| # taz.de -- NS-Raubkunst im Museen: Der Geschichte auf der Spur | |
| > Um sich auf Suche nach Naziraubgut durch die Museen in Niedersachsen zu | |
| > arbeiten, braucht es Personal und Geld. Ein Netzwerk will helfen. | |
| Bild: Die Raubgutdetektivin: Kunsthistorikerin Claudia Andraschke sucht nach de… | |
| 25 Einweckgläser, mehrere Handtücher und einen Waschtisch, die Reste einer | |
| bescheidenen Wohnungseinrichtung. Alles, was Bertha und Elsa Archenhold | |
| besaßen, wurde gezählt und auf eine Liste geschrieben, die sie | |
| unterschreiben mussten. Am nächsten Tag wurde das jüdische Geschwisterpaar | |
| aus Einbeck abtransportiert. Endstation: Warschauer Ghetto. | |
| Beim Lesen solcher Biografien muss Christian Riemenschneider schwer | |
| schlucken. Der Provenienzforscher hat in den vergangenen zwei Jahren den | |
| Bestand mehrerer Museen in Niedersachsen auf Raubkunst aus der Nazizeit | |
| geprüft: „Bei der Arbeit hat sich noch mal verdeutlicht, wie umfassend der | |
| Raub durch den NS-Staates war.“ | |
| Bereits 1999 hat die deutsche Bundesregierung erklärt, dass alle | |
| Kunstgegenstände, die von den Nationalsozialisten geraubt wurden, | |
| identifiziert werden und an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden | |
| müssen. Erst knapp zehn Jahre später fingen die ersten großen Museen in | |
| Niedersachsen an, die Provenienz, die Herkunft, ihrer Ausstellungsstücke | |
| auf eine Nazivergangenheit zu prüfen. | |
| Doch für den Großteil der über 700 Museen aus Niedersachsen war eine | |
| Aufarbeitung bisher kaum möglich. Zu groß wäre der finanzielle und | |
| personelle Aufwand, jedes einzelne Exponat in den Archiven unter die Lupe | |
| zu nehmen. | |
| ## Hausmeister, Putzfrau und Museumsleiterin | |
| Eines der kleineren Museen im Land Niedersachsen ist das im Ritterhof in | |
| Osterode im Landkreis Göttingen. „Unser Personal besteht aus Hausmeister, | |
| Putzfrau und mir“, sagt Museumsleiterin Angelika Petzold. Rund 6.000 | |
| Exponate gäbe es im Museum, der Großteil im Archiv. Unmöglich, alles zu | |
| durchforsten. Das Osteroder Museum im Ritterhof wurde 1936 gegründet, drei | |
| Jahre nachdem die NSDAP die Macht ergriffen hat. „Wir können nicht | |
| ausschließen, dass damals nicht auch Besitz von Juden oder anderen | |
| Verfolgten bei uns eingegangen ist“, sagt Petzold. | |
| Das Museum ist Mitglied des Netzwerkes Provenienzforschung in | |
| Niedersachsen. Das Netzwerk wurde 2015 vom niedersächsischen | |
| Kultusministerium ins Leben gerufen. Ziel ist es vor allem, mittlere und | |
| kleine Museen bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zu unterstützen und | |
| Provenienzforscher zu vernetzen. Das Netzwerk bietet Museen Beratungen an | |
| und hilft beim Beantragen von Bundesfinanzmitteln vom Deutschen Zentrum für | |
| Kulturverluste (DZK). | |
| „Zugegeben: Die Brandenburger waren die Ersten, die mit dem gleichen Ansatz | |
| 2013 anfingen,“ sagt Claudia Andraschke, Leiterin des Netzwerks: „Aber | |
| deutschlandweit sind wir Zweiter, was die Aufarbeitung in den kleinen | |
| Museen angeht.“ Mittlerweile gebe es ähnliche Projekte auch in Bayern und | |
| Mecklenburg-Vorpommern. | |
| ## Das Erstcheck-Verfahren | |
| Bisher wurden zwei sogenannte Erstcheck-Verfahren in Museen in | |
| Südniedersachsen durchgeführt. Beim Erstcheck soll festgestellt werden, ob | |
| bei Sammlungsbeständen der Verdacht auf unrechtmäßigen Erwerb in der | |
| NS-Zeit vorliegt. Insgesamt neun Museen wurden von Provenienzforscher | |
| Christian Riemenschneider durchsucht. Im Pilotprojekt 2016 die Häuser in | |
| Einbeck, Alfeld, Duderstadt, Hannoversch Münden und Clausthal-Zellerfeld | |
| und im zweiten Durchgang Northeim, Seesen, Uslar und Osterode. | |
| Kürzlich hat er die Ergebnisse des zweiten Verfahrens vorgestellt: Löffel, | |
| jüdische Zinnteller, Biedermeier Möbel und alte Postkarten. „Großen | |
| materiellen Wert, wie bei berühmten Gemälden, haben wir nicht erwartet“, | |
| sagt Riemenschneider: „Aber für die Nachfahren der Menschen, die enteignet | |
| wurden, gelten diese Objekte oft als Stellvertreter für die | |
| Familiengeschichte.“ | |
| Für je zwei bis drei Wochen kam Riemenschneider in die Museen und las | |
| möglichst viel historischer Lokalliteratur. Er sichtete Karteikarten, | |
| Besitzbücher und Exponate und überprüfte sie auf ihr Eingangsdatum und | |
| vorherige Besitzer. Die verglich er mit Namen von jüdischen Familien und | |
| NS-Leuten: „Immer wenn ich einen Match hatte, hab ich mir ein Fragezeichen | |
| zu dem Objekt notiert.“ | |
| „Es wurden nicht nur reiche Juden enteignet, wie es im allgemeinen | |
| kulturellen Gedächtnis oft verankert ist“, sagt Riemenschneider: „Auch | |
| vielen mittellosen Juden wurde das bisschen genommen, was sie noch hatten.“ | |
| Wie dem Geschwisterpaar Archenhold aus Einbeck. Auf deren Spuren war | |
| Riemenschneider auf seiner Recherche im südniedersächsischen Einbeck | |
| gestoßen. Unter den verdächtigen Gegenständen, die Riemenschneider | |
| sichergestellt hat, waren auch viele Gegenstände von kommunistischen | |
| Gruppen oder Arbeitervereinigungen, die ebenso von den Nazis verfolgt | |
| wurden. | |
| ## Bestände durchforsten | |
| Angelika Petzold vom Museum in Osterode ist froh, dass sie bei der Sichtung | |
| ihrer Exponate Hilfe bekam: „Wir müssen unserer Verantwortung nachkommen.“ | |
| Angst vor großen Verlusten hatte sie nicht. „Es geht um die | |
| Wiederherstellung von Rechten, die den Menschen damals entzogen wurden“, | |
| sagt sie: „Wir sind Bewahrer von Kultur und keine Antiquitätenhändler.“ | |
| Es geht bei dem Provenienznetzwerk nicht nur um das Durchsuchen der | |
| Museumsbestände, sondern auch um die Vernetzung. Laut Leiterin Andraschke | |
| sei es viel einfacher, sich methodisch auszutauschen. „Über den | |
| Hannoveraner Kunsthändler Emil Backhaus war bekannt gewesen, dass er in | |
| Kunstraube in Hannover verwickelt gewesen ist,“ sagt Andraschke, die mit | |
| einer halben Stelle das Forschungsnetzwerk betreut und auch selbst im | |
| Landesmuseum Hannover Provenienzen erforscht. Durch die Tagungen des | |
| Netzwerks hätte sich ergeben, dass Backhaus einen Wirkungsradius bis in die | |
| Nähe Göttingens hatte: „Solche Erkenntnisse hätte man allein nie | |
| geschafft“, sagt Andraschke. | |
| Ihr Kollege Riemenschneider hofft, dass das DZK seinen Folgeantrag für 2018 | |
| genehmigt. Dann möchte er den Besitzstatus aller verdächtigen Gegenstände, | |
| die er bisher identifiziert hat, endgültig klären und deren rechtmäßige | |
| Besitzer ermitteln. Denn durch die Erstchecks wurden nur die Verdachtsfälle | |
| ermittelt. Für weitere Recherchen müssen wieder Projektgelder her. | |
| Falls das nicht möglich ist, will Riemenschneider die Gegenstände zumindest | |
| in die Datenbank Lost Art eintragen. Sie funktioniert wie eine Art | |
| schwarzes Brett für Raubkunst. Doch am liebsten würde er Geschichten wie | |
| der von Bertha und Elsa Archenhold weiter auf den Grund gehen. | |
| 27 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Morten Luchtmann | |
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