# taz.de -- Musikbusiness und Nazi-Rap: Reime fürs Reich | |
> Nazi-Rap hat den Attentäter von Halle aufgepeitscht. Hetzer wie Mr. Bond | |
> und Chris Ares verbreiten mit Hip-Hop Hass. Konzerne verdienen damit | |
> Geld. | |
Bild: Chris Ares, zweiter von links, an der Münchner Feldherrnhalle bei einer … | |
Es sind jetzt drei Wochen vergangen seit der antisemitische deutsche | |
Terrorist Stephan B. versucht hat, in Halle in eine Synagoge einzudringen, | |
um mit einer selbst gebastelten Schusswaffe ein Blutbad anzurichten. Und | |
weil dies nicht gelingen wollte, hat er aus Frust zwei Menschen erschossen. | |
Das dabei von ihm über eine Go-Pro-Kamera live gestreamte Video ist wieder | |
in den Untiefen des Netzes verschwunden – zum Glück. Sein Inhalt ist | |
menschenverachtend und grausam. Doch ist es aufschlussreich, seine Details | |
zu analysieren, denn daraus lassen sich Codes und „Trends“ der im Internet | |
radikalisierten extremistischen rechten Szene ablesen. | |
Durch die Sichtung erneut in den Fokus geraten ist dabei Nazi-Rap. Immerhin | |
legte der Attentäter Wert darauf, während seiner Mordtaten den für ihn | |
„passenden“ Soundtrack zu hören. Die Musik, die im Video zu hören ist, | |
stammt von Mr. Bond. Der mutmaßliche Österreicher nimmt in der Szene des | |
Nazi-Rap in etwa die Rolle ein, die einst Bands wie die Zillertaler | |
Türkenjäger inne hatten. Entlang bekannter musikalischer Formen (damals | |
Rock, heute Hip-Hop) strickt er Texte voller [1][Verschwörungstheorien], | |
Allmachtsfantasien und bloßen rassistischen Ressentiments, gespickt mit | |
Insiderjokes. | |
Dabei führten gewisse Ressentiments dazu, dass gerade Hip-Hop in der | |
Naziszene lange verpönt war; denn das Genre galt als „genuin schwarze | |
Musik“. Das war einmal, heute sind die Rechtsradikalen auf den ehemals | |
verhassten Sprechgesang als Rekrutierungstool angewiesen. Konzertabende und | |
Festivals mit Nazirappern gelten mittlerweile als „Einstiegsdroge“ (Zitat: | |
Archiv der Jugendkulturen). Skills und Coolness, die bisher allen | |
Nazi-Rap-Versuchen abgingen, versucht ein Mr. Bond heute in seinem Sound zu | |
inkorporieren. | |
## Geklaute Beats | |
Er klaut dafür etwa Beats von erfolgreichen US-Künstlern wie Future und | |
Travis Scott und anderen Granden aus den aktuellen Charts. Und macht zum | |
Beispiel aus dem Hit „I wanna f*** you“ von Akon und Snoop Dogg „I wanna | |
gas you“ („Ich will dich vergasen“). Zudem kopiert Mr. Bond die | |
Mixtape-Ästhetik von US-Rappern; nur heißen seine Mixe nicht „Streetbeats | |
Volume 1“, sondern „Mein Kampf“ und „A Nazi Goes to Africa“. Bei | |
Internetmusikdiensten laufen Mr. Bonds Machwerke unter „Parody Rap“. Dabei | |
sind sie Nazischeiß trübsten Wassers. | |
Das wird offensichtlich, sobald man sich auch die Videos – die bei YouTube | |
meist schnell wieder heruntergenommen werden und deswegen bei kruden | |
Plattformen wie Dailymotion auffindbar sind – anschaut. Dort kommt Mr. | |
Bonds Stück „Fascist“ mit 40.000 Klicks und Verknüpfungen zum Horst | |
Wessel-Lied und anderen [2][indizierten Werken] daher und enthält Zeilen | |
wie: „From the way she acted /I knew she wants a fascist / no hipster | |
faggot“, so der Refrain. Die Strophe geht so weiter: „Rolling through the | |
Reich / Slow / Gassing the Kikes / Yo / Lebensraum for Whites / …“ Den | |
neo-nazistischen Sprech braucht man erst gar nicht kompliziert zu | |
decodieren, er propagiert ganz offen den Holocaust. | |
Diese Entwicklung ist neu. Früher waren Nazi-Rapper damit beschäftigt, | |
überhaupt als Rapper ernst genommen zu werden und hatten für | |
„komödiantische“ Einlagen keinen Sinn. Bestes Beispiel: MaKss Damage, dem | |
entsprechend die wenig schmeichelhafte Ehre zuteilwird, der „erste ernst zu | |
nehmende Neonazi-Rapper in Deutschland“ (Toralf Staud: „Neue Töne von | |
Rechtsaußen“) zu sein. Versuchte er sich anfangs noch ohne explizit rechte | |
Inhalte – er firmierte gar als Linker –, änderte sich dies schnell nach dem | |
Disstrack „Tötet diese antideutschen Hurensöhne“ und seinem Bekenntnis zum | |
„National-Stalinismus“. | |
## Volksverhetzende Rhetorik | |
Danach trat der Gütersloher, bürgerlich Julian Fritsch, etwa für die | |
Dortmunder Nazi-Partei „Die Rechte“ und mit der Hogesa-Befürworter- und | |
Hooligan-Band „Kategorie C“ auf. Das sind unterdessen keine Einzelphänomene | |
mehr: Immer häufiger treten Nazis und selbsternannte Patrioten im Gewand | |
von Rappern auf, um ihre volksverhetzende Rhetorik und Ideologie unters | |
Volk zu kriegen. Immerhin ist Rap weltweit seit mehr als einem Jahrzehnt | |
das erfolgreichste Pop-Genre mit den höchsten Verkaufszahlen und den | |
meisten Superstars. Rechte laufen mit ihren kulturellen Gesten seit jeher | |
dem Mainstream hinterher, da es bis dato keine genuin rechte Pop-Musik | |
gibt. | |
Ihre Strategie der Aneignung aktueller (gerne auch subversiver) Trends ist | |
seit den Achtzigern im Rechtsrock zu beobachten. Dass Rap so lange | |
widerständig gegenüber der Vereinnahmung blieb, ist fast erstaunlich. | |
Eigentlich bildet Gangsta-Rap eine ähnlich geeignete Matrix für | |
Gewaltfantasien wie die Genres Metal und Punk. Der gelebte „Actionfilm“ | |
großer – und vor allen Dingen erfolgreicher – Teile der deutschen | |
Rap-Szene, der täglich reproduziert wird, bietet sich vortrefflich an. | |
Auch in den Lyrics von Gangsta-Crews wie 187 Straßenbande gehören | |
Homophobie, Sexismus und Gewalt zum Nonplusultra. Dieses düstere | |
Sittenbild, angereichert um Antisemitismus und diverse andere | |
Verschwörungstheorien, ist nahezu kongruent zu einer rechts-nationalen | |
Erzählung des „Survival of the fittest (race)“. | |
## Brandbeschleuniger für Charts | |
Man sollte dies nicht falsch verstehen: Es gibt weder eine ursächliche noch | |
eine unmittelbare Verbindung zwischen Rap und rechtsextremistischer | |
Gesinnung, doch kann Ersterer den Brandbeschleuniger für Zweitere | |
darstellen. Dass es einstweilen den Versuch einer klaren Verbrüderung | |
zwischen rechter Szene und Hip-Hop gibt, beweist etwa der Münchner | |
Kampfsportler und Rapper Chris Ares und seine Clique. Er nennt seine Musik | |
„Patriotenrap“, orientiert sich offen an rechten Codes und verdient sich | |
damit in der Szene Anerkennung. Das manifestiert sich inzwischen auch in | |
Chartserfolgen. | |
Bei Diensten wie Apple Music und Amazon konnte Ares einen Wirkungstreffer | |
mit dem Album „2014-2018“ landen: Er „stürmte“ im Juli auf den ersten … | |
der Rap-Download-Charts. Auch Monate später kann er etwa bei Amazon einen | |
Platz unter den Top 50 behaupten. Während Apple Music auf taz-Anfrage gar | |
nicht erst reagierte, lässt sich das Unternehmen Amazon entschuldigen und | |
möchte sich hierzu nicht äußern. | |
Um eine Einordnung des Nazi-Rap-Komplexes vornehmen zu können, wären | |
Informationen über Verkaufszahlen und (il-)legitime Methoden zur | |
Zahlenfälschung (wie im Fall Ares gemunkelt wird) mehr als hilfreich. | |
Außerdem wäre es interessant gewesen, ob es für die Plattformen überhaupt | |
einen moralisch-ethischen Konflikt gibt beim Verkauf von rechter und | |
rechtsextremistischer Musik und ob bei einem Weltkonzern wie Amazon Grenzen | |
gesetzt werden zwischen „patriotisch“ und „nazistisch“. | |
Ares zielt mit seiner Musik auf eben jene definitorische Unklarheit; er | |
äußert sich unmissverständlich, doch immer im Rahmen des StGB. Er zielt | |
vielmehr auf die Verbindung bürgerlicher Patrioten und rechtsradikaler | |
„Chaoten“. So bietet sein YouTube-Channel neben Fake-News und rechtem | |
Geschwätz auch Musik: Sein Hit „Deutscher Patriot“ (derzeit 700.000 Klicks) | |
und der Track „Widerstand“ (mit dem Rapper Komplott, 800.000 Klicks) | |
verkaufen Export-Produkte der Wut- und Angstbürger: Stolz, Vorurteile und | |
Lügen. | |
„Deutscher Patriot“ verknüpft Gangsta-Rap-Ästhetik mit | |
„Schwarz-Rot-Gold-über-alles“-Lyrics zum Loblied auf das Land der Dichter | |
und Denker, auf Bach, Goethe und Bismarck. Selbst bei besonders großzügiger | |
Hip-Hop-Auslegung ist dieser Stuss nicht mehr als Koketterie mit nationalen | |
Zeichen zu entschuldigen. Zumal Ares auch anders kann, wie seine | |
Drohgebärden-Texte zeigen: „Eure vollvermummten Punk-Visagen werden mittels | |
Panzerwagen durch das ganze Land gejagt, um euch Maden dann anzuklagen.“ | |
Unverhohlen unterhält Ares ein enges Verhältnis zur Identitären Bewegung, | |
tritt regelmäßig für sie auf – und ist 2016 bei einer | |
Wahlkampfveranstaltung der AfD aktenkundig geworden, als er eine | |
Antifa-Gegendemo angriff und verschiedene Teilnehmer schlug. Ares hat sich | |
mit dem Verweis auf „Selbstverteidigung“ gerechtfertigt. Das Verfahren | |
wegen des Verdachts der Körperverletzung wurde später wegen einer in einem | |
anderen Verfahren zu erwartenden Strafe gemäß Paragraf 154 Abs. 2 StPO | |
eingestellt. Auch dies wurde von seinen Fans im Netz begrüßt. | |
Wo rechte und „normale“ Hip-Hop-Szenen vollends zur Deckung gelangen, ist | |
in der Präsenz von antisemitischen Aussagen. Juden- und israelfeindliche | |
Narrative finden sich nicht nur bei den Echo-Gewinnern Kollegah und Farid | |
Bang, sie sind im Nazirap endemisch. Das erkannte der Berliner Rapper, | |
Autor und ehemalige Veranstalter [3][Ben Salomo] vor allen anderen. | |
„Ich halte Deutschrap in weiten Teilen für so antisemitisch wie den | |
Rechtsrock“, sagte er an dieser Stelle vor gerade einmal vier Monaten. Da | |
war die neue Prominenz in der Verknüpfung von Hip-Hop und Nazis noch nicht | |
in vollem Ausmaß zu erahnen. Dass es der Attentäter Stephan B. auf die | |
Gottesdienst-BesucherInnen in der Hallenser Synagoge noch viel eher als auf | |
die beiden Opfer abgesehen hatte, spricht in diesem Zusammenhang bloß | |
zusätzlich Bände. | |
Richtigstellung: In einer früheren Fassung des Textes haben wir | |
geschrieben, dass der Nazirapper Chris Ares bei einem Auftritt für die | |
Identitäre Bewegung im Jahr 2018 Teilnehmer einer Gegendemo angegriffen | |
habe. Richtig ist, dass der Nazirapper Chris Ares bei einer Wahlparty der | |
AfD im Jahr 2016 Teilnehmer einer Gegendemo angegriffen hat. | |
1 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Neurechte-Provokateure-im-Netz/!5432564 | |
[2] /Jugendgefaehrdende-Nazimusik/!5099072 | |
[3] /Vorwuerfe-gegen-Hip-Hop-Medien/!5603374 | |
## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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