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# taz.de -- Neue Regierung in Israel: Alles andere als dumm
> Netanjahus ultrarechte Koalitionspartner gelten als ungebildet. Vorsicht!
> Das ist nur geschickte Tarnung.
Bild: Itamar Ben-Gvir, Israels ultrarechter Minister für nationale Sicherheit,…
Die Enthüllungen über eine reaktionäre Untergrundbewegung, die den Sturz
der deutschen Bundesregierung plante, stießen auf unterschiedlichste
Reaktionen. Die einen äußerten ihre Sorge vor einer ernsthaften Bedrohung,
aber nicht wenige andere betrachteten die Bewegung als seltsames Kuriosum.
Ganz ähnlich wurden die Leute, die jetzt in Israels Regierungskoalition
sitzen, von vielen viel zu lange verharmlost.
Itamar Ben-Gvir und seine Parteifreunde galten als „schlafende Rechte“, und
selbst jetzt, da sie mit in der Regierung sitzen, werden sie in Teilen der
Bevölkerung kaum als Bedrohung betrachtet. „Ja gut, sie sitzen in der
Koalition, aber da werden sie sich nicht lange halten, denn dazu sind sie
zu dumm“, heißt es dann.
Es liegt tatsächlich nahe, so über die Rechten zu denken: Sie sind zum
großen Teil kaum gebildet und sie sprechen ein primitives Hebräisch. Mehr
noch: Ihre Haltungen und ihr Stil lassen darauf schließen, dass sie Bildung
und Intellektuelle verabscheuen.
In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht wesentlich von den
europäischen Rechten seit Beginn des 20. Jahrhunderts oder den Trumpisten
in den USA. Nur dass sie in Israel eine Kippa tragen und sich als
authentische Vertreter des Judentums identifizieren.
Klar, dass diese Perspektive trügt, denn sie sind auf ihre Art alles andere
als dumm. Sie sind geradezu Experten darin, sich selbst zu vermarkten. Sie
verstehen ihre Zielgruppe und wie man sie erreicht. Ihre Klientel setzt
sich aus Menschen zusammen, die mit leicht verständlichen Slogans ohne jede
Komplexität angesprochen werden wollen.
## Die Kunst der simplen Botschaften
Völlig klar, dass nicht alle Araber Terroristen und Mörder sind, klar auch,
dass der Gazastreifen kein Gebilde ist, dem man ein Markenzeichen aufkleben
könnte, sondern dass dort interne Machtkämpfe unterschiedlichster
politischer Strömungen stattfinden und mehr. Nur ist das den meisten in
Israel zu kompliziert. Itamar Ben-Gvir und seinesgleichen verstehen sich
auf die Kunst der simplen Botschaften und liefern ihrer Klientel genau das,
was sie braucht.
Doch im Grunde ist ihre Raffinesse viel hinterhältiger: In den vielen
Jahren rechter Regierungungen entstand ein Bildungssystem, das weder für
Bildung noch für Anregung zu kritischem und komplexem Denken sorgt, sondern
für Oberflächlichkeit und Ignoranz. So auch auf dem Zeitungsmarkt und dem
Rundfunk: Eine seriöse Zeitung nach der anderen musste aufgeben,
stattdessen rückten andere Blätter auf den Markt, denen gegenüber sogar die
Bild-Zeitung noch als anspruchsvoll erscheint. Auch im Fernsehen
verbreiteten sich neue Kanäle im Stil von RTL2.
So schuf die israelische Rechte eine Öffentlichkeit, die Ignoranz der
Bildung vorzieht und die gar nicht mehr in der Lage ist, mit komplexen
Botschaften umzugehen. Diese Öffentlichkeit gibt bei den Wahlen ihre Stimme
ein ums andere Mal rechten Parteien, dabei jedes Mal ein wenig radikaleren
Rechten.
Israels Linke reagiert auf diese Realität mit alten Mitteln und alter
Sprache, doch die Zahl derer, die diese alte Sprache überhaupt noch
verstehen, nimmt dramatisch ab. Debatten der Linken, die sich aktuell in
zahllosen Gruppen auf Whatsapp und Facebook abspielen, sind im Grunde ein
interner Diskurs, an dem die breite israelische Öffentlichkeit nicht das
geringste Interesse hat, ihm nicht folgen kann und dem sie zutiefst
ablehnend gegenübersteht.
Die Linke spricht über Gewaltenteilung und Humanismus, und die israelische
Öffentlichkeit begreift nicht, worum es geht. Und während die linken Weisen
weiter untereinander streiten, halten die Narren die Öffentlichkeit und die
Regierung immer fester im Griff.
Aus dem Hebräischen von Susanne Knaul
14 Jan 2023
## AUTOREN
Hagai Dagan
## TAGS
Kolumne Fernsicht
Itamar Ben-Gvir
Siedlungen
Jerusalem
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Rechtspopulismus
Bildung
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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Jair Lapid
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