| # taz.de -- Frauenförderung bei Arte: Sieben bis zwölf Minuten Quote | |
| > Der Fernsehsender Arte wollte Frauen fördern und schrieb einen | |
| > Kurzfilmwettbewerb aus. Schiefgelaufen ist dabei mehr als nur das Motto. | |
| Bild: „Director“: An welches Geschlecht haben Sie gedacht? | |
| „Offenheit und Neugierde“, schreibt Arte, seien „seit jeher Anliegen des | |
| Europäischen Kulturkanals. Auch deshalb scheint dem Sender die Darstellung | |
| einer möglichst großen Bandbreite an Sichtweisen unerlässlich.“ | |
| Das steht [1][in einer Ausschreibung des deutsch-französischen Senders] an | |
| Regisseurinnen von Ende Oktober. [2][Arte] möchte Frauen im Bereich Regie | |
| mehr fördern und hat daher einen Wettbewerb für kurze Dokumentarfilme | |
| ausgeschrieben. Bis März können Filmemacherinnen ab 18 Jahren einen | |
| Dokumentarfilm von 7 bis 12 Minuten Länge einreichen. Im Programm von Arte | |
| gebe es viel zu wenige Dokumentarfilme von Frauen. „Und das, obwohl viele | |
| extrem talentierte und sehr engagiert arbeitende Filmemacherinnen sich an | |
| Journalismus- und Dokumentarfilmschulen ausbilden lassen“, schreibt der | |
| Sender. | |
| Deswegen also der Wettbewerb. Das Thema: „Unbeschreiblich weiblich“. | |
| Regisseurin Pary El-Qalqili hingegen findet das eher „unbeschreiblich | |
| sexistisch“. El-Qalqili, die mit ihrem ersten langen Dokumentarfilm, | |
| „Schildkrötenwut“ (2012) Preise auf internationalen Filmfestivals | |
| gewonnen hat, darunter Regard Neuf und den Förderpreis der Stadt Duisburg, | |
| kritisiert den Ansatz von Arte. „Die Ausschreibung macht deutlich, dass der | |
| Sender noch einiges nachzuholen hat, was den aktuellen Genderdiskurs | |
| angeht“, sagt El-Qalqili der taz. | |
| ## Regisseurinnen gibt es genug | |
| Das Motto „Unbeschreiblich weiblich“ reduziere die Regisseurinnen erneut | |
| auf ihr Geschlecht. „Das ist kein Schritt Richtung Gleichberechtigung“, | |
| findet El-Qalqili. Gemeinsam mit der Autorin und Filmemacherin Biene | |
| Pilavci hat sie einen offenen Brief an Arte verfasst. Rund 700 | |
| Unterstützer*innen haben ihn unterschrieben, darunter Verbände, | |
| Schauspieler*innen, Filmprofessor*innen, auch eine ehemalige | |
| Arte-Redakteurin. | |
| Eine Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) zeigt: | |
| [3][2017 wurden 30 Prozent der Kinodokumentarfilme von Frauen gedreht]. | |
| Frauen erhielten gerade mal ein Viertel der Fördergelder für | |
| Dokumentarfilme, und wenn sie Förderung bekamen, dann im Schnitt pro Film | |
| 136.000 Euro weniger als Männer. Bei fiktionalen Produktionen ist der | |
| Anteil noch geringer: Laut Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie e. | |
| V. (BVR) führten Frauen 2018 bei ARD und ZDF bei rund 20 Prozent der | |
| Sendungen Regie, im Kino ist ihr Anteil ähnlich. | |
| Dabei ist es nicht so, dass es an Regisseurinnen fehlen würde: Über die | |
| Hälfte, nämlich 57 Prozent der Regie-Absolvent*innen an Filmschulen, waren | |
| 2017 Frauen. | |
| Das Motto „Unbeschreiblich weiblich“, unter dem Regisseurinnen ihre | |
| Arbeiten einreichen sollen, ist bei Weitem nicht der einzige Punkt, den die | |
| Unterzeichner*innen des offenen Briefs kritisieren. Sondern dass hier | |
| unentgeltlich ein fertiger Film eingereicht werden soll. Und das, obwohl | |
| selbstständige Filmemacher*innen durch die Coronakrise ohnehin schon | |
| äußerst schlechte Bedingungen haben. „Selbst die Gewinnerin hat keine | |
| garantierte Aussicht auf einen Produktionsvertrag, geschweige denn einen | |
| Prime-Time-Sendeplatz“, sagt El-Qalqili „Auch sie muss sich erst | |
| profilieren. Das zeigt erneut, dass Regisseurinnen* weniger zugetraut | |
| wird als ihren männlichen Kollegen.“ | |
| ## Arte verweist auf Nina Hagen | |
| Bettina Braun vom Kölner Filmnetzwerk Ladoc findet: „Die Ausschreibung von | |
| Arte ist nicht Lösung, sondern Teil des Problems.“ Der Wettbewerb mitsamt | |
| seiner thematischen Setzung erwecke den Eindruck, dass der „weibliche | |
| Blick“ lediglich etwas sei, das ins etablierte männlich geprägte Programm | |
| eingepflegt werden solle, sagt sie. „Aber das ist Quatsch: Frauen sind die | |
| Hälfte der Bevölkerung, und dieses Verhältnis sollte sich auch bei Arte | |
| widerspiegeln.“ Arte wird, wie alle öffentlich-rechtlichen Sender, durch | |
| [4][eine Abgabe der Haushalte] finanziert. | |
| Bereits 1987 schlossen sich 35 Frauen zum Verband der Filmarbeiterinnen | |
| zusammen und reichten eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. | |
| Sie forderten, dass Frauen von allem die Hälfte abkriegen: von den | |
| Förderungsgeldern, den Gremiensitzen, den Arbeits- und Ausbildungsplätzen. | |
| Mit dabei waren renommierte Filmemacherinnen wie Helke Sander und | |
| Margarethe von Trotta. | |
| Der Verein Pro Quote Regie hat die Forderung 2014 aufgegriffen und setzt | |
| sich seitdem dafür ein, dass bis 2024 bei 50 Prozent der Formate im | |
| Fernsehen Frauen Regie führen. Ellen Wietstock, Herausgeberin des | |
| filmpolitischen Magazins black box, beobachtet seit Jahren die Vergabe der | |
| Filmfördermittel; vor drei Jahren hat sie eine detaillierte Aufstellung mit | |
| Namen von Regisseur*innen und Fördersummen veröffentlicht. Ihre Recherchen | |
| führten zusammen mit anderen Studien zur Gründung von Pro Quote Regie. „Wir | |
| haben nach wie vor eine Männerquote von rund 80 Prozent. Die Situation für | |
| Frauen, Kinofilme und Serien zu realisieren, hat sich eher verschlechtert“, | |
| sagt Wietstock. | |
| Arte hat inzwischen auf den offenen Brief reagiert. Der Vorstand und der | |
| Arte-Präsident wollen mit El-Qalqili und Pilavci sprechen. In einer | |
| Stellungnahme heißt es, der Sender bedauere, dass die „Intention des | |
| Wettbewerbs missverstanden worden“ sei. Das Motto „Unbeschreiblich | |
| weiblich“ sei keine thematische Vorgabe, zudem lehne es sich [5][an einen | |
| Song von Nina Hagen an], in dem sie die Selbstbestimmtheit von Frauen | |
| beschwört. | |
| ## 50-Prozent-Quote gefordert | |
| Pary El-Qalqili bleibt dabei: Der Wettbewerb sei der falsche Ansatz und das | |
| Motto sexistisch. Wie die meisten ihrer Mitstreiter*innen ist sie davon | |
| überzeugt, dass nur eine Frauenquote von 50 Prozent nachhaltig etwas | |
| verändern kann, bei Arte und bei den anderen Sendern auch. „Und von der | |
| Frage nach unzureichender Diversität und struktureller | |
| Mehrfachdiskriminierung von Women of Color, queeren Filmemacher*innen | |
| oder auch Filmemacher*innen aus nicht privilegierten Familien haben wir | |
| noch gar nicht angefangen zu sprechen.“ | |
| Wie es scheint, hat dies auch Arte noch nicht getan, vor allem im Hinblick | |
| auf sich selbst: Gerade hat der Sender einen neuen Vorstand gewählt und | |
| seine Mitgliederversammlung neu aufgestellt. Die beiden Gremien, die die | |
| grundlegenden Beschlüsse für den Sender treffen, bestehen zusammen aus 16 | |
| Personen. Darin vertreten sind künftig 16 Männer und keine einzige Frau. | |
| 26 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.arte.tv/de/articles/regisseurin-gesucht | |
| [2] /Arte/!t5012635 | |
| [3] https://agdok.de/de_DE/gender-dok | |
| [4] /Rundfunkbeitrag/!t5015121 | |
| [5] https://youtu.be/ZLqzr29m6E4 | |
| ## AUTOREN | |
| Xenia Balzereit | |
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