# taz.de -- Nach dem Brand im Lager Moria: Nicht auf Europa warten | |
> Rund um Moria verstärkt Griechenland die Polizeipräsenz. Kommunen fordern | |
> Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland. Seehofer will sich äußern. | |
Bild: Lesbos am Donnerstag: Frauen stehen an, um Essen zu erhalten | |
ATHEN/BERLIN dpa/afp | Angesichts wachsender Spannungen nach dem | |
[1][Großbrand] im Registrierlager Moria hat die griechische Regierung die | |
Polizeikräfte auf der Insel Lesbos verstärkt. Wie das griechische Fernsehen | |
zeigte, kamen am Freitagmorgen mehrere Busse mit zusätzlichen | |
Bereitschaftspolizisten sowie zwei Wasserwerfer an Bord einer Fähre in der | |
Inselhauptstadt Mytilini an. | |
Nach dem Brand herrschen auf der Insel chaotische Zustände. Mehr als 12.000 | |
Geflüchtete verbrachten die dritte Nacht in Folge im Freien, oft mit | |
unzureichender Nahrung. Viele der [2][Obdachlosen] waren Familien mit | |
kleinen Kindern, wie Reporter*innen der Nachrichtenagentur AFP | |
beobachteten. Viele von ihnen hatten nicht einmal richtige Decken. „Das ist | |
Europa?“, fragte die Syrerin Fatma al-Hani, während sie ihren zweijährigen | |
Sohn an sich klammerte. „Ich habe genug, ich will, dass mein Baby in | |
Frieden aufwächst“, sagte sie unter Tränen. | |
Die Verstärkung der Polizeieinheiten richtet sich aber auch an die | |
zunehmend aufgebrachten Inselbewohner*innen. Viele, darunter fast alle | |
Bürgermeister, wollen nach dem Brand in Moria keine geflüchteten Menschen | |
mehr auf der Insel haben. „Sie müssen alle weg. Kein Lager mehr auf | |
Lesbos“, erklärte der Gouverneur der Region Nordägäis, Kostas Moutzouris, | |
im Fernsehen. Angst herrscht nicht zuletzt, weil mindestens 35 der Menschen | |
aus dem Camp positiv auf das Coronavirus getestet waren und die | |
Inselbewohner*innen einen unkontrollierten Ausbruch des Virus befürchten. | |
Anwohner*innen blockieren immer wieder Zufahrtsstraßen zu jenen Orten, an | |
denen die Regierung provisorische Lager einzurichten plant, um die | |
obdachlosen Menschen vorläufig unterzubringen. „Wir werden das nicht | |
zulassen, koste es, was es wolle“, sagten aufgebrachte Lesvier | |
Reporter*innen. Die meisten Inselbewohner*innen sind müde und enttäuscht | |
von der EU. Keiner könne es ertragen, wenn so viele Geflüchtete für so | |
lange Zeit auf einer Insel lebten, hieß es. | |
## Zehn Kommunen appellieren an Merkel und Seehofer | |
In Deutschland haben sich die Stadtoberhäupter von zehn großen deutschen | |
Kommunen in einem gemeinsamen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) | |
und Bundesinnenminister [3][Horst Seehofer] (CSU) bereiterklärt, | |
Geflüchtete aus Moria aufzunehmen. In dem Schreiben appellieren sie an | |
Merkel und Seehofer, dafür den Weg zu ebnen, wie das Redaktionsnetzwerk | |
Deutschland (RND) am Donnerstagabend berichtete. | |
Der Brief wurde demnach von den Oberbürgermeisterinnen und | |
Oberbürgermeistern von Bielefeld, Düsseldorf, Freiburg, Gießen, Göttingen, | |
Hannover, Köln, Krefeld, Oldenburg und Potsdam unterzeichnet. Die | |
Stadtoberhäupter bekräftigten darin ihre Bereitschaft, „einen humanitären | |
Beitrag zu einer menschenwürdigen Unterbringung der Schutzsuchenden in | |
Europa“ zu leisten: „Wir sind bereit, Menschen aus Moria aufzunehmen, um | |
die humanitäre Katastrophe zu entschärfen.“ | |
Das Bundesinnenministerium lehnt es bislang ab, Geflüchtete aus | |
Griechenland im deutschen Alleingang aufzunehmen. Es fordert eine | |
gemeinsame europäische Initiative. Seehofer steht deswegen aber unter | |
starkem innenpolitischen Druck. Der Koalitionspartner SPD unterstellte ihm | |
eine Blockadehaltung. | |
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert | |
Röttgen (CDU), fordert die Bundesregierung zu einem entschiedeneren Handeln | |
auf. Ein von einer Gruppe Bundestagsabgeordneter unterzeichneter Vorschlag | |
sehe vor, 5.000 im griechischen Festland untergebrachte geflohene Menschen | |
aufzunehmen, sagte Röttgen am Freitag im ZDF-“Morgenmagazin“. Dann könnte | |
Griechenland wiederum 5.000 Flüchtlinge von Moria ans Festland bringen. | |
## Seehofer-Pressekonferenz zu Moria | |
„Hier ist jetzt praktische Hilfe, praktische Humanität gefordert in einer | |
Notlage, die auch die Folge europäischen Scheiterns ist“, sagte Röttgen. | |
„Die Not drängt, es brennt, jetzt muss entschieden werden, es muss auch | |
kommuniziert und erklärt werden“, sagte er. „Die Regierung ist als Ganze | |
gefordert.“ | |
Da es wegen der Blockade einzelner Staaten keine gemeinsame europäische | |
Flüchtlingspolitik gebe, müsse eine Gruppe europäischer Staaten inklusive | |
Deutschland nun vorangehen: „Wir können nicht die Blockade Einzelner zu | |
einer Gesamtunfähigkeit der Europäischen Union machen.“ | |
Dabei kritisierte Röttgen, dass sich [4][Bundesinnenminister Horst Seehofer | |
(CSU)] noch nicht geäußert hat. Seehofer hat für Freitag, 11. September, am | |
Vormittag eine Pressekonferenz zum Thema Moria angesetzt. | |
Röttgen widersprach Aussagen, die Aufnahme von Geflüchteten werde zu | |
Nachahmereffekten führen. Jeder, der dies sage, sei „schief gewickelt“. Die | |
Situation sei eine ganz andere als etwa im Jahr 2015, sie lasse sich | |
diesmal beherrschen. | |
11 Sep 2020 | |
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