Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neofaschismus in Italien: Gepflegter Plausch mit Faschos
> In Italien wird eher wenig Distanz zum Neofaschismus gehalten. Politiker
> und Journalisten tauschen sich oft mit Protagonisten von ganz weit rechts
> aus.
Bild: Casapound-AnhängerInnen: abseits der Demo auf den ersten Blick nur schwe…
Rom taz | Eigentlich ein schöner Tag war der 5. November 2017 für die
Neofaschisten von der Partei Casapound Italia. Bei den Wahlen in Ostia,
Roms Stadtbezirk direkt am Meer, holte ihr Spitzenkandidat Luca Marsella
stolze 9, in einigen Wohngegenden gar 20 Prozent. Bei den letzten Wahlen
2013 war es noch 1 Prozent.
Dumm bloß, dass auch ein gewisser Roberto Spada zur Wahl von Casapound
Italia aufgerufen hatte – und dass er zuvor bei diversen Veranstaltungen
der Partei Arm in Arm mit einem lächelnden Marsella posiert hatte. Spada
ist nämlich nicht irgendwer in Ostia. Er betreibt ein Sportcenter,
bekannter aber ist er als Mitglied des kriminellen Familienclans Spada, der
seit Jahren in Konkurrenz mit anderen Clans im Stadtbezirk agiert.
Ebendieser Roberto Spada erregte nun Aufsehen, als er nach dem ersten
Wahlgang einem TV-Reporter per Kopfstoß das Nasenbein brach. Der Reporter,
Daniele Piervincenzi vom öffentlich-rechtlichen Sender Rai TV hatte Spada
mit Fragen nach den Verbindungen zwischen den Spadas und Casapound genervt.
Nach dem Angriff verfolgte Spada Piervincenzi noch – gefilmt vom TV-Team –
mit einem Schlagstock quer über die Straße.
Spada sitzt seitdem in Haft, und das wird zum Problem für Casapound. Spada
sei „keiner von uns“, hieß es sofort in einer Presseerklärung der
Neofaschisten. Aber die Fotos des Spitzenkandidaten mit dem Schläger waren
in der Welt. Dumm gelaufen, nimmt Casapound doch für sich in Anspruch, die
„Faschisten des dritten Jahrtausends“ zu repräsentieren. Faschisten also,
die von Wölfen zu Schäflein mutiert sein wollen, die vorgeblich der Gewalt
abgeschworen haben, sich an die Regeln der Demokratie halten wollen.
## Irrtum und Horror
Ein Problem haben jedoch auch Italiens Medien. Wie mit den Rechtsradikalen
umgehen? Sie schneiden oder sie stellen? Keine dieser Fragen war in den
letzten Jahren wirklich Gegenstand der Auseinandersetzung. Ganz
selbstverständlich wird Simone Di Stefano, einer der Casapound-Anführer, in
Talkshows eingeladen, ganz selbstverständlich begeben sich Journalisten zu
Debatten in den Sitz der Partei, einen besetzten Palazzo gleich hinter Roms
Hauptbahnhof.
Einer, der kürzlich dort war, ist Enrico Mentana, renommierter
TV-Journalist und Anchorman beim Privatfernsehen. Zum Auftakt seines
Austauschs mit Di Stefano im September erinnerte Mentana daran, dass er
Sohn einer jüdischen Mutter ist, dass Mussolinis Rassegesetze von 1938 ein
„errore e orrore“, ein Irrtum und ein Horror, seien.
Di Stefano konnte da nur beipflichten, legte sogar noch eins drauf, sprach
von einem „sehr gravierenden Irrtum“, gravierend aus seiner Sicht aber
nicht so sehr wegen Auschwitz, sondern weil Mussolini so „den
konsolidierten Schulterschluss zwischen Faschismus und Juden“ zerstört
habe. Und dann wollte Di Stefano noch „in den Kontext einordnen“. Seien
nicht damals alle Rassisten gewesen, angefangen bei den USA mit ihrer
Segregation?
## Aus den Trümmern des Mussolinifaschismus
Die Rassegesetze waren damit schnell beiseitegelegt, danach wurde es rundum
erfreulich für Casapound. „Wer sich im Rahmen der Demokratie präsentiert,
verdient, von allen voller Respekt angehört und behandelt zu werden“,
verkündete Nachrichtenmann Mentana.
Man mag Mentana zugutehalten, dass Italien schon seit Jahrzehnten Probleme
mit den Aus- und Eingrenzungen im demokratischen Diskurs hat. Gewiss, die
Italienische Republik entstand nach 1945 auf den Trümmern des
Mussolinifaschismus, und ihr Gründungsmythos war der Partisanenkrieg von
1943–45 gegen Nazis und Faschisten, ihren Gründungskonsens teilten
Kommunisten, Christdemokraten und Rechtsliberale, die gemeinsam an der
Nachkriegsverfassung schrieben. „Draußen“ aus dem Diskurs war dagegen die
neofaschistische Partei Movimento Sociale Italiano.
Im Kalten Krieg war dann die Kommunistische Partei der Hauptfeind.
Plötzlich reichte die inoffizielle Front von den verfassungstreuen Rechten
bis ganz selbstverständlich auch zu den Neofaschisten. Als 1960 ein
Politiker der Christdemokraten eine Regierung mit Unterstützung der
Neofaschisten bilden wollte, gingen Hunderttausende Menschen im ganzen Land
auf die Straße. Die Regierung schickte die Polizei gegen die Kundgebungen,
es gab Tote – die Christdemokraten machten einen Rückzieher.
## Anything goes
In den 80er Jahren trieben dann die Sozialisten die demokratische
Legitimierung der Faschisten voran. Schließlich hatten beide einen
gemeinsamen Feind: die Kommunistische Partei. Aber auch in der
italienischen Linken wurde es damals schick, stramm rechtes Gedankengut zu
studieren.
Man diskutierte mit Vertretern der Nouvelle Droite, der französischen Neuen
Rechten, und ihren italienischen Epigonen. Carl Schmitt sahen viele Linke
als Pflichtlektüre, der in Deutschland seit 1986 intellektuell mit dem
Bannstrahl belegte Ernst Nolte wurde in Italien weiter auch von eher linken
Magazinen interviewt.
1994 gewann dann der Neupolitiker Silvio Berlusconi an der Seite der
rechtspopulistischen Lega Nord und der Faschisten die Wahlen; vier
Mitglieder des Movimento Sociale Italiano wurden Minister.
Spätestens seitdem galt in Italiens politischem Diskurs: Anything goes. Zu
rechtfertigen hatten sich da schon eher die, die mit Faschisten nicht
diskutieren mochten. Zum Beispiel der linksradikale Senator Franco
Turigliatto.
Turigliatto war während des Wahlkampfs 2008 zu Gast in Italiens wohl
wichtigstem Polit-Talk, „Porta a Porta“ auf Rai 1. Turigliatto erhob sich
vom Stuhl, als der faschistische Politiker Roberto Fiore das Studio betrat,
und informierte den Moderator Bruno Vespa in freundlich-bestimmtem Ton:
Angesichts der Präsenz Fiores müsse er jetzt gehen.
## „Weder homophob noch rassistisch“
Daraufhin Moderator Vespa: „Mit dieser Szene tun Sie sich keine Ehre an,
Ihr Verhalten ist zutiefst inkorrekt!“ Zwei Jahre vorher schon hatte Vespa
die Duce-Enkelin Alessandra Mussolini zu Gast, die in seiner Sendung der
Trans-Aktivistin (und kommunistischen Parlamentarierin) Vladimir Luxuria
den Merkspruch mit auf den Weg gab: „lieber Faschistin als Schwuchtel!“
Solche Entgleisungen verkneifen sich hingegen die Spitzenleute von
Casapound. „Wir sind weder homophob noch rassistisch“, erklärten sie
wiederholt. Ihre Aktivisten zogen dann allerdings im letzten Sommer in
Ostia los, um immigrierte Strandverkäufer zu vertreiben. „Italiener
zuerst!“ – das gilt auch, wenn die Casapound-Leute vor
Flüchtlingsunterkünfte ziehen, um dort den Volkszorn anzuheizen.
Vielen Journalisten ist das egal. Sogar der linke TV-Talker Corrado
Formigli war bei Casapound zum gepflegt-zivilisierten Austausch zu Gast. Er
habe den Eindruck, sagte er, dass die Faschisten die „Spielregeln der
Demokratie akzeptieren“.
Dass es auch anders geht, machte dagegen die Journalistin Lucia Annunziata
vor. Auch sie hatte den Casapound-Anführer Di Stefano in ihre Sendung
eingeladen, kam dort aber auf die lange Liste der in den letzten Jahren
wegen Gewalttaten gegen politische Gegner verhafteten Casapound-Anhänger zu
sprechen.
Auch so kann man „in den Kontext einordnen“.
30 Nov 2017
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
Rechtsextremismus
Benito Mussolini
Nationalismus
Lesestück Recherche und Reportage
Pressefreiheit in Europa
Italien
Italien
Italien
Schweiß
Schwerpunkt Flucht
Italien
Italien
Lega Nord
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tote und lebendige Faschisten in Rom: Alte Kameraden
Das bürgerliche Lager in Italien hat sich nie nach rechts abgegrenzt. Das
zeigt nicht zuletzt der jüngste Aufmarsch gegen die neue Regierung in Rom.
Nach neofaschistischen Aktionen in Italien: Tausende demonstrieren in Como
Am Samstag gingen in der italienischen Stadt tausende Menschen gegen Rechts
auf die Straße. Anlass waren Umtriebe miteinander konkurrierender
Neofaschisten.
Rechtsextreme in Italien: Faschisten-Mob vor Zeitungsredaktion
Nichts regt Italiens Faschisten mehr auf als der Gesetzentwurf für ein
neues Staatsbürgerrecht. Und Zeitungen, die positiv darüber berichten.
Medienkampagne gegen Genderdozentin: Unter dem Druck der Blätter
Eine Schweizer Soziologin schreibt in ihrem Blog, Medien sollten nicht mehr
über SVP-Politiker berichten. Sie gerät ins Visier rechter Zeitungen.
Flüchtlinge im Mittelmeer: Mehr als 30 Tote vor Libyen
Am Samstag starben erneut Menschen beim Versuch, nach Italien zu gelangen.
Hunderte wurden zurück in die unmenschlichen Auffanglager in Libyen
verbracht.
Verhandlung vor Menschengerichtshof: Berlusconi gegen Italien
Der frühere Regierungschef kämpft vor dem Gericht gegen sein Ämterverbot.
Er will bei der nächsten Wahl sein Comeback geben.
Bundestagsgutachten über Seenotretter: Italiens Kodex ist völkerrechtswidrig
Ein neues Bundestagsgutachten weist darauf hin, dass Menschen in Seenot
gerettet werden müssen. Italien dürfe den Zugang zu Nothäfen nicht einfach
verweigern.
Proteste gegen die Lega Nord in Neapel: Italiens Umgang mit Ultrarechten
Bei einer Demonstration gegen die Lega Nord kommt es zu Ausschreitungen.
Ein gefundenes Fressen für den Chef der Rechts-Partei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.