| # taz.de -- Nachruf auf Ornette Coleman: Solo für eine einsame Frau | |
| > Der afroamerikanische Saxofonist Ornette Coleman befreite den Jazz vom | |
| > Zwang zur Repräsentation. Und leitete 1958 eine neue Zeit ein. | |
| Bild: Ornette Coleman im Jahr 2007. | |
| Berlin taz | Die Wiedererkennbarkeit eines individuell geformten Tons ist | |
| für Jazz-Enthusiasten so essenziell wie das Mundstück für die Saxofonisten. | |
| Bei Ornette Coleman ist dieser Lustgewinn bereits in Sekundenbruchteilen | |
| gegeben, noch bevor man vom Hinhören sprechen könnte. Sein Ton auf dem | |
| Altsaxofon klingt einzigartig, sprunghaft und lyrisch zugleich, sodass wir | |
| uns sofort inmitten der Musik wähnen. Völlig unabhängig von Vorkenntnissen | |
| oder Konzerterfahrungen. | |
| Im über 50 Jahre währenden Schaffen von Ornette Coleman gibt es zahlreiche | |
| Höhepunkte, etwa sein zum Standard gewordenes Stück „Lonely Woman“ vom | |
| Album „The Shape of Jazz to Come“ (1959). Trotz gewagt anmutender | |
| Eskapaden, ungewöhnlicher Besetzungen und kühner Klangexperimente ist | |
| Coleman aber für sein Gesamtwerk zu charakterisieren. Er ist dabei stets | |
| ein nahbarer Musiker geblieben. Grund dafür ist Colemans unbeirrbares | |
| Vertrauen in die Emotion als Schlüssel zum Klang. | |
| Am 9. März 1930 kommt er in Forth Worth,Texas, zur Welt. Als | |
| Heranwachsender lauscht er lokalen R&B-Combos, in denen er ab 1946 auch | |
| spielt. Zu jener Zeit dringt der neue, atemlose Bebop aus New York bis nach | |
| Texas und Coleman bringt sich diesen Stil durchs Nachspielen aller Solos | |
| von Charlie Parker selbst bei. | |
| Eines Abends denkt er beim Spielen nicht mehr an Tonarten und Akkorde, | |
| sondern folgt dem, was er dabei hört und fühlt. Er wird gefeuert und zieht | |
| daher nach Los Angeles, wo er als Fahrstuhlführer arbeitet, die Dichterin | |
| und Sängerin Jayne Cortez heiratet und gelegentlich bei Jam-Sessions mit | |
| einsteigt. | |
| ## „Harmolodics“ | |
| Die Schlagzeuger Ed Blackwell und Billy Higgins, der Trompeter Don Cherry | |
| und der Bassist Charlie Haden lassen sich als erste darauf ein, dass | |
| Coleman seine Stücke ganz anders spielt, als er sie aufgeschrieben hat. Ihr | |
| Debütalbum, „Something Else!!!! The Music of Ornette Coleman“, erscheint | |
| 1958. Drei weitere Alben folgen, bevor Coleman 1959 nach New York geht und | |
| dort mit seinem Quartett für Aufsehen sorgt. | |
| Eine ihrer Sessions wird zur Zeitenwende und sorgt bis heute für | |
| Missverständnisse: „Free Jazz“, 1960 mit zwei Schlagzeugern, zwei | |
| Bassisten, zwei Trompetern, Coleman und seinem Zeitgenossen Eric Dolphy auf | |
| dem Altsaxofon eingespielt, ist zwar eine bis dato unerhörte Improvisation | |
| im Kollektiv, in der Besinnung auf einen gemeinsamen Puls aber auch wieder | |
| frei für die Rückbesinnung auf eine Tradition aus den Anfängen des Jazz in | |
| New Orleans. | |
| Für sein Bekenntnis zum instinktiven Gefühl von Klang, der nicht durch | |
| Wissenserwerb oder als Stilistik entsteht, – Melodien können darin | |
| unabhängig von Formen wachsen – , prägt Coleman den Begriff „Harmolodics�… | |
| In den Siebzigern spielt er auch Geige und Trompete und lässt seinen | |
| zehnjährigen Sohn Denardo als Schlagzeuger bei Aufnahmen, und ab 1975 im | |
| Free-Funk-Ensemble Primetime mitwirken. | |
| So wenig Coleman zeitlebens darauf gibt, zu beeindrucken und sein Image zu | |
| pflegen, so sehr weist sein Streben, menschliches Wissen aus der | |
| Repräsentation zu befreien, über sich selbst hinaus. Diese undogmatische | |
| Haltung zur Kunst wird fehlen – nicht nur im zeitgenössischen Jazz. Am | |
| Donnerstag ist Ornette Coleman im Alter von 85 Jahren in New York an | |
| Herzversagen gestorben. | |
| 12 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Franziska Buhre | |
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