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# taz.de -- Nach dem Anschlag in Magdeburg: Viele Hinweise, keine Konsequenzen
> Der Angreifer auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt fiel schon lange mit
> Drohungen auf. Das bestätigte Sachsen-Anhalts Innenministerin. Auch das
> Sicherheitskonzept hatte Lücken.
Bild: Nach dem mutmaßlichen Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt laufe…
Magdeburg taz | An Kontakten mit der Polizei mangelte es beim Täter vom
Magdeburger Weihnachtsmarkt vor der Tat nicht. Das ist ein Befund aus einem
Bericht von Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU). Am
Donnerstag legte sie im Innenausschuss des Landtags eine lange Liste an
Erkenntnissen vor, die es vor der Tat vom 20.Dezember 2024 bei der Polizei
in Sachsen-Anhalt gab.
Taleb Abdulmohsen hatte demnach von 2016 bis 2024 dreizehn Mal selbst
Anzeige erstattet. Sechs Mal war er der Beschuldigte – erstmals 2017. Es
gab zwei Gefährderansprachen und den Versuch einer Durchsuchung, den ein
Ermittlungsrichter ablehnte. Verurteilt wurde Abdulmohsen in Sachsen-Anhalt
laut Zieschang indes nie – [1][wohl aber einmal in Rostock und einmal in
Berlin].
Und das ist die zweite Erkenntnis aus dem Bericht der Innenministerin: Die
Polizeibefassung mit Abdulmohsen endete immer wieder mit der Bewertung des
Landeskriminalamts, dass „keine Hinweise auf eine radikale oder
extremistische islamistische Gesinnung“ vorlägen.
## Fragwürdige Bewertung der Gefahr
Sowohl Henriette Quade, parteilose, ehemalige Abgeordnete der Linken, als
auch der Grüne Sebastian Striegel stellten daher im Ausschuss die
Kategorien in Frage, die für diese Bewertungen zu Rate gezogen werden. „Der
Automatismus – kein Islamismus ergo keine Gefahr – scheint mir hier das
analytische Kernproblem zu sein“, sagte Quade. Striegel mutmaßte: „Wäre d…
Mann Islamist gewesen, hätten die Behörden das Gefährdungsmuster wohl
besser erkennen können.“
Deutlich wird das Problem anhand eines Vorgang aus dem Dezember 2023, über
den Zieschang berichtete. Einen Tag nachdem Abdulmohsen auf der Plattform
„X“ angedeutet hatte, er könnte vorhaben, wahllos Menschen zu töten,
befasst sich damit die Polizei. Sie ging einer Anzeige nach, versuchte noch
am selben Tag eine Durchsuchung zu beantragen, was ein Ermittlungsrichter
ablehnte. Nach mehreren Versuchen folgte eine Gefährderansprache, das
Ermittlungsverfahren aber wurde am Ende eingestellt.
Ein paar Monate später, im Februar 2024, erfuhr die Polizei, dass
Abdulmohsen sein Profilbild auf „X“ geändert hatte – es zeigte nun ein
Sturmgewehr. Auf eine interne Nachfrage der Polizei erklärte auch hier das
LKA, dass es für eine extremistische Gesinnung keine Hinweise gebe. Wenige
Monate später fuhr Abdulmohsen auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg in die
Menge. Sechs Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Die Behörden
sprechen inzwischen von 734 Betroffenen.
Tatsächlich war Abdulmohsen bereits ab 2013 mit Gewaltandrohungen
aufgefallen. In den Monaten vor der Tat hatte er in Onlinepostings seine
Drohungen verschärft. Es sei „sehr wahrscheinlich“, dass er „dieses Jahr
sterben werde, um Gerechtigkeit zu schaffen“, schrieb er etwa. Ähnliche
Postings folgten, [2][Onlinenutzer warnten daraufhin die Polizei]. Laut
Sicherheitskreisen taucht Abdulmohsen in 80 Vorgangseinträgen in
polizeilichen Systemen verschiedener Bundesländer auf, die teils die
gleichen Sachverhalte betreffen. Bis heute konnten die Sicherheitsbehörden
keine vollständige Chronologie vorlegen. Als extremistischer Gefährder war
Abdulmohsen nie eingestuft. Ob die Behörden nicht früher die Gefahr hätten
erkennen müssen, wird weiter geprüft.
## Tatmotiv ist weiter unklar
Bis heute ungeklärt ist auch das Motiv der Todesfahrt. Am Tag nach der Tat
hatte sich der 50-Jährige dazu eingelassen – nach taz-Informationen
beschwerte er sich aber vor allem über die angeblich schlechtere Behandlung
von saudi-arabischen Geflüchteten in Deutschland gegenüber anderen
Geflüchteten. Seine Aussagen sollen wirr und verschwörungstheoretisch
gewesen sein. Auch in Social Postings hatte Abdulmohsen Vorwürfe gegen
deutsche Behörden und NGOs für Geflüchtete geäußert, den Islam und
Saudi-Arabien kritisiert, Zuspruch zur AfD geäußert. Nach taz-Informationen
hatte er versucht, Kontakt zu rechten Influencern und AfD-Jungpolitikern
herzustellen. Was genau tatauslösendes Motiv war, sei weiter unklar, heißt
es in Justizkreisen.
Ermittler prüfen weiter auch eine psychische Erkrankung, die
Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat eine Begutachtung des 50-Jährigen in
Auftrag gegeben. Auch sein Handy wird noch ausgewertet, es wurde im
Tatfahrzeug neben Behördenbriefen und einem Testament gefunden. In dem
Testament gab es nach taz-Informationen keine politischen Botschaften, nur
etwa den Wunsch nach einer Feuerbestattung.
Wegen der unklaren Motivlage hatte die Bundesanwaltschaft am 23. Dezember
entschieden, den Fall vorerst nicht zu übernehmen. Die oberste
Anklagebehörde kann dies erst tun, wenn es einen politischen Bezug der Tat
gibt.
BKA-Präsident Holger Münch und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
hatten zuletzt in einer vertraulichen Sondersitzung des
Bundestag-Innenausschusses betont, aus den Drohungen ließe sich keine
konkrete Gefährdung durch Abdulmohsen ableiten. Wohl aber müsse der
Informationsaustausch der Sicherheitsbehörden verbessert werden. Bei der
Aufklärung werde „jeder Stein umgedreht“, versprach Faeser.
## Sicherheitskonzept mit Lücken
Offen ist bislang, ob es Fehler beim Sicherheitskonzept des
Weihnachtsmarkts gab. Inzwischen liegen mehrere Strafanzeigen vor, die der
Landeshauptstadt Madgeburg und den Veranstaltern des Marktes ein
Sicherheitsversagen vorwerfen. So existierte am Eingang eine gut sechs
Meter breite Lücke – zwei Meter mehr als im Konzept vorgesehen -, in die
Abdulmohsen mit seinem Wagen hineinfahren konnte.
Im Sicherheitskonzept des Marktes waren zudem Stahlketten zwischen den
Lücken eingeplant, die es vor Ort aber nicht gab. Laut Sachsen-Anhalts
Innenministerin Zieschang waren die Betonsperren aber „an keiner Stelle“
mit solchen Stahlketten verbunden. „Warum der Veranstalter darauf
verzichtet hat, ist Gegenstand von Ermittlungen“, sagte Zieschang. Dass ein
Polizeiauto die Lücke versperren sollte, wurde zuletzt im Bundestag von
Zieschang bestritten: Dies sei im Einsatzkonzept so nicht vorgesehen
gewesen. Am Donnerstag präzisierte sie im Innenausschuss des Landtags, dass
zum Tatzeitpunkt am 20. Dezember ein Polizeifahrzeug tatsächlich nicht an
der vorgesehenen Stelle auf dem Gehweg stand, sondern in einer nahen
Parkbucht. Die Standorte der Fahrzeuge seien aber nicht Teil des
Sicherheitskonzept des Marktes gewesen, um die Zufahrt zu versperren.
Grundsätzlich sei der Veranstalter ohne die Hilfe der Polizei für die
Sicherheit verantwortlich, erklärte Zieschang. Mit „Veranstalter“ meinte
sie die „Gesellschaft zur Durchführung der Magdeburger Weihnachtsmärkte
mbH“. An dieser GmbH indes ist die Landeshauptstadt Magdeburg mit einer
Mehrheit beteiligt. Laut Unterlagen im Handelsregister wird die
Landeshauptstadt in der Gesellschafterversammlung durch den
Oberbürgermeister (bzw. Oberbürgermeisterin) oder einen Bevollmächtigten
und drei Stadtratsmitglieder vertreten. Überspitzt könnte man wohl sagen:
Die Landeshauptstadt hat sich ihren Weihnachtsmarkt samt Sicherheitskonzept
quasi selbst genehmigt.
## Sonderkommission mit 116 Polizist*innen
Ob und wo dabei Fehler gemacht wurden, ist nun Teil der Ermittlungen.
Geführt werden die durch eine Sonderkommission im Landeskriminalamt, an der
derzeit laut Zieschang 116 Polizeibeamte mitarbeiten, wobei sie durch das
Bundeskriminalamt unterstützt werden. Die Ermittlungen gegen die
Polizeiinspektion Magdeburg, gegen die ebenfalls eine Anzeige vorliegt,
übernehme die Polizeiinspektion Halle.
Die Zahl der Todesopfer durch die Tat war zuletzt auf sechs Menschen
gestiegen. Eine weitere verletzte Frau war im Krankenhaus verstorben. Eine
Sprecherin des Bundesjustizministeriums sagte am Donnerstag der taz, dass
inzwischen 734 Betroffene der Tat bekannt seien. 589 von ihnen hätten
staatliche Stellen bisher anschreiben können, um ihnen Hilfsangebote zu
unterbreiten.
Der festgenommene Abdulmohsen war zuletzt wiederum in die JVA Dresden
verlegt worden. Nach taz-Informationen erfolgte dies präventiv zum Schutz
des 50-Jährigen. Die Sorge bestand, dass es in der JVA Burg Gefangene geben
könnte, die er zuvor als Psychiater betreute – oder die mit Anschlagsopfern
bekannt sind.
9 Jan 2025
## LINKS
[1] /Taeter-von-Magdeburg/!6052302
[2] /Nach-dem-Anschlag-von-Magdeburg/!6056812
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
Konrad Litschko
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