. „Wo berührt ihr euch?“ „Zu
Hause“.
## Polens Kultfilm hieß „Kler“ von Wojciech Smarzowski
Es gibt einige wenige herausragende Szenen in diesem ansonsten gerade
inszenatorisch und dramaturgisch eher in den Sand gesetzten Film. Polens
Kultfilm des letzten Jahres war dann auch definitiv ein anderer. „Kler“
hieß er, wie Klerus, von Genrefilmer Wojciech Smarzowski, eine
psycho-logisch präzise wie sensible Hardcore-Studie der heiligen
katholischen Kirche und ihrer Geistlichen zwischen geschwängerten und zur
Abtreibung gezwungenen Geliebten, masochistischem Quiek-Kriechen mit
Schweinemaske und der Tradierung von früh am eigenen Leib erfahrener
pädophiler Praktiken an die nächste Generation.
Für Smarzowskis Helden gibt es nur zwei Möglichkeiten. Schweigen,
weitermachen und sich fürs Spendengeld der Glaubensgemeinde
Privat-Sanktuaria bauen lassen oder Buße tun, inklusive Selbstverbrennung.
Szumowska dagegen setzt – wie schon in ihren bisherigen Filmen, deren
Synthese „Die Maske“ quasi ist – auf individuelle Befindlichkeiten im
Bereich Psychosomatik und auf ausgestellte Körperlichkeit im Extremen, die
etwas über den Zustand der Gesellschaft aussagen sollen, was in der
Überzeichnung aber nur bedingt gelingt.
14 Mar 2019
## AUTOREN
Barbara Wurm
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Kino Polen
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