# taz.de -- Naturschutz-Projekt für Geflüchtete: Biotop für Integration | |
> Ein Naturschutz-Projekt in Dresden bietet Geflüchteten die Möglichkeit | |
> sozialer Teilhabe – und leistet einen Beitrag zur biologischen Vielfalt. | |
Bild: Ort des Projekts: Äußerer Matthäusfriedhof in Dresden | |
DRESDEN taz | Naturschutz ist elitär. Noch immer. Menschen, die sich | |
hierzulande für Naturschutz interessieren oder sich aktiv daran beteiligen, | |
haben meist einen relativ hohen deutschen Bildungsabschluss und sind | |
überdurchschnittlich wohlhabend. Geflüchtete passen eher selten in diese | |
Kategorie. Das sieht auch der junge kurdische Syrer Ismail I. so: | |
„Naturschutz ist ein Privileg.“ | |
Amt, Arzt, Sprache, Wohnung: Es gibt jede Menge Hilfsangebote für | |
Geflüchtete aus der Bevölkerung. Was oft fehlt, ist die Integration in | |
soziale Kontexte. Im Bereich Naturschutz fehlen Angebote fast völlig. | |
Einzig das Umweltzentrum (UZ) bietet in Kooperation mit dem Sächsischen | |
Umschulungs- und Fortbildungswerk (SUFW) Geflüchteten die Möglichkeit, sich | |
unter anderem mit Biotop-Pflegemaßnahmen aktiv im Naturschutz zu | |
engagieren. Gegründet wurde das Projekt 2014 vor allem als Reaktion auf den | |
Beginn der Pegida-Bewegung. | |
Der Hauptort des Geschehens ist etwas gewöhnungsbedürftig: der „Äußere | |
Matthäusfriedhof“. Er liegt in Dresden-Friedrichstadt und ist seit 30 | |
Jahren entwidmet. Dort befinden sich 700 Kriegsgräber aus dem Ersten und | |
Zweiten Weltkrieg, die unter Denkmalschutz stehen und frei zugänglich sein | |
müssen – und nur diese. Ein großer Teil des Areals hingegen wurde vom UZ | |
Dresden in ein Biotop verwandelt, das die innerstädtische Artenvielfalt | |
erhält und weiter fördert. So wurde etwa eine bei einem Sturm umgefallene | |
Pappel nicht beseitigt, sondern an eine Stelle gebracht, wo das Totholz | |
Lebensraum für viele Insektenarten bietet. | |
Die Verfügbarkeit von Flächen, die man in naturnahe Lebensräume umgestalten | |
kann, ist gerade in Dresden ein großes Problem. Der Friedhof bietet deshalb | |
eine seltene Möglichkeit im urbanen Raum. Eine noch seltenere Möglichkeit | |
bietet sich hier allerdings den Geflüchteten. Sie führen Besucher über den | |
Friedhof und erläutern nicht nur Biodiversität und ökologische | |
Zusammenhänge, sondern berichten auch über die Geschichte der Kriegsgräber. | |
Viele von ihnen sind vor einem Krieg aus ihrer Heimat geflohen, nun pflegen | |
sie Gräber von Menschen, die im Krieg gefallen sind. Das Gespräch über die | |
persönlichen Schicksale der Geflüchteten ist ein wesentlicher Teil der | |
Führung. | |
## Streuobstwiesen anlegen | |
Henry Seifert vom SUFW leitet „Pflege und Erhalt des ehemaligen | |
Matthäusfriedhofs“. „Hinter dem Projekt verbirgt sich so viel mehr, als der | |
sperrige Name vermuten lässt“, betont der Landschaftsarchitekt. Möglich | |
machen das die vielen im UZ ansässigen Umweltverbände und -gruppen wie | |
Grüne Liga oder Nabu. | |
Neben den Einsätzen auf dem Friedhof legen die Geflüchteten auch | |
Streuobstwiesen auf Steilhängen rund um Dresden an und pflegen und beernten | |
sie. Darüber hinaus entfernen sie auch Neophyten wie Stauden-Knöterich oder | |
Wasserpflanzen aus Fließgewässern, so genannte „invasive Arten“, die den | |
jeweiligen Ökosystemen schwer zu schaffen machen. Es handelt sich in beiden | |
Fällen „um ausländische Pflanzen, die sich hier stark verbreitet haben“, | |
erzählt Seifert mit einem Schmunzeln, „und die werden jetzt von Ausländern | |
entfernt“. | |
Exkursionen zu Unternehmen, die Mülltrennung und -recycling, | |
Energiegewinnung oder Wasseraufbereitung betreiben, werden ebenfalls | |
angeboten. Dort werden nicht nur die Abläufe erläutert, sondern auch die | |
jeweilige Relevanz für den Umwelt- und Naturschutz diskutiert. Bei einem | |
Besuch der Stadtentwässerung Dresden schaute sich die Gruppe erst | |
mechanische, dann biologische Reinigungsprozesse an, an deren Ende | |
Trinkwasser entstand. Als jeder ein Glas davon bekommen hatte, fragte ein | |
Inder verwundert, warum denn das Abwasser gereinigt würde, ob wir denn kein | |
Grundwasser hätten, erzählt Seifert. | |
Viele dieser umweltrelevanten Betriebe suchen neue Mitarbeiter. Die | |
Geflüchteten werden aktiv ermuntert, sich zu bewerben. Bei der Umsetzung | |
helfen die jeweiligen Fachleute sowie die im Projekt angestellte | |
Sozialarbeiterin, die auch für sonstige Alltagsprobleme zur Verfügung | |
steht. Ein Afghane vom Friedhofsprojekt arbeitet jetzt bei der | |
Stadtentwässerung Dresden. Allerdings schränkt Seifert ein: „Diese Fälle | |
sind so selten, dass sie es sogar in die Zeitung schaffen.“ | |
## 83 Cent pro Stunde | |
Die Asylanträge der zwölf bis 15 Geflüchteten pro Jahr, die sich an den | |
Aktionen beteiligen, werden noch geprüft, weshalb sie am ersten | |
Arbeitsmarkt nicht teilhaben können. Die Einsätze werden deshalb ungefähr | |
wie eine „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung“ (AGH-MAE) – | |
besser bekannt als Ein-Euro-Job – vergütet. Allerdings bekommen die | |
Geflüchteten nur 83 Cent pro Stunde. | |
Obwohl der Titel „Pflege und Erhalt des ehemaligen Matthäusfriedhofs“ den | |
Großteil der Aktivitäten nicht mal erahnen lässt, ist er doch nicht so | |
schlecht. Die Gelder müssen nämlich jährlich erneut beim Sozialamt | |
beantragt werden. Und die Chancen für den langjährigen Fortbestand stehen | |
gut, denn am 13. Februar – dem Tag, als Dresden 1945 bombardiert wurde – | |
kommt der Bürgermeister auf den Friedhof und legt einen Kranz an den | |
Kriegsgräbern nieder – und das wird er wohl auch in Zukunft tun. | |
Sebastian Schmidt, Sachgebietsleiter im Dresdner Umweltamt, findet, dass | |
das „Engagement von Flüchtlingen im Naturschutz eine positive | |
Integrationsmaßnahme sein kann“. Sein Amt hingegen hat bis jetzt noch keine | |
Schritte unternommen, um solche Maßnahmen umzusetzen. | |
In vielen Herkunftsländern spielt Naturschutz nur eine sehr untergeordnete | |
Rolle. Die Menschen haben oft unmittelbar existenzbedrohende Probleme. Das | |
führe zu Beginn oft zu zu Interessenskonflikten, erzählt Seifert. Fragen | |
wie: „Warum schützen die hier einzelne Pflanzen und Käfer?“ oder „Haben… | |
nichts Besseres zu tun?“, höre er bei neuen TeilnehmerInnen anfangs häufig. | |
Eine nachvollziehbare Perspektive, die sich im Laufe der Zeit bei den | |
meisten ändere. | |
Aber es gibt auch andere Beispiele. So hat ein Kameruner, der nach | |
Deutschland kam, nachdem er einige Semester Ökologie und nachhaltige | |
Landwirtschaft studiert hat, im Umweltzentrum die Möglichkeit gefunden, | |
sich über diese Themen auszutauschen und sich aktiv zu beteiligen. | |
Neben den Umweltbildungs- und Naturschutzaspekten betonen alle Beteiligten | |
die Wichtigkeit der sozialen Komponente. Es geht um Kontakt, Austausch, | |
Miteinander und Normalität. Die Einbindung in die deutsche | |
Lebenswirklichkeit werde von den Geflüchtete als sehr deutliche Steigerung | |
der Lebensqualität wahrgenommen, freut sich Seifert. Hani Mughrabi kam 2015 | |
nach Dresden. Der Libanese beschreibt das Projekt als Anfang seiner | |
Integration. Es sei: „Die Tür zum Tor.“ | |
31 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Patrick Loewenstein | |
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