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# taz.de -- Nach dem Anschlag von Magdeburg: Weitere Angriffe auf Migrant:innen
> Seit dem Anschlag von Magdeburg reißt die Gewalt gegen Menschen mit
> Migrationsbiografie nicht ab. Betroffene schildern der taz ihre
> Erlebnisse.
Bild: Reaktion der Rechtsextremen nach dem Anschlag von Magdeburg: Gewalt gegen…
Magdeburg taz | Eine syrische Familie in Magdeburg hatte am Donnerstagabend
ein gruseliges Erlebnis: Sie hörte ein Kratzen an ihrer Wohnungstür.
Dadurch alarmiert, hätten sie realisiert, dass eine Gruppe vor der Tür
stehe und wohl gerade versuchte einzudringen, sagen sie. Aus Angst hätten
sie die Unbekannten nicht konfrontiert. Am nächsten Tag fanden sie ein
Hakenkreuz auf ihrer Wohnungstür. Bilder, die das belegen, liegen der taz
vor. Die Familie erstattete Anzeige bei der Polizei, die ermittelt. Was die
Unbekannten wollten, ist unklar. Dass es sich um eine rassistisch
motivierte Tat handelt, allerdings wahrscheinlich.
Wie Betroffene erzählen, herrscht seit dem 20. Dezember in Magdeburg ein
bedrohliches Klima gegenüber Migrant:innen. Ein [1][50-jähriger Psychiater
aus Saudi-Arabien], der seit 2006 in Deutschland lebte und arbeitete, raste
mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt in der Innenstadt der
sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt. Er tötete vier Frauen und ein Kind
und verletzte rund 300 Menschen, davon 42 schwer. Das genaue Motiv ist bis
heute unklar.
Immer wieder gibt es seitdem gewaltsame Übergriffe gegen Migrant:innen. So
etwa gegen Brahim B. An Neujahr war der 31-jährige DJ auf dem Heimweg mit
der Straßenbahn, nachdem er aufgelegt und mit Freund:innen gefeiert
hatte. An der Haltestelle Neustadt habe er gegen zehn Uhr morgens auf die
Bahn gewartet und Musik gehört, erzählt er. Eine Gruppe von fünf Männern
und einer Frau hätten ihn angepöbelt, irgendetwas über seine Mutter und
etwas mit „Heimat“ gerufen. Weil er Kopfhörer getragen habe, habe er den
genauen Wortlaut nicht verstanden.
Dann habe ihn ein Mann an seiner Jacke gepackt und begonnen, auf ihn
einzuschlagen. Die Frau sei auf seinen Rücken gesprungen. „Es fühlte sich
an, als wollte sie meine Augen auskratzen“, sagt Brahim B. am Telefon. Kurz
darauf habe er starke Schmerzen im Knie und am Kopf gespürt. Einer der
Männer habe mit einem Teleskopschlagstock auf ihn eingeprügelt. Bilder
zeigen die Wunden. An die Angreifer:innen erinnert sich Brahim B. noch
genau: Der mit dem Schlagstock habe ein Piercing an der Augenbraue, die
Frau ein Dreiecks-Tattoo auf der Hand und einer eine Mütze des hiesigen
Fußballvereins FC Magdeburg getragen.
## Polizei sind neun Fälle bekannt
Brahim B. fuhr nach dem Angriff zunächst nach Hause. Dort habe er den
Notruf gewählt. Der habe ihn angewiesen, sich ins Krankenhaus zu begeben.
Am Abend seien dort Polizisten vorbeigekommen, hätten seine Aussage
aufgenommen und DNA-Spuren an seiner Kleidung gesichert. Nach einem Tag im
Krankenhaus sei er erneut zur Polizei gegangen. Dort habe man ihm Bilder
von möglichen Verdächtigen vorgelegt. „Bei einem war ich mir ziemlich
sicher, dass er dabei war“, erzählt er am Telefon. Die Polizei ermittelt
und sucht nach Zeug:innen. „Was mich gerade rettet, ist die Liebe und die
Unterstützung, die ich von vielen erfahre“, sagt Brahim B.
Mehrere Betroffene von [2][Rassismus] beschreiben der taz, dass die
Anfeindungen kurz nach dem Anschlag zunahmen. So schilderte der
Sozialarbeiter Tawfeek al-Sheikh, 28, der während des Attentats selbst auf
dem Weihnachtsmarkt war, dass er bereits auf dem Heimweg rassistisch
angepöbelt worden sei. Abdulla al-H., 18, Student, erzählte, wie er am
Abend in der Nähe des Tatorts erst angefeindet und dann körperlich
attackiert worden sei. Am Hauptbahnhof sollen am Tag darauf mehrere
Menschen, die als Ausländer wahrgenommen wurden, beleidigt und rassistisch
angefeindet worden sein. Ein 13-jähriger Junge berichtet der taz, er sei im
Aufzug seines Wohnhauses rassistisch beleidigt und gewürgt worden.
Eine 22-jährige Intensivkrankenpflegerin, die selbst Verletzte des
Anschlags im Uniklinikum Magdeburg betreute, berichtete, wie sie am 24.
Dezember nach Schichtende erst rassistisch beleidigt und dann von einem
Mann ins Gesicht geschlagen wurde. Das bestätigen Augenzeugen und ärztliche
Unterlagen. Unbekannte sollen außerdem mehrfach in Briefkästen
Drohschreiben auf Arabisch und Deutsch eingeworfen haben. Bei all dem
dürfte es sich um die Spitze des Eisbergs handeln, denn nicht alle
Betroffenen wissen von Hilfsangeboten oder sprechen mit Medien.
Auf Anfrage der taz teilte die Polizei Magdeburg am Sonntagnachmittag mit,
es seien neun Fälle von Übergriffen auf „als migrantisch wahrgenommene
Personen“ bekannt geworden. Fünf davon sind Körperverletzungen und vier
Volksverhetzungen beziehungsweise Beleidigungen. In jeweils zwei Fällen
seien Verdächtige ermittelt worden. Als Reaktion habe die Polizei die
Präsenz von Streifen unmittelbar erhöht. Die Staatssekretärin und
Integrationsbeauftragte der sachsen-anhaltischen Landesregierung Susi
Möbbeck (SPD) hat inzwischen vor rassistischer Gewalt gewarnt.
## AfD unterschreibt Abgeordnetenbrief nicht
Ein klares Zeichen der Bundesregierung bleibt bis jetzt aus. In seiner
Neujahrsansprache schwor Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zwar auf
Zusammenhalt, erwähnte die zahlreichen Attacken aber mit keinem Wort. Am 3.
Januar reagierte die städtische Politik. In einem Brief, der der taz
vorliegt, verurteilten die Abgeordneten von CDU, SPD, FDP, Grünen und Linke
die Attacken – und forderten die Gesellschaft zum Zusammenhalt auf.
Die AfD Magdeburg unterzeichnete das Schreiben nicht, verurteilte die
Angriffe auf Menschen mit Migrationsbiografie aber auf ihrer Facebookseite.
Ihre Jugendorganisation forderte auf dem „Trauermarsch“ am 23. 12. noch:
„Wehrt euch endlich“. Im Netz erfährt die Gewalt gegen Migrant:innen
Zuspruch. Das schlägt sich auf die Lage in Magdeburg nieder. Örtliche
Antifaschist:innen berichten der taz, in den letzten 15 Jahren habe
keine solch bedrohliche Stimmung geherrscht.
Davon zeugen auch die Berichte des 24-jährigen Studenten Saeed Saeed, der
auch Mitglied des Beirats für Integration und Migration ist. Auf seinem
Instagram-Kanal hatte Saeed mehrere Übergriffe öffentlich gemacht. Am
Freitagnachmittag wurde er dann selbst zum Angriffsziel. In der Straßenbahn
hatte ein Mann Migrant:innen wüst beleidigt. Saeed habe ihn
angesprochen, darauf sei der auf ihn losgegangen und habe versucht, ihn zu
attackieren. Andere in der Bahn halfen, Saeed rief die Polizei. Die
ermittelt nun auch in diesem Fall.
Die Beratungsstelle für Betroffene rassistischer Gewalt und Diskriminierung
„Entknoten“ des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt
(LAMSA) registrierte im vergangenen Jahr etwa ein bis zwei Fälle pro Woche
in Magdeburg. In den letzten fünfzehn Tagen, teilte dessen Geschäftsführer
Mamad Mohamad der taz mit, seien fünfzehn Fälle gemeldet worden.
5 Jan 2025
## LINKS
[1] /Taeter-von-Magdeburg/!6052302
[2] /TV-Serie-ueber-Rassismus/!6052800
## AUTOREN
Michael Trammer
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