# taz.de -- Neue Partei in Georgien: Grüne für Homorechte | |
> Georgien ist ein homofeindliches Land. Die neu gegründete Grüne Partei | |
> will sich für die Rechte von Frauen und der LGBTQ-Community engagieren. | |
Bild: Veranstaltung pro Europa in Tiflis | |
TBILISSI taz | Der alte Boiler springt nicht sofort an. Die 35-jährige | |
Georgierin Nino Gogotschuri dreht lange an einem Ventil und drückt auf | |
verschiedene Knöpfe. Die zwei kleinen Räume werden langsam warm. Hier, im | |
historischen Teil der georgischen Hauptstadt Tbilissi, befindet sich das | |
Büro der Grünen Partei. Unlängst wurde sie von 15 Aktivist*innen, darunter | |
auch Gogotschuri, registriert. Die Präsentation fand in einem Nachtclub | |
statt und endete mit einer Drag-Show. | |
Laut Programm konzentriert sich die Partei auf Umwelt, Gleichberechtigung | |
und Bildung. Darüber hinaus haben Themen wie Gleichstellung, Rechte von | |
Frauen, [1][LGBTQ-Menschen], religiösen und ethnischen Minderheiten sowie | |
Menschen mit Beeinträchtigungen Priorität. Die Partei wird von einem | |
dreiköpfigen Vorstand geleitet, dem auch Nino Gogochuri angehört. Sie ist | |
vor vier Jahren den Grünen beigetreten, als sie noch eine | |
Bürgerrechtsbewegung waren. | |
In den vergangenen Jahren hat die Bevölkerung ihr Vertrauen in politische | |
Parteien immer weiter verloren. Laut der jüngsten Umfrage der | |
amerikanischen Organisation NDI (National Democratic Institute) sind 54 | |
Prozent der Meinung, dass keine politische Partei ihre Interessen vertrete. | |
Mittlerweile gibt es mehr als 250 politische Parteien im Land – kein | |
Indikator für Demokratie, sondern das Gegenteil, meint die 35-Jährige. „Die | |
Menschen vereinigen sich nicht um Werte, sondern um Persönlichkeiten. | |
Sobald es zum Streit kommt, wenden sie sich ab und gründen ihre eigene | |
Partei“, sagt sie. | |
Die Grünen glauben, dass die Politik in Georgien verjüngt werden müsse. | |
„Junge Menschen werden von Männern mit Krawatten abgeschreckt, die ständig | |
fluchen und streiten“, sagt Gogotschuri. Andererseits räumt sie ein, dass | |
Menschen in Führungspositionen ziemlich jung seien. So ist der | |
Ministerpräsident, Irakli Garibashvili, 40 Jahre alt und der Chef der | |
Regierungspartei „Georgischer Traum“, Irakli Kobakhidze, 44. „In dieser | |
Partei hat eine Person das Sagen und wählt selbst die wichtigen Posten | |
aus“, fügt sie hinzu. Besagte Person ist der Milliardär Bidsina | |
Iwanischwili, der reichste Mann Georgiens und Gründer der Partei | |
„Georgischer Traum“. Kurz nach dem ersten Wahlsieg 2012 zog sich | |
Iwanischwili aus der Politik zurück und gilt seitdem als Strippenzieher | |
hinter den Kulissen. | |
Eine von zwölf Vorgaben der EU-Kommission für den Beitritt Georgiens zur EU | |
ist, die Einflussnahme privater Interessen auf Politik und Wirtschaft zu | |
unterbinden. Georgien hat im März 2022 den Antrag auf EU-Mitgliedschaft | |
gestellt, aber keinen Kandidatenstatus bekommen. Die große Mehrheit der | |
Bevölkerung wünscht sich den Beitritt zur EU. Die Grünen solidarisieren | |
sich auch mit dem politischen Mainstream: Der Beitritt zur EU ist | |
alternativlos. | |
Die nächste Parlamentswahl in Georgien findet 2024 statt. Ein weiterer | |
Vorständler der Grünen, Tornike Kusiani, sagt, eines der Ziele bis dahin | |
sei es, vielfältiger zu werden. Menschen aus verschiedenen sozialen | |
Gruppen, wie Arbeiter und Bergleute sowie Menschen mit Beeinträchtigungen | |
sollten sich der Partei anschließen. Derzeit lebt der 33-Jährige in | |
Barcelona, wo er über Umwelttechnologien promoviert. Alle paar Monate kommt | |
er nach Georgien. „Die Behörden ignorieren alle Aktivitäten und jede Art | |
von Protest. Das geht seit Jahren so und hat die Hoffnung der Menschen | |
zerstört, etwas bewegen zu können“, sagt er und fügt hinzu, dass viele | |
deswegen das Land verließen. Laut einer Studie des internationalen | |
Unternehmens Policy and Management Consulting Group haben zwischen 2010 und | |
2021 961.000 Menschen Georgien den Rücken gekehrt. Das ist fast ein Viertel | |
der Bevölkerung. | |
Kusiani ist seit vielen Jahren Aktivist und sagt, er sei mehr als einmal am | |
Rande eines emotionalen Burnouts gewesen. „Die Behörden nutzten Homophobie | |
zu ihrem Vorteil und [2][säten Hass“]. Georgien ist [3][eines der | |
homophobsten Länder Osteuropa]s. Angriffe auf queere Personen sind an der | |
Tagesordnung, manchmal enden sie tödlich. Kusiani bezeichnet die meisten | |
Entscheidungsträger als „toxisch“. | |
Keiner der Chef*innen der Grünen hat eine politische Vergangenheit. Aber | |
das macht ihnen keine Angst. Vielmehr möchten sie auf die Zusammenhänge | |
zwischen Umweltproblemen und fehlender Gleichberechtigung und qualitativ | |
hochwertiger Bildung aufmerksam machen. | |
Bereits zu Sowjetzeiten, 1989, wurde in Georgien eine Grüne Partei | |
gegründet. Bei der Parlamentswahl 2020 erhielt sie 0,07 Prozent der | |
Stimmen. Die neu gegründete Partei distanziert sich von den alten Grünen: | |
„Sie waren und sind zu konservativ.“ | |
Aus dem Russischen: Barbara Oertel | |
20 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sandro Gvindadze | |
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