# taz.de -- Netflix-Spielfilm „Was wir wollten“: Geworfen in die Einsamkeit | |
> In ihrem Film „Was wir wollten“ erzählt die Regisseurin Ulrike Kofler von | |
> einem Paar mit Kinderwunsch – und nimmt die Figuren ernst. | |
Bild: Zumindest ihr Urlaub macht neidisch: Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (E… | |
Die Filme, die in der jüngsten Vergangenheit spielen, haben es gegenwärtig | |
besonders schwer: Noch vor einem Jahr hätte man als Zuschauer das | |
Mittelstandspärchen Alice ([1][Lavinia Wilson]) und Niklas ([2][Elyas | |
M’Bar]ek) wohl als völlig normal empfunden. Im „new abnormal“ von heute | |
dagegen hat man zunächst damit zu tun, die Neidgefühle wegzudrücken. Dieses | |
sorglose Umarmen, dieses freie Bewegen, das einfache In-Urlaub-Fahren! Ganz | |
zu schweigen vom Wohlstand, der sich darin zeigt, dass man sich das leisten | |
kann, auch wenn die eine oder andere Kreditlinie überzogen werden muss. | |
Warum also, wenn es ihnen doch objektiv so gut geht, machen die beiden die | |
ganze Zeit so lange Gesichter? Ach ja, da war ja was, gleich zu Beginn, die | |
Szene bei der Frauenärztin: Alice und Niklas wollen ein Kind, aber nachdem | |
auch der jüngst eingesetzte Embryo nicht „anschlug“, wird ihnen empfohlen, | |
eine Pause einzulegen. Also fahren sie nach Sardinien. | |
Wenn es gelingt, aus dem Nebel des eigenen, coronabedingten Selbstmitleids | |
herauszufinden, fällt es erstaunlich leicht, in das Selbstmitleid dieses | |
doch irgendwie exemplarischen Paars einzutauchen, in diesen sehr speziellen | |
Schmerz, den das Versagen an der Fruchtbarkeitsfront auslöst, in die | |
eigenartige Einsamkeit, in die ein Paar, das Kinder will, aber keine | |
bekommen kann, sich geworfen fühlt. Die österreichische Cutterin Ulrike | |
Kofler inszeniert das in ihrem Regiedebüt „Was wir wollten“ mit einer | |
subtilen Sensibilität, die mehr und mehr fesselt. | |
Der Grat, auf dem Kofler sich bewegt, ist schmal. Gerade die Darstellungen | |
aus der „Mitte der Gesellschaft“ neigen ja entweder zur karikaturhaften | |
Überzeichnung oder zum papierenen Fernsehformel-Realismus. Alice und Niklas | |
aber bleiben den ganzen Film über sehr nachvollziehbare und doch angemessen | |
komplizierte Figuren. Elyas M’Barek hat auf den ersten Blick den | |
undankbareren Part: Seine locker-gewinnende Art, die ihn in jeder Komödie | |
so gut aussehen lässt, muss er etwas anders einsetzen. Sein Niklas scheint | |
am Anfang der Unbeteiligtere, Ausgeglichenere. | |
Mit großem Geschick navigiert er um die Launen seiner Partnerin herum, | |
versucht zu besänftigen, zu trösten – und ernst zu nehmen. Er fühlt sich so | |
wohl in der Rolle des Unterstützers, dass er seinen eigenen Schmerz darüber | |
fast vergisst – und auch den Zuschauer fast vergessen lässt. Lavinia Wilson | |
wiederum ist großartig durchsichtig als Alice, die ihre Identität infrage | |
gestellt sieht und sich fast bewusst neurotische Ausbrüche erlaubt, weil | |
sie nicht weiß, wie sie sonst weitermachen soll. | |
## Eingeübtes Gekränktsein | |
Es gehört zu den Stärken des Films, dass den Figuren ein Nachdenken über | |
ihre Situation zugestanden wird: Als Alice und Niklas den gemieteten | |
Ferienbungalow beziehen und dort ein Kinderbett vorfinden, macht Niklas | |
einen Scherz von wegen „Konfrontationstherapie“. Und das eingeübte | |
Gekränktsein, mit dem Alice reagiert, sagt mehr über ihre Beziehung aus als | |
manche Aussprache. | |
Die wahre Konfrontation ist dann die mit den Nachbarn: Im angrenzenden | |
Bungalow macht ein Tiroler Ehepaar mit zwei Kindern Urlaub. Die | |
Gegenüberstellung klingt zunächst sehr schematisch, aber Kofler gewinnt | |
daraus eine Reihe an interessanten Konstellationen: Zwischen den Ehemännern | |
Niklas und Romed (Lukas Spisser) entsteht eine gar nicht mal so blöde | |
Männerfreundschaft, während Alice sich bezeichnenderweise mit dem | |
vollpubertierenden Teenagersohn David (Fedor Teyml) identifiziert. | |
Selbst die katastrophische Wendung, die ein solches Drama braucht, steuert | |
Kofler hart, aber entschieden am Klischee vorbei. Die Sehnsucht nach dem | |
nächsten Sardinienurlaub bleibt allerdings. | |
25 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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