# taz.de -- Neue Plattform „Bluesky“: Weder Himmel noch Hölle | |
> Immer mehr wechseln von X zu Bluesky. Die Plattform ist umstritten. Unter | |
> richtigen Bedingungen kann sie ein wichtiges demokratisches Instrument | |
> werden. | |
Bild: Gelingt des Bluesky X zu ersetzen? | |
Am ersten Tag an einer neuen Schule erscheint fast alles möglich. Endlich | |
ohne feste Rollenzuschreibung im Klassengefüge den ungeliebten Spitznamen | |
ablegen oder sich ein neues Auftreten zulegen. [1][So ähnlich fühlte sich | |
diese Woche der Neustart bei der Plattform Bluesky] an. Nach anstrengenden | |
Jahren bei Twitter und später X sollte jetzt alles anders werden. Wie also | |
sich nennen? Welche Internetpersönlichkeit annehmen – krawallige Pöbelmaus | |
oder lieber zurückhaltend? Und was soll der erste Post werden? | |
Egal für welchen Post sich die Nutzer*innen entschieden, die Stimmung | |
bei Bluesky in den letzten Tagen war euphorisch. Endlich schien eine | |
vernünftige Alternative zu X gefunden: ein digitaler Raum mit positiver | |
Atmosphäre, konstruktiven Gesprächen und dem Gefühl einer | |
„Netzgemeinschaft“. | |
Schließlich war X in den letzten Monaten immer unbenutzbarer geworden. | |
[2][Ihr Chef Elon Musk h]atte mit seinen Sparmaßnahmen, neuen Funktionen | |
und Algorithmen die App regelmäßig lahmgelegt, die Sichtbarkeit der Tweets | |
gedrosselt und immer mehr Rechte zurückgeholt. Wenig überraschend, | |
schließlich ist er selbst dafür bekannt, rechtsradikale, | |
verschwörungstheoretische und antisemitische Inhalte zu verbreiten. Als er | |
vergangene [3][Woche zur Wahl der AfD aufrief,] war für viele User:innen | |
klar: jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um von X zu Bluesky zu wechseln. | |
Doch so groß die Freude auf der einen Seite war, so enorm war die Kritik | |
auf der anderen. Ein „elitärer Club“, schimpften einige, andere sahen in | |
Bluesky gleich den Untergang der Demokratie. Beides ist sicherlich | |
übertrieben. Aber ganz nüchtern betrachtet muss man sagen: Bluesky bietet | |
einige Chancen. | |
## Elitäres Gehabe | |
Auf den ersten Blick ist dort wenig anders als bei X. Die Oberfläche sieht | |
mit ihrer Timeline, dem Profil und den Benachrichtigungen dem ehemaligen | |
Twitter zum Verwechseln ähnlich. Das ist kein Zufall, stammt die App mit | |
dezentralem Ansatz doch ursprünglich aus dem Hause Twitter. Dessen | |
Mitgründer Jack Dorsey hatte sie 2019 als Erweiterung angekündigt. | |
Mittlerweile ist Bluesky vollkommen unabhängig von X und Dorsey im | |
Aufsichtsrat von Bluesky. | |
Dass die Anmeldung bislang nur nach monatelanger Wartezeit oder mit | |
Einladungscode funktioniert, ist tatsächlich elitäres Gehabe. Das | |
Unternehmen versucht so, die Zahl der Neuanmeldungen zu regulieren, damit | |
ihr Netzwerk nicht zusammenbricht. Gleichzeitig ist es auch eine | |
PR-Strategie, um sich durch künstliche Verknappung interessant zu machen. | |
Auch Plattformen wie Facebook oder Clubhouse haben das zu Beginn so | |
gehandhabt. Ein Zustand, der hoffentlich bald behoben wird, ähnlich wie die | |
fehlenden Möglichkeiten, Direktnachrichten zu verschicken oder Videos und | |
GIFs zu posten. | |
Doch das alles sind Kleinigkeiten im Vergleich zur sonstigen Kritik. | |
Verschiedene Springer-Journalist*innen sehen in Bluesky bloß ein | |
Antifa-Forum, auch die FAZ kommentiert, hier treffe sich nur „die linke | |
Blase“ zum Abfeiern. Das Ganze führe dann wahlweise zur „Spaltung der | |
Gesellschaft“, dem „Ende der Meinungsfreiheit“ oder es rüttele an den | |
„Säulen der Demokratie“. | |
Doch Kritik kommt nicht nur von Konservativen, auch Linke fürchten, dass | |
durch den Wechsel von X zu Bluesky eine immer noch gesellschaftlich | |
relevante Plattform wie X vollkommen den Rechten überlassen wird. Musk | |
würde letztlich einen Echo-Raum ohne Widerspruch behalten, in dem keine | |
Debatte mehr stattfinde. Ein Raum, wie Donald Trump ihn mit Truth Social | |
immer geträumt, aber nie erreicht hatte. | |
## Zu „kuschelig“ – was soll das heißen? | |
Es stimmt, dass immer mehr gesellschaftlich progressive Institutionen und | |
Privatpersonen sich von X zurückziehen. Am Donnerstag beendete | |
beispielsweise der Bundesverband Trans* nach einem transfeindlichen | |
Shitstorm seine Präsenz dort. Doch wer kann ihm das vorwerfen? Zudem stößt | |
ein starker Rückgang der Nutzer*innen die Plattform auch weiter in | |
Richtung Bedeutungslosigkeit. | |
Twitter war mal ein Ort, an dem Menschen sich Gehör verschafft haben, die | |
ansonsten im deutschen Diskurs keinen Platz fanden. Heute ist es ein Ort, | |
der durch menschenverachtende Hetze und Trolle bestimmt wird. Auch, weil | |
Twitter nie eine ordentliche Moderation und Handhabung gegen Hetze hatte. | |
Es ergibt schlicht keinen Sinn, mit ihnen ins Gespräch zu gehen. Das war | |
schon vor Elon Musks Übernahme im Herbst 2022 so, doch in den letzten | |
Monaten hat sich die Situation verschlimmert. | |
Die Aussage einiger, bei Bluesky sei es ihnen zu „kuschelig“, weil sich | |
hier nur Linke aufhalten würden, ist deswegen wenig nachvollziehbar. Zwar | |
waren zu Beginn vermutlich mehrheitlich linke und linksliberale | |
User*innen dort unterwegs, doch immer mehr konservative Journalist*innen, | |
Politiker*innen und Akteur*innen finden ihren Weg zur Plattform. | |
Und schon jetzt finden Diskussionen statt. Doch wer ernsthaft Rechte und | |
Trolle auf der Plattform vermisst, dem ist nicht zu helfen. Es auszuhalten, | |
von Nazis beschimpft zu werden, darf keine Voraussetzung sein, um am | |
gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Wer so denkt, hat nichts | |
verstanden. | |
Wenn wir eines aus unseren ersten Schultagen gelernt haben, dann, dass es | |
nicht so einfach ist, von einem Tag auf den anderen zu versuchen, ein neuer | |
Mensch zu sein. Das müssen wir auch überhaupt nicht. Doch wir sollten die | |
Zeit ohne Rechte und Trolle nutzen – und sie wird vermutlich schnell | |
vorbei sein –, um uns Strategien anzueignen, wie wir mit ihnen umgehen. | |
Also nicht über jedes Stöckchen der Rechten springen und Schutzkonzepte für | |
vulnerable Gruppen zu entwickeln. Damit der Preis, gehört zu werden, nicht | |
mit rechten Hetz- und Mordkampagnen einhergeht. | |
Die Verantwortung liegt aber nur zum Teil bei den User*innen, zum anderen | |
beim Unternehmen selbst. Es bleibt zu hoffen, dass Dorsey etwas dazugelernt | |
hat, aber letztlich wird auch hier irgendwann umgesetzt, was am meisten | |
Geld fürs Unternehmen einspielt. Bleibt also die Politik, die die | |
Unternehmen in die Verantwortung zwingen muss, bestehende Gesetze | |
einzuhalten. Gerade bei einer neuen Plattform lohnt es sich, ganz genau | |
hinzuschauen. Denn dann kann Bluesky ein wichtiges demokratisches | |
Instrument sein. | |
7 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kurznachrichtendienst-Bluesky/!5961131 | |
[2] /Elon-Musk-und-das-X/!5955322 | |
[3] /Elon-Musk-hetzt-gegen-Seenotrettung/!5964281 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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