| # taz.de -- NS-Geschichte in Schöneberg: Wo Eichmann den Tod verwaltete | |
| > Wo heute ein Hotel steht, hatte einst Adolf Eichmann sein Hauptquartier | |
| > und schickte Millionen Juden in den Tod. Ein angemessener Gedenkort | |
| > fehlt. | |
| Bild: Beim Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel, im April 1961 | |
| Wussten Sie, dass hier Adolf Eichmanns Büro war? Die Passanten, viele | |
| Touristen darunter, die aus dem Hotel an der Schöneberger Kurfürstenstraße | |
| gehen, zucken mit den Schultern. Dort, wo jetzt der „Sylter Hof“ steht, | |
| organisierte Eichmann, Gestapo-Referent für „Judenangelegenheiten“, vor 75 | |
| Jahren die Deportationen der europäischen Juden in die Gettos und | |
| Konzentrationslager. Das Haus mit der Adresse Kurfürstenstraße 115/116, | |
| zwischen Wittenberg- und Lützowplatz gelegen, wurde Mitte der Sechziger | |
| abgerissen. Von diesem Ort aus entschied Eichmann, der Cheflogistiker des | |
| Holocausts, aus welchen europäischen Städten in welcher Reihenfolge die | |
| jüdischen Bewohner deportiert werden. Hier wurde das Schicksal von | |
| Millionen Juden besiegelt. | |
| Seit 1998 erinnert eine bescheidene Gedenktafel an die Vergangenheit des | |
| Grundstücks. Am Buswartehäuschen in Hotelnähe hängen Infotafeln auf Deutsch | |
| und Englisch, die über Eichmanns berüchtigtes Referat IV B 4 Auskunft | |
| geben. Auch die späteren Lebensstationen von Eichmann sind notiert: Flucht | |
| nach Argentinien, Entführung durch den israelischen Geheimdienst Mossad | |
| 1960, spektakulärer Prozess in Jerusalem, Todesurteil und schließlich, | |
| 1962, Hinrichtung. | |
| Meist werden die Tafeln nicht beachtet, einzig die einheimischen Pendler, | |
| die mit den 100er Bus regelmäßig hierher zur Arbeit fahren, kennen die | |
| Inhalte. Ein direkter Bezug zum Hotelgebäude ist allerdings nicht klar: Die | |
| Haltestelle liegt ein wenig entfernt vom Hotel vor einem Nebeneingang. | |
| Hinter der Eichmann-Haltestelle geht es zu einem Burlesque-Theater. | |
| Gemessen an der erdrückend historischen Bedeutung des Areals wirken die | |
| Tafeln hinter Plexiglas banal. Die Topographie des Terrors, die | |
| Dauerausstellung auf dem Gelände der ehemaligen SS- und Gestapo-Zentrale an | |
| der Wilhelmstraße, hat jeden Tag mehrere Hundert Besucher. Eichmanns | |
| Referat schien dagegen jahrelang erinnerungspolitisch abgehakt. Jetzt aber | |
| ist Bewegung in die Sache gekommen. | |
| ## Eine Tafel im Gespräch | |
| Die Hotelleitung und Andreas Nachama, der Direktor der Topographie des | |
| Terrors, haben sich im Juli getroffen, um über eine neue Gedenkeinrichtung | |
| direkt am Hotel zu sprechen. Im Gespräch ist eine Tafel am Haus. Genaueres | |
| ist noch nicht entschieden. Markus Bähr, der Geschäftsführer des Hotels, | |
| sagt: „Wir verschließen uns nicht einem neuen Gedenkort.“ | |
| Das war früher anders. In den Neunzigerjahren lehnte es das Hotel ab, auf | |
| dem Gelände an Eichmanns Taten zu erinnern. Nur deshalb entstand der Umweg | |
| über die Bushaltestelle. Es war eine Privatperson, die Druck machte, dass | |
| in der Kurfürstenstraße überhaupt etwas geschah. | |
| Ronnie Golz ist ein deutsch-britischer Jude, der durch den Holocaust | |
| zahlreiche Angehörige verloren hat. Golz, der in den Achtzigerjahren | |
| Mitarbeiter der taz war, hatte die Idee mit der Haltestelle, nachdem das | |
| Hotel eine Zusammenarbeit ablehnte. Er gewann den Werbetafel-Unternehmer | |
| Hans Wall dafür, das Wartehäuschen zu errichten. „Er sagte sofort zu“, | |
| erinnert sich Ronnie Golz. Zusammen mit der Topographie schrieb Golz den | |
| Erinnerungstext auf der zweisprachigen Tafel. „Never forget“ heißt es. Und: | |
| „In der Erinnerung liegt das Geheimnis der Erlösung“. Wenn das stimmt, kann | |
| die Erlösung zumindest nicht von der Bushaltestelle ausgehen – sie wird zu | |
| wenig beachtet. | |
| Andreas Nachama von der Topographie des Terrors räumt gegenüber der taz | |
| ein: „Die Orientierung an der Bushaltestelle fällt zugegebenermaßen nicht | |
| ganz leicht. Der Bezug zum Hotelgebäude ist nicht eindeutig.“ Er betont, | |
| dass die Rolle der Topographie in der Kurfürstenstraße eher informell sei: | |
| „Unsere Aufgabe ist, Ausstellungen zu organisieren und wissenschaftliche | |
| Publikationen herauszugeben.“ 2012 veröffentlichte die Topographie ein | |
| kleines Buch der Historikerin Lisa Hauff über den Ort. | |
| Auf dem Gelände hatte einst der „Brüderverein zur gegenseitigen | |
| Unterstützung“, eine jüdische Wohlfahrtsorganisation, gebaut. Im Zweiten | |
| Weltkrieg beschlagnahmte das NS-Regime ihr Haus, und Eichmann zog ein. Nach | |
| dem Krieg kaufte eine Investorengruppe um den Unternehmer Dietrich | |
| Kettelhack aus dem westfälischen Borken das Grundstück und baute das Hotel. | |
| Seine Witwe, Jacqueline Kettelhack, gehört zur Erbengemeinschaft, die das | |
| Hotel bis heute besitzt. Die gebürtige Niederländerin ist erst später in | |
| die Familie hineingekommen, hat aber Erinnerungen an den Streit um ein | |
| Gedenken am Hotel. „Damals gab es angeblich keinen Platz für eine Tafel | |
| oder Ähnliches“, sagt sie am Telefon. Sie habe sich damals gewundert, dass | |
| die Vergangenheit des Grundstücks ignoriert worden sei. Eine neue | |
| Gedenk-Installation würde sie nicht ablehnen, so die Erbin. | |
| ## Harry Mulisch suchte Eichmanns Büro | |
| Es war übrigens der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch, der nach | |
| dem Krieg als erster auf die berüchtigte Adresse aufmerksam wurde. Als | |
| junger Reporter schrieb er den Bestseller „Strafsache 40/61“ über den | |
| Eichmann-Prozess. Er reiste nach Berlin, um die Orte der Täter aufzuspüren, | |
| und verschaffte sich Zugang zum größtenteils leerstehenden ehemaligen | |
| Eichmann-Quartier. Er schrieb: „Das Verhör (Eichmanns) in der Hand, starre | |
| ich mit fast offenem Mund in den dunklen, ausgestorbenen Raum. Aus allen | |
| Richtungen ertönt Gezwitscher, leises Gurren, Flügelflattern, aber ich | |
| erblicke nichts, was sich bewegt.“ Wenn der Leser Harry Mulisch auf dessen | |
| Suche nach Eichmanns Arbeitszimmer im Haus begleitet – seine jüdische | |
| Großmutter wurde im KZ ermordet –, kommen Gänsehautmomente auf. Das Büro | |
| entdeckte Mulisch nicht. | |
| Auch wenn der Ort des Schreckens selbst nicht mehr zu finden ist: Ronnie | |
| Golz treibt das Erinnern an das Eichmann-Hauptquartier bis heute um. Der | |
| Initiator und Gestalter der Bushaltestelle hat zwar nichts gegen eine Tafel | |
| am Haus. Er befürchtet aber, dass die meisten Passanten die Tafel | |
| ignorieren werden: „In Berlin gibt es doch zig solcher Tafeln“. Er würde | |
| eine Litfaßsäule bevorzugen, so wie jene an der Rosenstraße am Hackeschen | |
| Markt, die an die Protestaktion gegen die Deportation von Berliner Juden im | |
| Jahr 1943 erinnert. „Dann gäbe es auch mehr Platz für Informationen über | |
| Eichmann und sein Referat“, sagt Golz. | |
| 1 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
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