# taz.de -- Nationalismus in Bosnien-Herzogowina: Angst vor neuem Krieg | |
> Der Chef der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, rüttelt an den | |
> Grundfesten des Staats Bosnien-Herzegowina. Jetzt greift er das | |
> Verfassungsgericht an. | |
Bild: Milorad Dodik verfolgt eine langfristige Strategie, dazu gehört auch ein… | |
SARAJEVO taz | [1][Milorad Dodik], das serbische Mitglied im | |
Staatspräsidium Bosnien und Herzegowinas, hat vergangene Woche die Existenz | |
des eigenen Staates infrage gestellt. „Die politische Krise im Land wird | |
erst verschwinden, wenn Bosnien verschwindet“, erklärte der starke Mann der | |
serbischen Teilrepublik Republika Srpska laut Euronews vom 21. Februar nach | |
einem Treffen mit serbischen Nationalisten. | |
Die Teilung Bosnien und Herzegowinas in die beiden Entitäten Republika | |
Srpska und Föderation von Bosnien und Herzegowina geht auf das Abkommen von | |
Dayton vom Dezember 1995 zurück, das den Krieg beendete. | |
Es ist schon ein einmaliger Vorgang in Europa, dass mit Dodik das Mitglied | |
des höchsten Gremiums eines Staates erklärt, den Staat zerstören zu wollen, | |
den er selbst repräsentiert. Dass er einen wichtigen Verbündeten, den | |
Vorsitzenden der kroatischen Nationalpartei HDZ-BiH in Bosnien, Dragan | |
Čović, gefunden hat, lässt seine Position nicht mehr nur als reine Rhetorik | |
erscheinen. | |
Dodik und Čović haben sich zusammengeschlossen und am 13. Februar ein | |
Ultimatum gestellt. Dodik fordert, dass innerhalb von 60 Tagen das | |
Verfassungsgericht eine Entscheidung zurücknimmt, die Landflächen in | |
Staatsbesitz betrifft. In dem Urteil wird das Staatsland als Besitz des | |
Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina definiert, Dodik will jedoch dieses | |
Land in den Besitz der Republika Srpska überführen. | |
## Nur ein Manöver | |
Ihn ärgert die Unabhängigkeit des Gerichts und vor allem die Anwesenheit | |
ausländischer Richter. Im Verfassungsgericht wirken neben sechs lokalen | |
Richtern – je zwei aus den drei Volksgruppen – auch drei vom | |
Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg bestellte internationale Juristen | |
mit. Die müssten, laut Dodik, verschwinden. | |
Es geht aber nicht nur um die Kontrolle über die Justiz. Der in Belgrad | |
lebende Oppositionelle Čedomir Jovanović erklärte in der Bosnia Daily vom | |
19. Februar, dies sei alles nur ein Manöver, um an das Staatsland zu | |
gelangen, um es profitabel für die herrschende Nationalistenclique | |
privatisieren zu können. Ihm zufolge geht es den serbischen Nationalisten | |
nicht nur um die Nation, sondern auch ums Geld. | |
Für den Kroatenführer Dragan Čović geht es auch um eine Machterweiterung. | |
Er will das Wahlgesetz in der kroatisch-bosniakischen Föderation, dem | |
zweiten Teilstaat Bosnien und Herzegowinas ändern, weil in der Föderation | |
auch Nichtkroaten das kroatische Mitglied im Staatspräsidium wählen können. | |
## Verbindungen zu Russland | |
So ist das jetzige kroatische Mitglied im Staatspräsidium, Ivo Komšić, kein | |
Nationalist, sondern ein eher im linken Spektrum agierender kroatischer | |
Politiker mit starken Verbindungen zur Zivilgesellschaft. | |
Čović will aber die absolute Kontrolle über die Kroaten in Bosnien und | |
Herzegowina. Er strebt zudem die territoriale Teilung der | |
bosniakisch-kroatischen Föderation an, die kroatisch dominierten Kantone | |
der Föderation sollten sich zu einer „Dritten Entität“ zusammenschließen. | |
Schon während des Krieges 1992–1995 hatten die Kroaten den Parastaat | |
„Hereceg-Bosna“ aufgebaut. Dodik sagte Čović im Februar Unterstützung f�… | |
diesen Plan zu. | |
Beide Politiker haben starke Verbindungen zu Russland etabliert. Čović | |
besuchte vergangene Woche Moskau, in der serbischen Teilrepublik sind | |
russische Militärberater aktiv. Präsident Wladimir Putin kann, so sind sich | |
diplomatische Beobachter einig, bei Bedarf den Konflikt im Lande anheizen. | |
Das weckt Widerstand bei den westlichen Mächten. Der US-Botschafter in | |
Bosnien und Herzegowina, Eric Nelson, erklärte am 19. Februar gegenüber | |
Dodik, dass die Grenzen und Integrität des Staates Bosnien und Herzegowina | |
im Friedensvertrag von Dayton 1995 festgeschrieben seien. | |
## Appell an Brüssel | |
Dodik steht in den USA auf der Liste „unerwünschter Personen“. Die | |
Botschafter des PIC (Peace Implementation Council), an dem alle | |
Garantiemächte für Bosnien und Herzegowina – auch die UNO – beteiligt sin… | |
stützten am 19. Februar in einer Resolution klar die Position des | |
Verfassungsgerichts, nur Russland nicht. | |
Die Politik der Europäischen Union sei aber zu schwach, beklagt der | |
ehemalige Hohe Repräsentant Christian Schwarz-Schilling und fordert eine | |
klare Postion Brüssels. Am Montag hat die „Quint“ | |
(Großbritannien,Frankreich, Italien, Deutschland und USA), die schon im | |
Krieg aktiv war, auf diese Forderung reagiert und Dodik scharf gewarnt, das | |
Abkommen von Dayton weiter zu unterhöhlen. | |
Alles dies hat bei der Bevölkerung Bosniens Ängste vor einem neuen Krieg | |
ausgelöst. Haris Silajdžić, der ehemalige Außenminister während des Krieges | |
der 90er Jahre, erinnerte unlängst gegenüber der taz daran, dass die | |
Position Dodiks und Čović' die Kriegsziele der Nationalisten von damals | |
wiederholt. | |
In Bosnien und Herzegowina ist den meisten Menschen bewusst, dass Dodik | |
einer langfristigen Strategie folgt. [2][Für die Nationalisten Serbiens und | |
auch Kroatiens] hat die multinationale Gesellschaft Bosnien und | |
Herzegowinas schon lange keine Existenzberechtigung mehr. | |
27 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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