| # taz.de -- Vorwürfe gegen Hip-Hop-Medien: Im Rap ist alles erlaubt | |
| > Newsmedien über Deutschrap und die zugehörige Szene laufen gut. Leider | |
| > sind viele den Künstlern gegenüber oft unkritisch. Wie kommt’s? | |
| Bild: Sido: „Wir stürmen in die Redaktion und schreien: ‚Fick dich!‘“ | |
| Berlin taz | Wenn Ben Salomo darüber spricht, warum er sich aus der | |
| Hip-Hop-Szene rausgezogen hat, dann versucht er erst gar nicht, irgendwas | |
| zu beschönigen. „Ich halte die Deutschrapszene in weiten Teilen für so | |
| antisemitisch wie den Rechtsrock“, sagt er dann. Der in Israel geborene | |
| jüdische Rapper hat vergangenes Jahr seine erfolgreiche Battlerap-Liga „Rap | |
| am Mittwoch“ beendet, aus Frust. Er habe in der Szene „eine große Menge an | |
| realem Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Frauenverachtung“ | |
| beobachtet und erfahren, [1][sagte er damals.] | |
| Inzwischen kritisiert er nicht nur die Rap-Szene selbst, sondern auch die | |
| Medien, die über sie berichten. „Die Rapmedien haben sich inzwischen auf | |
| die Rolle von Hofberichterstattern zurückgezogen“, sagt er. „Sie trauen | |
| sich nicht, kritische Fragen zu stellen.“ Ähnlich schreibt der Rapper das | |
| [2][in seinem Buch „Ben Salomo heißt Sohn des Friedens“], das im Frühjahr | |
| erschienen ist – und das keines der einschlägigen Rapmedien bislang | |
| rezensiert hat. | |
| Diskussionen in der Szene hat Ben Salomo mit seiner Kritik dennoch | |
| ausgelöst. Anfang Juni ist sein Buch Thema in dem Videopodcast „100 Prozent | |
| Realtalk“, einem in der Szene erfolgreichen Format mit Hunderttausenden | |
| Aufrufen. Moderator B-Lash spricht in dem Video von Antisemitismus als | |
| „Kampfbegriff“ und behauptete, Ben Salomo würde „auf dem Rücken seiner | |
| ermordeten Vorfahren mit Lügengeschichten Geld verdienen“. Sein | |
| Gesprächspartner MC Bogy, Berliner Rap-Legende und mittlerweile auch | |
| Moderator, spricht kurz darauf von der „Lügenpresse“ und der „kompletten | |
| Vernichtung“ der Sudetendeutschen. Für Ben Salomo ist das „NPD-Sprech“. | |
| „Aber einen Aufschrei in der Rapszene und den zugehörigen Medien gab es | |
| deshalb nicht.“ | |
| „100 Prozent Realtalk“ ist eines von etlichen Hip-Hop-Formaten, die gerade | |
| neu gegründet werden. Wurde das Genre lange Zeit nicht ernst genommen, ist | |
| Deutschrap heute so populär wie nie, dominiert jede Woche die Charts. Also | |
| boomen auch die Rapmedien. Zwar nicht im Print (hier gibt es nach der | |
| Print-Einstellung der Backspin nur noch die 1997 gegründete Juice), dafür | |
| online: rap.de, hiphop.de, 16bars.de und mzee.com versammeln auf ihren | |
| Kanälen je bis zu 900.000 Follower und gelten schon fast als | |
| Traditionsunternehmen. Geboten werden dort News, Reviews, Kommentare und | |
| vor allem oft unterhaltsame Videointerviews. Das Liebhaberportal allgood.de | |
| bietet auch analytische Longreads. Der neueste Trend sind reißerische | |
| Youtube-News-Sendungen, die mit Clickbaittiteln und billigsten Produktionen | |
| die Reichweiten der klassischen Szenemedien überholen. | |
| ## #MeToo im Rap gefordert | |
| [3][In der Titanic stand neulich:] „Ich bin der Hip-Hop-Journalist, ich | |
| sitz bei Rappern auf dem Schoß. Ich bin der Hip-Hop-Journalist, ich schreib | |
| Antisemiten groß.“ Stimmt das? Nachfrage bei Falk Schacht, der die deutsche | |
| Rapszene seit 25 Jahren journalistisch begleitet. Bekannt wurde er als | |
| Moderator der Viva-Sendung „Mixery Raw Deluxe“, heute moderiert er | |
| gemeinsam mit Jule Wasabi den BR-Deutschrap-Podcast „Schacht und Wasabi“ | |
| über die aktuellen Entwicklungen der Szene. Schacht verteidigt die | |
| Rapmedien gegen pauschale Kritik, gibt aber zu, dass die Fragen von | |
| Szenemedien an Rapper oft eher kumpelhaft wirken. Das sei auf die Ursprünge | |
| dieser Medien zurückzuführen. | |
| Anfang der 90er, als Hip-Hop noch von den großen Zeitungen und Sendern | |
| ignoriert wurde, gründeten sich die ersten Hip-Hop-Medien: Fanzines, also | |
| Magazine von Fans für Fans, handkopiert und getackert. „Die Hauptaufgabe | |
| war es, die Kommunikation untereinander aufrechtzuerhalten und dafür | |
| brauchte man ein kulturelles Verständnis. Hip-Hop-Medien sind also | |
| gegründet worden, um gerade nicht distanziert zu sein“, sagt er. | |
| Auch Schacht wurde bereits vorgeworfen, unkritisch berichtet zu haben. Im | |
| Jahr 2016 drohte der Rapper [4][Fler im Bento-Interview Jan Böhmermann] | |
| Gewalt an, Interviewer Schacht ließ ihm das durchgehen. Welt-Autor Dennis | |
| Sand nannte Schacht darauf in einem offenen Brief einen | |
| „Hip-Hop-Lobbyisten“, und vermutlich hätte Schacht dagegen gar nicht so | |
| viel einzuwenden. Heute sagt er: „In einem Interview geht es für mich eher | |
| darum, eine Person zu verstehen. Ich will ja genau dort hin, wo Fler mich | |
| nicht hinlässt, wenn ich die Moralkeule schwinge.“ Kritische | |
| Berichterstattung gebe es im Rapjournalismus allerdings sehr wohl, sie | |
| werde jedoch von den Nutzern nicht angenommen: „Die Menge begeistert sich | |
| für das Oberflächliche, nimmt den ganzen Trash wahr und interessiert sich | |
| nicht für den kritischen Artikel auf rap.de.“ | |
| Einer dieser kritischen Artikel auf rap.de wurde im Mai von Chefredakteur | |
| Oliver Marquart verfasst, heißt [5][„Deutschrap braucht ein #metoo“] und | |
| hat für Aufmerksamkeit in der Szene gesorgt. „Wir haben in der Tat ein | |
| Problem. Lines über Gewalt gegen Frauen sind fester Bestandteil unserer | |
| Kultur“, heißt es darin. Ein paar Wochen später sitzt Marquart im Büro der | |
| Redaktion in Berlin und erklärt seine Position. „Auch ich selbst habe erst | |
| vor wenigen Jahren angefangen, Inhalte in Frage zu stellen, und hatte lange | |
| den Standpunkt: Es ist ja Rap, da ist alles erlaubt“, sagt er. Seit 2000 | |
| schreibt er über Rap, seit 2011 ist er Chefredakteur von rap.de, das sich | |
| über Online-Anzeigen, gesponserte Amazon-Links und Deals mit Firmen | |
| finanziert. | |
| ## Zu Boden geschlagen | |
| Deutschrapjournalismus habe sich „schon oft blamiert“, kritisiert Marquart. | |
| „Wenn etwa Massiv einen Post raushaut, dass Israel hinter den Anschlägen am | |
| 11. September 2001 stehe, dann ist Schweigen im Walde angesagt.“ Beispiele | |
| gibt es viele. Künstler, die sich in ihren Texten extrem frauen- oder | |
| schwulenfeindlich äußern, werden häufig trotzdem zum nächsten Interview | |
| eingeladen und müssen sich dort nicht einmal rechtfertigen. [6][Der | |
| hiphop.de-Moderator Rooz Lee sagte dazu mal der Vice,] er sei | |
| „Entertainer“, es sei nicht seine Aufgabe, sein Gegenüber in die Mangel zu | |
| nehmen. Für Ben Salomo ist das nur eine bequeme Ausrede: „Die Rapmedien | |
| sind abhängig. Ohne diese Künstler haben sie nichts, worüber sie berichten | |
| können.“ | |
| Wenn man sich unter Mitarbeitern von Rapmedien umhört, erzählen viele, dass | |
| manche Künstler auf extreme Weise reagieren, wenn sie kritisiert werden. | |
| Oliver Marquarts Vorgänger als rap.de-Chefredakteur, Marcus Staiger, wurde | |
| nach einer kritischen Albumbesprechung in der Redaktion besucht und vom | |
| Rapper Blokkmonsta zu Boden geschlagen. Das war 2010 und laut Marquart ein | |
| „krasser Einzelfall.“ Drohungen per Telefon habe er allerdings auch schon | |
| bekommen. Diejenigen, die es sich leisten können, schickten lieber den | |
| Anwalt. | |
| Und: In den letzten Jahren wurde Marquart sogar mehrmals auf Tracks | |
| erwähnt. Sido rappt über ihn als „den Fetten da von rap.de“ und zeigt in | |
| einem anderen Song, was er von Massenmedien hält, die über Hip-Hop | |
| berichten: „Sie reden über Hip-Hop, sie finden uns witzig, doch wir stürmen | |
| in die Redaktion und schreien: ‚Fick dich!‘ Wenn wir alles kleinhau’n, | |
| fragen sie: ‚Spinnt ihr?‘ Doch das ist Hip-Hop, Motherfucker, so sind | |
| wir!“. Farid Bang erwähnte den Journalisten auf seinem letzten Album gleich | |
| mehrfach: „Und dein Reim ist fett, wenn er Oli Marquart ist“, heißt es etwa | |
| in „Koma“. Was macht das mit einem? „Wenn man weiß, dass das | |
| Hunderttausende hören, ist das anfangs schon ein komisches Gefühl“, sagt | |
| Marquart. | |
| Der Umgang mit Rapjournalistinnen ist noch viel schlimmer, weiß Salwa | |
| Houmsi. Houmsi ist eine von wenigen Frauen im deutschen | |
| Hip-Hop-Journalismus, als Host beim öffentlich-rechtlichen Webvideoformat | |
| „Jäger & Sammler“ und Moderatorin einer Musiksendung beim RBB-Radiosender | |
| Fritz. Gegenüber der taz zeigt sie sich enttäuscht, dass da gerade eine | |
| Debatte über Sexismus im Rap aufgekommen war und schon wieder verpufft zu | |
| sein scheint. | |
| „Die Labels, Booker*innen und Manager*innen haben das Thema erfolgreich | |
| ausgesessen. Es gab keinen Aufschrei.“ All diese Entscheider sollten „unter | |
| Druck gesetzt und konfrontiert werden, wie sie Künstler supporten können, | |
| die Gewalt gegen Frauen lustig finden“, fordert die 22-Jährige. Sie sieht | |
| noch ein tiefergehendes Problem: „Natürlich halte ich es für fragwürdig, | |
| wenn Journalist*innen über problematische Inhalte nicht kritisch berichten, | |
| aber ich halte es für viel wichtiger, weiter oben anzufangen. Dort, wo das | |
| Geld fließt.“ | |
| 29 Jun 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.watson.de/Deutschland/Interview/888569402-Wegen-Drohungen--Ben-… | |
| [2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/ben-salomo-ueber-antisemitismus-im-deu… | |
| [3] https://www.titanic-magazin.de/news/das-lyrik-eckchen-10493/ | |
| [4] https://www.bento.de/musik/ich-hab-polizei-fler-droht-boehmermann-a-0000000… | |
| [5] https://rap.de/meinung/149189-kommentar-deutschrap-braucht-ein-metoo/ | |
| [6] https://www.vice.com/de/article/rzvw8w/warum-so-kritiklos-dieserooz-im-inte… | |
| ## AUTOREN | |
| Frederik Schindler | |
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