# taz.de -- Nahost-Krisendiplomatie: Frostiger Empfang in Ankara | |
> US-Außenminister Blinken trifft auf Nahost-Krisentour seinen türkischen | |
> Ministerkollegen. Präsident Erdoğan verzichtete – er war nicht da. | |
Bild: Vor dem Abflug: US-Außenminister Blinken am 6. November auf dem Flughafe… | |
taz | Antony Blinken ist auf Krisendiplomatie-Tour. [1][Der | |
US-Außenminister versucht zurzeit, von Zypern über Jordanien bis zum Irak | |
Unterstützung für die amerikanischen Bemühungen einer humanitären | |
Feuerpause zu gewinnen]. Seit Donnerstag ist er in der Region unterwegs. | |
Auf der letzten Station seiner Reise war Blinken am Montag in der | |
türkischen Hauptstadt Ankara. Doch statt mit dem türkischen Präsidenten | |
Recep Tayyip Erdoğan zu sprechen, musste er mit seinen | |
Außenministerkollegen Hakan Fidan vorliebnehmen. | |
Erdoğan hatte schon am Sonntag öffentlich mitgeteilt, er werde Blinken | |
nicht empfangen. Er sei zurzeit auf einer Reise am Schwarzen Meer und | |
gedenke nicht, für den US-Außenminister extra nach Ankara zu kommen. Ein | |
gezielter Affront, der dazu führte, dass auch sein Gespräch mit Hakan Fidan | |
wohl im Austausch von bekannten Positionen bestand. Blinken sagte im | |
Anschluss, er gehe davon aus, dass es in den nächsten Tagen mehr humanitäre | |
Hilfe für die Menschen im Gazastreifen geben werde. Mit Zypern sei ein | |
humanitärer Schiffskorridor verabredet worden. Jordanien habe Hilfsgüter | |
aus der Luft über Gaza abgeworfen. | |
Erdoğan fordert seit dem Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen | |
einen sofortigen Waffenstillstand. Eine humanitäre Feuerpause, wie die USA | |
sie wollen, reicht ihm bei Weitem nicht. Genau wie der jordanische König | |
und der Ministerpräsident des Irak verurteilt Erdoğan den massiven Angriff | |
der israelischen Armee auf den Gazastreifen als „Kriegsverbrechen“. Nachdem | |
Erdoğan sich unmittelbar nach dem Massaker der Hamas an israelischen | |
Zivilisten am 7. Oktober noch als Vermittler auch bei der Befreiung der aus | |
Israel entführten Geiseln angeboten hatte, hat er nach und nach seine | |
Position radikalisiert. Er unterstützt nun mehr oder weniger offen die | |
Hamas. | |
[2][In einer Rede nannte er die Hamas neulich „Freiheitskämpfer“], von den | |
israelischen Opfern war da keine Rede mehr. Vielleicht merkte Erdoğan, dass | |
er als Vermittler keine Rolle spielen kann, ohnehin lehnt Israels | |
Premierminister Netanjahu das Angebot der Hamas, alle Geiseln gegen alle | |
rund 6.000 palästinensischen Gefangenen auszutauschen, kategorisch ab. | |
Erdoğan ist nun im Kampfmodus gegen Israel und die USA als dessen | |
wichtigster Unterstützer. Schon vor Tagen hatte er angekündigt, | |
Ministerpräsident Netanjahu „nie mehr“ sprechen zu wollen. Die | |
diplomatischen Beziehungen zu Israel wolle er aber nicht gänzlich | |
abbrechen. Zwar sind sowohl der israelische Botschafter aus Ankara als auch | |
der türkische Botschafter aus Tel Aviv längst zurückgerufen worden, doch | |
ein türkischer Geschäftsträger ist nach wie vor in Israel. | |
## Protestmarsch zu Nato-Luftwaffenstützpunkt | |
Mittlerweile ist Erdoğan auch innenpolitisch unter Druck. Zahlreiche | |
islamistischen Gruppen, die alle zum Unterstützerumfeld Erdoğans gehören, | |
demonstrieren längst unter der Parole „Tod Israel“. Sein Koalitionspartner | |
Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP, forderte gar, | |
türkische Soldaten an die Seite von Hamas nach Gaza zu schicken. Aus | |
Protest gegen den Besuch von Antony Blinken organisierte die islamische | |
Wohlfahrtsorganisation IHH am Wochenende einen türkeiweiten Marsch zum | |
Nato-Luftwaffenstützpunkt İncirlik, eines der wichtigsten Drehkreuze der | |
US-Luftwaffe für den Nahen Osten. | |
International als Organisation bekannt wurde die IHH, als sie 2010 eine | |
Schiffsflotille organisierte, die die israelische Blockade des | |
Gazastreifens durchbrechen wollte. Die Schiffe wurde von der israelischen | |
Marine vor Gaza, aber noch in internationalen Gewässern, gewaltsam | |
gestoppt, zehn türkische Aktivisten auf dem Führungsschiff „Mavi Marmara“ | |
wurden getötet. Die Aktion bekam vor 13 Jahren weltweite Aufmerksamkeit und | |
war mit ein Hauptgrund für den zeitweiligen Abbruch der diplomatischen | |
Beziehungen zwischen der Türkei und Israel. | |
Jetzt wollte die IHH mit ihrem Marsch auf İncirlik Ähnliches wiederholen. | |
Tatsächlich versuchten am Sonntag Tausende islamistische Demonstranten, den | |
Zaun rund um den Militärflughafen zu durchbrechen. Die Polizei musste | |
Wasserwerfer und Tränengas einsetzen. Zeitgleich versuchten IHH-Anhänger am | |
Sonntag und Montag, US-Einrichtungen in Ankara zu blockieren und zu | |
belagern. Vor diesem Hintergrund war es nicht verwunderlich, dass er sich | |
lieber nicht persönlich mit dem amerikanischen Außenminister blicken lassen | |
wollte. | |
## Die Türkei und die USA haben angespanntes Verhältnis | |
Die Türkei hat aber auch jenseits des Krieges zwischen Israel und der Hamas | |
noch weitere tiefgreifende Konflikte mit ihrem Nato-Partner USA. Seit | |
Jahren beklagt die Türkei die amerikanische Unterstützung für die Kurden in | |
Syrien, die gemeinsam mit US-Truppen den IS bekämpft haben. Ankara ist der | |
Meinung, die kurdisch-syrischen Milizen seien ein direkter Ableger der | |
PKK-Separatisten, gegen die die türkische Armee seit nunmehr fast 30 Jahren | |
kämpft. | |
Darüber hinaus hängt der Nato-Beitritt Schwedens immer noch an einem | |
positiven Votum des türkischen Parlaments. Dieses zögert Erdoğan zum Ärger | |
Washingtons hinaus, [3][weil der US-Kongress nach wie vor nicht der | |
Lieferung von Kampfjets des Typs F-16 an die türkische Armee zugestimmt | |
hat]. Mit seinem Konfrontationskurs gegen die USA und den Westen insgesamt | |
entfernt Erdoğan die Türkei allerdings immer mehr von den übrigen | |
Nato-Mitgliedern. Seine Weigerung, Antony Blinken zu empfangen, wird nicht | |
dazu beigetragen haben, die Beziehungen zu verbessern. | |
6 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!5970802 | |
[2] /Erdoans-Aeusserung-zur-Hamas/!5968921 | |
[3] /Tuerkischer-Aussenminister-in-den-USA/!5909917 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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